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       # taz.de -- 27 Jahre Haft nach Putschversuch: Der Messias soll in den Knast
       
       > Jair Bolsonaro wurde für einen versuchten Staatsstreich verurteilt. Als
       > erster Ex-Präsident Brasiliens. Was heißt das für seine autoritäre
       > Bewegung?
       
   IMG Bild: Der verurteilte Wahlverlierer und Umstürzler Bolsonaro hat weiterhin Fans
       
       Es gibt dieses eine Zitat von Jair Messias Bolsonaro aus dem Jahr 2021. „Es
       gibt drei Möglichkeiten für meine Zukunft: ins Gefängnis gehen, sterben
       oder siegen“, orakelte der damalige brasilianische Präsident. „Seien Sie
       sicher, dass die erste Möglichkeit nicht existiert.“ Doch nun könnte es
       genau so kommen.
       
       Der Oberste Gerichtshof sieht es als erwiesen an, dass eine Gruppe rund um
       Bolsonaro in Gangsterfilmmanier [1][einen gewaltsamen Umsturz plante] –
       inklusive geheimer Waffenlager, Codenamen und einem Plan, Präsident Luiz
       Inácio Lula da Silva zu vergiften. „Brasilien ist fast zur Diktatur
       zurückgekehrt“, sagte Richter Alexandre de Moraes in seiner
       Urteilsbegründung. [2][Bolsonaro soll für 27 Jahre und drei Monate hinter
       Gitter]. Zum ersten Mal in der Geschichte Brasiliens wurde ein Ex-Präsident
       wegen eines versuchten Staatsstreichs verurteilt. Selbst die Folterknechte
       der brutalen Militärdiktatur kamen damals mit einer Generalamnestie davon.
       
       Das Urteil ist in vielerlei Hinsicht historisch. Und es ist mehr als die
       einfache Verkündung einer Strafe: eine Absage an den Autoritarismus mit
       Symbolwirkung weit über die Landesgrenzen hinaus. Hat Brasilien ein Rezept
       gefunden, autoritären Bestrebungen Einhalt zu gebieten?
       
       ## Rückblick: Bolsonaro gegen den obersten Gerichtshof
       
       Rückblick auf Bolsonaros Amtszeit: Der ultrarechte Ex-Militär trat mit
       einer Mannschaft aus Fanatikern, Politclowns und Laienpredigern an und
       startete einen Frontalangriff auf alles, was ihm unbequem war: Linke,
       Medien, Umweltaktivist*innen. Getragen von einem antipolitischen Momentum
       in einem krisengeschüttelten Land, wollte er alles anders machen.
       Rückendeckung gab es von einer Bewegung, die Bolsonaro hinter sich scharen
       konnte: dem Bolsonarismus. Zweifel? Gab es nicht. Kritik? Wurde nicht
       toleriert. Es gab nur zwei Kategorien: für Bolsonaro oder gegen ihn. Freund
       oder Feind. Wir gegen die. Bolsonaro nährte diese Wagenburgmentalität,
       indem er ständig Konflikte mit den demokratischen Institutionen
       provozierte.
       
       Dass Brasilien dieser autoritären Wende nicht vollständig zum Opfer fiel,
       verdankt das Land vor allem seinem Obersten Gerichtshof. Während Bolsonaros
       Amtszeit zog dieser immer wieder rote Linien: Er ermittelte gegen
       Fake-News-Netzwerke, reagierte hart nach dem Sturm auf Brasília und
       bestrafte Lügen über vermeintliche Wahlmanipulationen konsequent. Dass das
       Gericht dabei mitunter über das Ziel hinausschoss und zu viel Macht an sich
       zog, gehört ebenfalls zur Wahrheit.
       
       Doch das Gericht erkannte, wie es in seinem aktuellen Urteil deutlich
       machte, dass Typen wie Bolsonaro beim Wort genommen werden müssen. Er hat
       nie einen Hehl daraus gemacht, wofür er steht: Er ist ein notorischer
       Antidemokrat und Bewunderer der Militärdiktatur. Sein Ziel war es, die
       Regeln der Demokratie auszuhöhlen.
       
       ## Bolsonaros Unterstützer machen weiter
       
       Der brasilianische Autor Rui Fausto spricht von einer „democratura“ – einem
       System, in dem ein demokratisch gewählter Staatschef eine Diktatur
       errichtet. In Europa wird über das Konzept der „illiberalen Demokratien“
       diskutiert, in denen eine demokratische Fassade aufrechterhalten wird, um
       die Substanz von innen zu zerstören. Wohin es führen kann, die Kontrolle
       über autoritäre Staatschefs zu verlieren, zeigen die USA, die mit einem
       Bein im Faschismus stehen.
       
       Bolsonaro musste in den letzten Monaten schon [3][einiges über sich ergehen
       lassen]: stundenlange Verhöre, Hausarrest, Entzug des Reisepasses. Die
       jüngste Verurteilung stellt zweifellos eine schwere Demütigung dar.
       Gleichzeitig bietet sie ihm die Möglichkeit, sich als Märtyrer zu
       inszenieren. Und sie nährt das Narrativ, dass eine große Verschwörung im
       Gang sei. Seine Verteidigung hat bereits angekündigt, in Berufung zu gehen,
       und gibt sich kämpferisch. Auch seine Anhänger*innen werden wieder auf
       die Straßen ziehen, während stramm rechte Abgeordnete im Parlament
       versuchen, eine Amnestie durchzusetzen.
       
       Fakt ist: Der radikalisierte Kern des Bolsonarismus hat sich durch die
       Wahlniederlage 2022 nicht von seiner Sache abbringen lassen. Ein Teil der
       Bewegung zeigte weiterhin die Bereitschaft, alles für ihr Idol zu geben –
       inklusive politischer Gewalt. Im vergangenen Jahr versuchte ein
       Bolsonaro-Anhänger, einen Sprengsatz im Regierungsviertel von Brasília zu
       zünden, um Richter zu töten. Das Attentat scheiterte, der Täter kam ums
       Leben.
       
       ## Der Bolsonarismus wird sich nicht in Luft auflösen
       
       Viele Bolsonaristen setzen zudem auf Unterstützung von außen, vor allem aus
       den USA. Kurz nach der Verurteilung sprach US-Senator Marco Rubio von
       „politischer Verfolgung“ und kündigte an, dass sein Land „angemessen auf
       die Hexenjagd reagieren“ werde. Zuvor hatte die Trump-Regierung bereits
       Strafzölle gegen Brasilien verhängt. Für Brasiliens Rechte sind diese
       Maßnahmen ein Beweis ideologischer Verbundenheit, für den Rest des Lands
       ein schwerer Affront. Die Verurteilung könnte die Spannungen zwischen
       beiden Ländern weiter verschärfen. Sie stellen zugleich einen
       geopolitischen Test für die Lula-Regierung dar, die mehrfach angedeutet
       hat, sich vom Einfluss der USA zu lösen und neue Partner zu suchen.
       
       Doch was bedeutet die Verurteilung Bolsonaro für die extreme Rechte in
       Brasilien? „Sie wird sich durch das Urteil nicht aus der Politik
       zurückziehen“, sagte die Politikwissenschaftlerin Isabela Kalil der taz.
       „Aber ihr Handlungsspielraum innerhalb der Institutionen wurde
       eingeschränkt.“ Ohne ihre wichtigste Führungsfigur droht dem Lager eine
       Zersplitterung. Und das Buhlen um eine Kandidatur für die Wahl 2026 hat
       bereits begonnen. Als aussichtsreicher Kandidat gilt derzeit der Gouverneur
       von São Paulo, Tarcísio de Freitas. Viele eingefleischte Bolsonaro-Fans
       halten ihn jedoch für nicht radikal genug. Auch Bolsonaros Söhne und seine
       Frau werden als Alternativen gehandelt, sind aber selbst in Ermittlungen
       und Affären verstrickt.
       
       Der Bolsonarismus wird sich nicht einfach in Luft auflösen. So viel ist
       klar. Er repräsentiert eine Idee und eine bestimmte Art, Politik zu machen,
       nicht nur auf der großen Bühne der brasilianischen Bundespolitik. In den
       Parlamenten im ganzen Land sitzen Tausende ultrarechte
       Ex-Polizist*innen und die Bibel schwingende Gotteskrieger*innen, die
       die Politik bereits nach ihren reaktionären Grundsätzen mitgestalten.
       Zugleich ist zu erwarten, dass auf Bundesebene rechte Trittbrettfahrer
       auftreten – politisch unbelastet, aber rhetorisch und thematisch auf
       Bolsonaro-Kurs.
       
       Ohne Altlasten, aber mit demselben Kalkül.
       
       12 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Niklas Franzen
       
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