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       # taz.de -- Treffen der alternativen Landwirtschaft: Ländlich und links
       
       > Nicht das Problem, sondern die Lösung: Beim „Treffen bäuerlicher &
       > ländlicher Kämpfe“ wird ausgelotet, wie Sachsen vorangehen kann.
       
   IMG Bild: Dass ein Schaf auch so schön geschoren ist…
       
       Sehlis taz | Obwohl die Schafe noch nicht da sind, ist der
       Schafschur-Workshop gut besucht. Teilnehmer:innen des Camps drängen
       sich in dem alten Armeezelt, selbst vor dem Eingang hat sich eine
       Menschentraube gebildet. Oliver Junker Matthes, Spitzname Ohm, steht vor
       der Schuranlage, die etwas an einen Galgen erinnert, und referiert schon
       mal über die Ökonomie der Schafschur.
       
       „Wolle ist ein Abfallprodukt“, der Bedarf sei so gering, dass man häufig
       sogar für die Entsorgung bezahlen müsse, erklärt der Schafscherer. Daher
       würden viele Landwirte bei der Schur sparen – oft zulasten des Tierwohls.
       „Zahlt den Schafscherern so viel, dass sie pfleglich mit den Tieren
       umgehen“, schlägt Matthes vor.
       
       Auf dem ersten „Treffen bäuerlicher und ländlicher Kämpfe“, kurz Bäläkä, im
       nordsächsischen Sehlis treffen sich in der ersten Septemberwoche Hunderte
       Bäuer:innen, Landwirt:innen, Landarbeiter:innen und Aktivist:innen.
       Was sie eint, ist die Überzeugung, dass gerade in ländlichen Räumen die
       Lösung für Probleme wie Rechtsruck, Klimakrise und Kapitalismus liegt.
       
       Der Schafschur-Workshop ist eines der praktischeren Angebote. Im Zirkuszelt
       nebenan tauschen sich gerade Aktivist:innen aus Deutschland, Österreich
       und Mexiko über das Queer-sein auf dem Lande aus, in einem anderen
       Armeezelt erarbeiten Teilnehmer:innen Strategien, um sich in
       Diskussionen mit Rechten auf dem Dorf zu behaupten.
       
       ## Abgrenzung von der Agrarindustrie
       
       „Wir wollen den Leuten, die Strukturen in ländlichen Räumen aufbauen, das
       Gefühl geben, dass sie nicht alleine sind“, erklärt Bente Schreiber,
       Pressesprecherin und Mitorganisatorin, die Grundidee des Camps. Schreiber,
       24 Jahre alt, ist ausgebildete Landwirtin und arbeitet derzeit in einem
       Milchviehbetrieb in Nordhessen.
       
       Die Idee zu dem Camp kam ihr mit ein paar Genoss:innen bei einem
       internationalen Treffen zu bäuerlichen und ländlichen Kämpfen im
       französischen Bure vor zwei Jahren. „Die bäuerliche Szene ist nicht so groß
       in Deutschland, trotzdem kennen wir uns nicht alle“, erklärt Schreiber.
       „Bäuerlich“ ist dabei eine Selbstbezeichnung, die viele
       Bäläkä-Teilnehmer:innen nutzen, auch um sich von der Agrarindustrie
       abzugrenzen.
       
       „Uns vereint ein bestimmtes Beziehungsverhältnis mit der Welt, vielleicht
       auch ein gewisser Pragmatismus“, erklärt Bente Schreiber. Diese Beziehung
       sei geprägt von Verantwortung und Fürsorge für die Landschaften und
       Lebewesen, mit denen Bäuer:innen wirtschaften, aber auch für die
       Menschen, für die sie Essen produzieren. „Landwirtschaft ist Sorgearbeit“,
       sagt Schreiber.
       
       Gekommen ist vor allem die jüngere Generation. Landwirte und Gemüse- und
       Obstgärtner in Ausbildung, Studierende der nachhaltigen Hochschulen in
       Eberswalde in Brandenburg und Witzenhausen in Hessen, Bäuer:innen, die
       überlegen, den Hof ihrer Eltern zu übernehmen. Aber auch einige
       Städter:innen, die sich akademisch oder aktivistisch mit dem ländlichen
       Strukturaufbau beschäftigen, sind Gast auf dem Camp.
       
       Viele der Teilnehmer:innen sind bereits organisiert in alternativen
       Agrarverbänden wie der Arbeitsgemeinschaft Bäuerlicher Landwirtschaft (ABL)
       und dessen Jugendverband (Abl), die ein Gegengewicht zum eher konservativen
       und agrarindustriellen Deutschen Bauernverband bilden wollen. Aber auch
       noch weniger etablierte Verbände sind vertreten, wie [1][das
       Emanzipatorische Landwirtschaftsnetzwerk E]lan, einer Vereinigung von
       Frauen, Lesben, Inter-, Nichtbinären, Trans- und Agender Personen in der
       Landwirtschaft.
       
       ## Wachsende Szene alternativer Hofprojekte
       
       Der Zuspruch ist groß, zeitweise sind über vierhundert Teilnehmer:innen
       im Camp. Gar keine Selbstverständlichkeit, in einer Branche, in der man
       nicht einfach mal eine Woche im Spätsommer weg sein kann. „Die Leute planen
       sich das schon seit einem Jahr als Urlaub ein“, sagt Schreiber.
       
       Die Ortswahl im sächsischen Sehlis ist kein Zufall. In dem
       160-Einwohner:innen-Dorf gibt es schon drei alternative Hofprojekte. Damit
       gehört der Ort zu einer wachsender Szene alternativer Hofprojekte im
       Leipziger Umland. Das Camp selbst findet auf einer als Schafsweide
       genutzten alten Streuobstwiese statt, die einem befreundeten Landwirt
       gehört.
       
       Simone Zeiger sitzt gerade auf einer Bierbank unter einem alten, als
       Wetterschutz aufgespannten Segel und isst Mittag. Eigentlich müssten die
       Kartoffeln morgen geerntet werden, ob man das als Workshop anbieten könne?
       Die 43-Jährige ist Gemüsegärtnerin [2][im „Solawi“-Betrieb „Rote Beete“] in
       Sehlis, nur wenige Kilometer vom Camp entfernt, zusammen mit einer Kollegin
       besucht sie das Camp, wann immer es die Verpflichtungen auf dem Hof
       erlauben.
       
       Solawi ist die Kurzform für Solidarische Landwirtschaft und bezeichnet ein
       in den letzten Jahren zunehmend beliebter werdendes Konzept, Produktion und
       Verteilung von Agrarerzeugnissen neu zu organisieren. Rund neun Hektar Land
       bewirtschaftet die Rote Beete, insgesamt 9 Menschen bauen dort Obst und
       Gemüse an.
       
       Mit den Erträgen werden die 240 Mitglieder der Genossenschaft mit
       Gemüsekisten versorgt: Saisonal, direktvermarktet, ökologisch. Insgesamt
       ernährt die Rote Beete 600 bis 700 Menschen, schätzt Zeiger.
       
       Durch das Genossenschaftsmodell ist das wirtschaftliche Überleben des
       Betriebs unabhängig vom Ernteertrag, auch verpflichten sich die
       Genoss:innen, regelmäßig bei der Ernte zu helfen. Das Konzept ist ein
       Erfolg, in Sehlis gibt es drei Solawi-Betriebe, um Leipzig herum sind es
       neun.
       
       Das Solawi-System ist nicht nur ein Versuch, eine Alternative zur
       Agrarindustrie zu schaffen, sondern auch ländliche Räume zu beleben. Neben
       dem Gemüseanbau organisiert die Kooperative auch Gemeinschaftsevents. „Wir
       wollen lebendige Orte schaffen“, sagt Zeiger und deutet auf das frisch
       abgedroschene Maisfeld, das an das Camp grenzt.
       
       Maisstoppeln ziehen sich auf dem braunen Acker Hunderte Meter in jede
       Richtung, eine monotone, ausgeräumte Agrarlandschaft, wie sie oft im Osten
       zu finden ist. „Ich denke, unsere Solawi ist ein guter Kontrast dazu.“ Denn
       abseits der Solawis dominieren auch in Sehlis landwirtschaftliche
       Großbetriebe, die immer größere Flächen bewirtschaften.
       
       ## Teil einer Bewegung
       
       Im Ort selbst werden die linksalternativen Ökobetriebe gut angenommen. „Es
       gibt auch ein paar, die uns nicht mögen, aber die Leute schätzen uns sehr“,
       sagt die Gemüsegärtnerin. Dafür, [3][dass die benachbarte Kleinstadt Taucha
       eine AfD-Hochburg ist], gibt es kaum Anfeindungen. „Wir laufen noch ein
       bisschen unter dem Ökosiegel und werden nicht als linkes Projekt
       wahrgenommen“, mutmaßt Zeiger. Dabei sei das, was sie jeden Tag tun,
       „hochpolitisch“.
       
       Doch im landwirtschaftlichen Alltag komme das Bedürfnis nach politischer
       Bildung oft etwas zu kurz, sagt Zeiger. Die Lücke füllt für sie das Camp.
       Hier berichten Aktivist:innen über zapatistische Landwirtschaft in
       Mexiko oder den Widerstand gegen Großprojekte in Frankreich. „Man spürt,
       man ist Teil einer riesigen Bewegung. Das ist beeindruckend.“
       
       Obwohl Entwicklungen wie der Solawi-Boom Hoffnung macht, [4][steht auch
       eine linksalternative Landwirtschaft vor vielen im Camp thematisierten
       Herausforderungen]. Eine davon ist der Zugang zu Land. Getrieben durch
       Spekulation und Finanzinvestor:innen steigen die Pacht- und
       Kaufpreise für Ackerland stetig.
       
       ## Vielen droht Altersarmut
       
       Auch Pressesprecherin Bente Schreiber würde gerne einmal ihren eigenen
       Betrieb gründen. Für eine tiergerechte Haltung benötige eine Kuh einen
       Hektar Land, rechnet Schreiber vor. „Dafür genug Land zu finden und dann
       auch noch die Finanzierung zu stemmen, erscheint mir gerade nicht
       realistisch.“ Schließlich hätten sich die Pachtpreise in den letzten Jahren
       verdoppelt bis verdreifacht, durchschnittlich koste ein Hektar Ackerland
       knapp 32.000 Euro.
       
       Hannah Meyer, 26, steht vor einem anderen Problem: Sie könnte einen
       Mutterkuh-Familienbetrieb im Rhein-Main-Gebiet übernehmen, doch sie zögert
       angesichts der hohen Investitionskosten. Drei Millionen Euro für einen
       neuen Kuhstall, damit sei schon zu rechnen.
       
       „Diese Kredite zahlt man nicht in drei Jahren zurück, eher in vierzig. Und
       dann musst du einen neuen Stall bauen.“ Dazu müsste auch noch die
       Übernahmesumme so hoch sein, dass sie das Auskommen der
       Vorbesitzer:innen sichert. Die Rente für viele Landwirt:innen
       beträgt selten mehr als 400 Euro im Monat.
       
       Meyer möchte die Verantwortung gerne teilen und den Betrieb kollektiv
       betreiben, aber es sei gar nicht so einfach, Menschen zu finden, die sich
       jahrelang in infrastrukturschwachen Gebieten ohne viel kulturelles Angebot
       binden wollen. „Bei uns gibt es aktuell noch sieben landwirtschaftliche
       Betriebe. Das Durchschnittsalter der Eigentümer ist 60, aber nur zwei haben
       Nachfolger:innen“, berichtet Meyer. Im schlimmsten Fall werden die Höfe
       aufgegeben oder an landhungrige Agrarkonzerne verkauft. Teil einer Bewegung
       
       Auch hier soll das Bäläkä-Camp Abhilfe schaffen. „Mensch sucht Hof / Hof
       sucht Mensch“ heißt ein von Meyer mitorganisierter Workshop. Die Idee:
       Menschen zusammenbringen, damit sie gemeinsam die Last einer Hofübernahme
       bewältigen können. „Bei uns gibt es so viel Raum. Entweder wir überlassen
       ihn den Rechten oder wir wuppen das als Linke“, sagt Meyer.
       
       16 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://elannetzwerk.wordpress.com/home/
   DIR [2] /Solidarischer-Getreideanbau/!5908148
   DIR [3] /Saechsische-Gemeinden-im-Vergleich/!6029265
   DIR [4] /Klimaschutz-trifft-Landwirtschaft/!5939911
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jonas Wahmkow
       
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