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       # taz.de -- Proteste gegen A100-Eröffnung in Berlin: Heimlich und hochgesichert
       
       > Abgeschottet im Hotel Estrel feiern Politiker:innen die Eröffnung
       > des 16. Bauabschnitts der A 100. Größere Störungen verhindert die
       > Polizei.
       
   IMG Bild: A 100 Gegner:innen wollen die Eröffnung nicht unbeantwortet lassen
       
       Berlin taz | Der große Tag [1][der Eröffnung des 16. Bauabschnitts der
       A100] beginnt mit Gemecker. Allerdings nicht von den Gegner:innen des
       Projekts, die sich am Vormittag am neuen Ende der Autobahn am Treptower
       Park auf dem Gehsteig versammelt haben, sondern von einem, der eigentlich
       von ihr profitieren soll: „Jetzt klopft ihr hier extra ’ne neue Autobahn
       hin, nur um dann die Straßen zu verstopfen!“, schimpft ein Autofahrer durch
       sein Fenster in Richtung Polizei. Denn die blockiert mit einem knappen
       Dutzend Wannen eine Spur der Straße Am Treptower Park.
       
       Etwa fünfzig Aktivist:innen haben sich hier am Vormittag versammelt und
       posieren vor großen roten Lettern, die das „Ende“ des Ausbaus der A 100 an
       dieser Stelle symbolisieren. „Wir feiern heute das Ende dieser Autobahn! Es
       wird keinen Meter Neubau in dieser Stadt mehr geben!“, ruft Briti Beneke
       von der Bürger:Inneninitiative A 100 ins Mikrofon.
       
       Sie betont, dass für die Aktivist:innen heute kein Tag der Niederlage
       ist, weil entgegen ihrem jahrelangen Widerstand der 16. Abschnitt von
       Neukölln bis zum Treptower Park tatsächlich eröffnet wird. Im Gegenteil sei
       heute [2][der Beginn einer neuen Auseinandersetzung: die um den drohenden
       Weiterbau der A 100 durch Friedrichshain bis zur Storkower Straße.]
       
       Zunächst zählt Beneke erneut die Statistik der Zerstörung des 16.
       Abschnitts auf: 314 Kleingärten, 450 Bäume, 89 Wohnungen, 100.000
       Quadratmeter zusätzlich versiegelte Fläche und Zehntausende zusätzliche
       Autos über die Elsenbrücke – das sei die Konsequenz der 3,2 Kilometer
       langen Strecke, die mit Kosten in Höhe von 721 Millionen Euro als die
       teuerste Autobahn Deutschlands gilt. „Was wir nicht auf der Fläche sehen,
       sind neu gebaute Wohnungen, eine Fahrradtrasse, ein Schwimmbad, einfach
       Raum zu leben“, sagt Beneke. Sie spricht von einer „lebensfeindlichen
       Fläche“, die hier gebaut worden sei. „Jeder, der sie zu Fuß betritt, wird
       getötet“, sagte sie.
       
       ## Eröffnung fernab der Öffentlichkeit
       
       [3][Von einem großen Volksfest, das Autobahneröffnungen in der
       Vergangenheit oft waren, ist bei den offiziellen Feierlichkeiten nichts zu
       spüren.] Eine öffentliche Feier unter freiem Himmel wurde im Vorfeld
       abgesagt, aus Angst vor den Protesten der Autobahngegner:innen. Nur ganz
       kurzfristig wird doch noch ein Presstermin auf der Autobahn selbst
       angekündigt, streng abgesichert durch die Polizei. Journalist:innen, die
       teilnehmen wollen, werden akribisch vom BKA kontrolliert. Ansonsten besteht
       die Öffentlichkeit nur aus ein paar Bauarbeitern der Autobahn GmbH, die das
       Geschehen von etwas weiter entfernt beobachten. Mit der Presse reden dürfen
       sie aber nicht. „Keine Auskünfte“, sagt einer von ihnen nur knapp.
       
       Es folgt eine politische Inszenierung, die keine zehn Minuten dauert. Von
       Personenschützer:innen begleitet steigen Bürgermeister Kai Wegner
       (CDU) und der Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) aus ihren
       Limousinen und laufen ein paar Meter auf der brandneuen Autobahn in
       Richtung eines deutschlandfarbenen Bandes. Beide bekommen goldene Scheren
       in die Hand gedrückt, ein Blitzlichtgewitter folgt, dann zwei kurze
       Statements der beiden Politiker. Anschließend setzt sich die Karawane
       wieder in Bewegung, über die neue Autobahn, direkt ins Estrel-Hotel, wo die
       eigentliche Feier unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet.
       
       In seinem Statement spricht Wegner von einem „guten Tag für Berlin“, die A
       100 sei eine „Hauptschlagader durch unsere Stadt“, die Ost und West
       verbinde. Schnieder steigt darauf ein, bemüht sich sogar um eine Erwähnung
       des Mauerfalls, sagt, die Stadt wachse nun endlich zusammen. Die Proteste
       findet Wegner „sehr überschaubar“. „Viele Anwohner haben darauf gehofft,
       dass die Eröffnung stattfindet“, ist er sich sicher.
       
       Und Schnieder lässt sich sogar noch zu der Aussage hinreißen, der Bau des
       sich seit 2013 immer wieder verzögernden Abschnitts habe doch „wunderbar
       funktioniert“. Und die Mobilitätswende? Die sei natürlich wichtig, doch es
       brauche „nach wie vor individuelle Mobilität und auch die Straßen dafür“,
       so der Minister.
       
       ## Currywurst im Luxushotel
       
       Bei der offiziellen Feierstunde in einem Saal des Estrel-Hotels werden die
       Herren dann noch einmal auf die Bühne gebeten. Dort dürfen sie sich in
       einem schnell zusammengeschnitten Video erneut auf der Leinwand beim
       Banddurchschneiden zusehen. Bevor die mehreren hundert geladenen Gäste zu
       einem Büffet mit Schaumwein, Currywurstpampe und Buletten schreiten, werden
       in den Ansprachen noch einmal alle Talking Points abgehakt.
       
       Der größte Teil aller Waren werde auf der Straße transportiert, sagt
       Bundesverkehrsminister Schnieder, und der Güterverkehr werde „weiter
       zunehmen, ob wir wollen oder nicht“. Autobahnen machten nur 2 Prozent des
       Berliner Straßennetzes aus, auf ihnen fände aber „20 Prozent der Verkehre“
       statt. Das neue Stück A 100 werde „städtische Straßen entlasten“ und in den
       Wohngebieten „Räume schaffen“, auch „Freizeiträume“ – glaubt Schnieder.
       
       Der Geschäftsführer der Autobahn GmbH, Michael Güntner, lobt die „höchste
       ingenieurtechnische Präzision“, mit der das Teilstück in Tunnel- und
       Troglage errichtet worden sei. Der Bau unter der Ringbahn hindurch, ohne
       den Zugverkehr zu unterbrechen, sei ein „Meisterstück“ gewesen, und die
       umwelttechnische Ausstattung der Autobahn setze „Maßstäbe“. Den
       AnwohnerInnen dankt Güntner, dass sie „bereit gewesen“ seien, den
       jahrelangen Lärm zu ertragen.
       
       Wie seine Vorredner betont auch Wegner noch einmal, dass die Fertigstellung
       des 16. Bauabschnitts („erfüllt mich mit großem Stolz“) ohne den Bau des
       17. unvollendet sei. Er sei dem Bundesverkehrsminister „dankbar, dass dies
       noch nicht das Ende ist“ so Wegner. Denn erst mit der Autobahn bis zur
       Storkower Straße „sortierten“ sich die Verkehre optimal. „Eine
       leistungsfähige Infrastruktur ist kein Gegensatz zur Verkehrswende“,
       behauptet er – schließlich brauche auch die künftige Elektromobilität
       Straßen.
       
       Das sieht Claudia Leistner, grüne Verkehrsstadträtin von Treptow-Köpenick,
       erwartbar anders. Sie ist bei den DemonstrantInnen vor dem Estrel
       geblieben, für sie ist dies „kein guter Tag für Berlin“. Gegenüber der taz
       fordert sie einen „qualifizierten Abschluss“ der Autobahn am Treptower Park
       und ein Verkehrskonzept, das die AnwohnerInnen entlastet. Ob es vielleicht
       gar nicht zum befürchteten Chaos kommen und die ApologetInnen Recht
       behalten könnten? Das kann Leistner nicht ausschließen: „Es wäre der beste
       denkbare Fall und eine große Überraschung“, sagt sie. Trotzdem bliebe das
       Projekt komplett aus der Zeit gefallen.
       
       ## Nächtliche Aktion erfolglos
       
       Insgesamt bleiben die Proteste an diesem Eröffnungstag ruhig. Bereits in
       der Nacht konnte die Polizei Aktionen von Aktivist:innen weitgehend
       verhindern. Die ganze Nacht über war auffällig viel Polizei in den Straßen
       rund um den neuen Autobahnabschnitt unterwegs. Aber auch Kleingruppen von
       vermummten jungen Leuten auf Fahrrädern bewegten sich in den Vierteln, die
       darauf warteten, noch in Aktion treten zu können.
       
       Die Gelegenheit erhielten sie nicht. Auf allen Brücken stand die Polizei
       bereit. Aus teils zivilen Autos fotografierten die Beamt:innen jeden,
       der es wagte, sich auf einer der Brücken aufzuhalten. Nur an der Brücke an
       der Dieselstraße gelang es Aktivist:innen, Farbbomben auf den Asphalt zu
       werfen. Doch noch in der Nacht rückte ein Sonderreinigungstrupp der BSR an,
       um den Schaden zu beseitigen.
       
       Der große Protest vom Bündnis „A 100 Wegbassen“ findet mittags vor dem
       Estrel-Hotel statt. Etwa 280 Menschen haben sich hier nach Polizeiangaben
       versammelt, viele sind in Anwohnerinitiativen, Umweltschutzorganisationen
       und antikapitalistischen Gruppen aktiv. Die Gruppe Changing Cities hat zwei
       große aufblasbare Dinos mitgebracht, die wohl die fossile Verkehrspolitik
       von CDU und SPD symbolisieren sollen. „Scheiß auf eure Autobahn, lass mal
       lieber Fahrrad fahren“, skandieren die Protestierenden und singen eine für
       die A-100-Eröffnung abgewandelte Version des ACDC-Songs „Highway to Hell“.
       
       „Die Autobahn ist eine reine Klassenpolitik im Interesse der Reichen und
       der Autokonzerne“, sagt ein Redner der Interventionistischen Linken. Es
       seien die Menschen in den Kiezen, die sich kein Auto leisten können, aber
       den Preis für die Klimakrise bezahlen müssten. Und der Protest werde
       weitergehen: „Die A 100 ist unvereinbar mit einer lebensgerechteten Stadt
       und unvereinbar mit uns. Dieses Berlin ist nicht ihr Berlin, sondern
       unseres!“, ruft er unter Applaus.
       
       Nur kurzzeitig heizt sich die Stimmung auf, als die rechtslibertäre
       Kleinstpartei FDP versucht, den Gegenprotest mit einem weiteren
       Gegenprotest zu provozieren. „Da geht noch mehr – A 100 bis Prenzlauer
       Berg“ steht auf dem gelb-lila Transparent, dazu ein paar Abbildungen von
       Autos. Die Provokation wirkt, ein Pfeifkonzert setzt sich in Gang. Doch zur
       Eskalation kommt es nicht. Die Polizei schirmt die Autoultras schnell ab
       und leitet sie auf die gegenüberliegende Straßenseite – unter lauten
       „Anticapitalista“-Rufen der Protestierenden.
       
       Dieser Text wurde um 17:15 Uhr ergänzt und aktualisiert.
       
       27 Aug 2025
       
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       ## AUTOREN
       
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