# taz.de -- Pragmatismus statt Polarisierung: Jetzt volle Pulle Rot-Rot-Grün?
> Eine mögliche Rot-Rot-Grüne Regierung muss mehr bieten als linken
> Populismus. Der Grüne Pragmatismus der letzten Jahre könnte als Vorbild
> dienen.
IMG Bild: Die Grünen im Bundestag mit Regenbogen-Shirts, eine Aktion die auch bei SPD und Linken anschlussfähig wäre
Nachdem selbst der Obermittianer [1][Robert Habeck] die Mitte als Illusion
bezeichnet hat, ist es für die Wusste-ich-doch-immer-Linke naheliegend, die
Welt offiziell in zwei Teile zu spalten: hier links und dort rechts; hier
SPD, Grüne, Linkspartei, dort Union und AfD. Ziel: mit angeblich „gutem
Populismus“ bei der nächsten Bundestagswahl eine Mehrheit für Rot-Rot-Grün
zu erringen.
Guten Populismus gibt es aber nicht, es geht immer darum, die einen auf die
anderen zu hetzen. Populismus ist das Gegenteil von Aufklärung und
Vernunft. Im Übrigen besteht der Masterplan der AfD darin, die derzeitige
Bundesregierung in zwei Lager zu spalten und dadurch zu zerstören. Ein
rot-rot-grüner Spin wird wahrscheinlich dazu beitragen, die Union in
Richtung AfD zu schieben. Es ist kaum zu verhindern, dass so etwas auf eine
mediengesellschaftliche Kulturkampfinszenierung von zwei Seiten
hinausläuft, bei der die einen den anderen vorwerfen, dass sie die hinters
Licht geführten kleinen Leute an eine miese Elite verraten.
Andererseits ist es ja so, dass Teile der Union sich jetzt schon auf die
AfD zubewegen, in völliger Verkennung, dass die CDU das eigentliche Ziel
deren Zerstörungsplans ist. Es gibt im Moment keine Regierungsalternative
zu Union und SPD, weshalb man Rot-Rot-Grün zumindest strategisch offiziell
nicht ausschließen sollte. Aber falls jemand wirklich darüber sprechen
möchte, so bietet sich statt der Behauptung moralischer Überlegenheit und
einer unzureichenden Fokussierung auf die „soziale Frage“ folgende
Überlegung an: Was könnte Rot-Rot-Grün wegweisend Zeitgemäßes in Fragen der
EU, der [2][militärischen Verteidigung], der Zukunft der Ukraine und damit
Europas, der Wirtschaftstransformation, der Digitalisierung, des Einhaltens
der Pariser Klimaverträge, des individuellen, gesellschaftlichen und
politischen Resilienzaufbaus bringen? Wie kann man das Geldausgeben
nachhaltiger hinkriegen als die derzeitige Koalition, um die Zukunft der
Jungen nicht vollends zuzubetonieren?
Was nun die Grünen angeht, so besteht ihre momentane Irritation darin, dass
sie sich in den Habeck-Jahren zu einer staatstragenden und
gesamtgesellschaftlich orientierten Partei entwickelt haben – auf der Höhe
der globalen und europäischen Lage, im Wissen um die Widersprüche und gegen
die Laufrichtung aller anderen Parteien. Sie haben damit politische Erfolge
erzielt, die energetische und politische Abhängigkeit von russischem Gas
abgeschaltet, die postfossile Energiewende vorangebracht, den
naiv-gefährlichen [3][Wohnzimmerpazifismus] von unsereins beendet. Das
Problem: Kaum einer lobt sie derzeit dafür.
Ich unterstelle: Grüne und Grünen-Wähler sind heute mehrheitlich
ordentliche und engagierte Staatsbürger, sind gestresste Eltern und Kinder,
bedingt aufbruchbereit, teilweise sogar leistungsorientiert. Das ist nicht
nichts. Allerdings ist das eine Identität, die einem Teil der Grünen
irgendwie unangenehm ist, historisch-kulturell grundiert möchten sie sich
lieber als rebellische Staats- und Gesellschaftskritiker sehen, die sich im
Widerstand gegen die „Spießer“ und die Elite wähnen und nicht neuerdings
selbst so beschimpft werden. Müssten sie nicht so frech-oppositionell wie
Heidi Reichinnek sein oder rotzig-antistaatlich wie [4][Jette Nietzard]?
Äh, nein. Das ist kulturelle Nostalgie und Realitätsvergessenheit, die
paradoxerweise auch Junge entwickeln. Was gebraucht wird, sind Leute, die
mit Herz und Verstand gegenwärtig sind, die nicht auf die Nostalgiezüge
nach Nirgendwo aufspringen und dabei überfahren werden. Die nicht
selbstbezogen diskutieren, wer sie sein wollen, sondern was die Probleme
sind und wie sie sie angehen wollen. Nicht theoretisch im
Grundsatzprogramm, sondern praktisch im Hier und Jetzt.
13 Sep 2025
## LINKS
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## AUTOREN
DIR Peter Unfried
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