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       # taz.de -- Wissenschaftlerin über Echokammern: „Die Filterblase ist oft ein Phantom“
       
       > Studien zeigen, dass die meisten Menschen Medien kombinieren und nicht in
       > geschlossenen Blasen leben. Warum das Bild trotzdem wirkmächtig ist.
       
   IMG Bild: „Filterblase“ oder „Echokammer“? Menschen treffen sich, um Pudding mit Gabeln zu essen – ein Internettrend
       
       taz: Frau Mahrt, wenn ich auf Instagram unterwegs bin, habe ich oft das
       Gefühl, nur das zu sehen, was mich ohnehin schon interessiert. Woher kommt
       dieses Phänomen? 
       
       Merja Mahrt: Das berichten viele Menschen. Einerseits liegt es an den
       Algorithmen sozialer Plattformen, deren Ziel es ist, uns möglichst lange zu
       halten. Deshalb zeigen sie bevorzugt Inhalte, die unseren Interessen
       entsprechen. Andererseits spielt auch die soziale Vernetzung eine Rolle:
       Wir umgeben uns mit Menschen, die ähnlich ticken wie wir. Das sind zentrale
       Mechanismen hinter den [1][Konzepten „Filterblase“] und „Echokammer“.
       
       taz: Wie unterscheiden sich diese beiden Begriffe genau? 
       
       Mahrt: [2][Die „Echokammer“ beschreibt ein selbstgewähltes
       Medienverhalten]: Wir klicken häufiger auf Inhalte oder vernetzen und mit
       Menschen, die unsere Meinung bestätigen. Cass Sunstein hat das Konzept 2001
       geprägt. Die „Filterblase“ hingegen wurde 2011 von Eli Pariser eingeführt.
       Sie meint die algorithmisch erzeugte Personalisierung von Inhalten, ohne
       dass wir das unbedingt merken. Beide Begriffe stammen übrigens nicht aus
       der Kommunikationswissenschaft, sondern aus Büchern für die breite
       Öffentlichkeit.
       
       taz: Hat das Auswirkungen auf ihre wissenschaftliche Nutzung?
       
       Mahrt: In der Wissenschaft werden sie eher kritisch betrachtet, weil sie
       keine klaren Definitionen liefern und empirisch schwer zu belegen sind.
       Trotzdem sind sie in der öffentlichen Debatte sehr präsent, weil sie starke
       Bilder liefern und intuitiv einleuchten. In der Forschung sprechen wir oft
       differenzierter über Selektionsmechanismen, Medienrepertoires oder
       Netzwerkstrukturen.
       
       taz: Welche Aspekte lassen die populären Begriffe außer Acht? 
       
       Mahrt: Zum Beispiel, dass Menschen verschiedene Medien parallel nutzen.
       Selbst wenn mir Facebook nur Gleichgesinntes zeigt, schaue ich vielleicht
       auf YouTube etwas ganz anderes oder lese klassische Nachrichtenangebote.
       Dieses „Medienrepertoire“ wird in der öffentlichen Debatte oft übersehen.
       
       taz: Sind Echokammern und Filterblasen also ein Mythos?
       
       Mahrt: Nicht ganz. Studien zeigen, dass die meisten Menschen im Alltag
       viele verschiedenen Medien kombinieren und nicht in geschlossenen Blasen
       leben. Es gibt aber kleine Subgruppen, oft mit extremen politischen
       Haltungen, die sich stark abkapseln. Da sehen wir tendenziell
       echokammerähnliche Strukturen.
       
       taz: Werden diese Gruppen im Diskurs überbewertet? 
       
       Mahrt: Häufig ja. Die Debatte suggeriert manchmal, die ganze Gesellschaft
       sei in Blasen fragmentiert. Dabei gibt es auch viele Menschen, die gar
       nicht am politischen Mediendiskurs teilnehmen. Oft sind das ältere oder
       sozial isolierte Personen. Diese stille Gruppe verdient mehr
       Aufmerksamkeit.
       
       taz: Welche Rolle spielt dabei die Eigenverantwortung der Nutzenden?
       
       Mahrt: Wie groß die ist, ist schwer zu sagen. Algorithmen gelten oft als
       das „böse Schwarze Loch“ der Digitalisierung. Aber wir unterschätzen, wie
       aktiv viele Nutzerinnen und Nutzer mit Medien umgehen. Sie suchen gezielt
       Inhalte, kombinieren verschiedene Plattformen und sind nicht nur passiv.
       Beides ist wichtig.
       
       taz: Was weiß die Forschung über den Einfluss von Algorithmen?
       
       Mahrt: Die Datenlage ist schwierig, weil die Plattformen nicht transparent
       sind. [3][Facebook hat eine Studie veröffentlicht], die nahelegt, dass
       Nutzer selbst selektiver sind als der Algorithmus. [4][Auch in einer
       unabhängigen Studie zu YouTube] sieht man: Wer Mainstream konsumiert,
       bekommt auch Mainstream empfohlen. Und wer Extremes sucht, bekommt mehr
       davon. Die Dynamik beginnt also oft beim Nutzerverhalten.
       
       taz: Wie geht es weiter? Werden Filterblasen zunehmen?
       
       Mahrt: Ich mache mir eher Sorgen um den Lokaljournalismus. Wenn regionale
       Medien wegfallen, fehlt nicht nur Information, sondern auch sozialer
       Zusammenhalt. Das könnte zu mehr Spaltung in der Gesellschaft führen.
       
       taz: Welche Rolle spielen Medien im gesellschaftlichen Zusammenhalt?
       
       Mahrt: Medien bringen zusammen. Das kann auf lokaler Ebene geschehen, aber
       auch Leitmedien wie die [5][Tagesschau] spielen nach wie vor eine wichtige
       Rolle, weil sie viele Gesellschaftsgruppen erreichen.
       
       taz: Was können Medien tun, um Fragmentierung entgegenzuwirken?
       
       Mahrt: Es hilft, wenn Medien online nicht nur für viele Klicks produzieren,
       mit der ganz besonders scharfen Überschrift. Ein transparenter Umgang mit
       Fehlern, die wie in jedem anderen Beruf ja passieren können, ist auch
       wichtig. Gute journalistische Arbeit ist essenziell für die Demokratie.
       
       3 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Erkenntnisse-ueber-Medienkonsum/!5658246
   DIR [2] /Twitter-Ersatz-Bluesky/!6048298
   DIR [3] https://www.science.org/doi/10.1126/science.aaa1160
   DIR [4] https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC10468121/
   DIR [5] /Tagesschau-in-leichter-Sprache/!6014476
       
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