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       # taz.de -- Theaterstück zur Polizeiarbeit: Wo sich alle an die Regeln halten
       
       > In „Crowd Control“ von Oliver Zahn werden Polizeisimulationen
       > nachgestellt. Doch das Stück in den Sophiensælen in Berlin verliert sich
       > in Zynismus.
       
   IMG Bild: Beeindruckend sind die Bilder und ihre Körperlichkeit: Szene aus „Crowd Control“
       
       Mit Versuchen lernt man in der Schule, aber sie werden auch außerhalb
       pastellgelber Klassenräume unternommen. So spielen [1][in den Sophiensælen]
       Schauspielende Polizist:innen, die Demonstrierende spielen. Auf der ganzen
       Welt üben Bereitschaftspolizeien anhand von Simulationen, wie sie sich bei
       Aufruhr verhalten sollen. Erfahrene Kolleg:innen spielen die sogenannten
       Störer. Wie sie diese darstellen, mit Symbolen und Sprechchören, werde nach
       eigenen Erfahrungen gestaltet. Diese polizeilichen Übungen simuliert Oliver
       Zahn in „Crowd Control“ in sieben Versuchen.
       
       Der Versuchsaufbau gestaltet sich simpel: ein leerer Raum, Klappstühle,
       kühles Licht. Sieben Menschen: drei Polizist:innen, eine Übungsleitung,
       drei Störer in Sportkleidung. Jedes Ensemblemitglied hat sich einen eigenen
       Versuch der Darstellung überlegt, fungiert darin als Gruppenleitung.
       
       Ein Versuchsleiter beschreibt das Klischee des semisympathischen
       Boomer-Kollegen. Störer werden als Limo (linksmotiviert) oder Remo (das
       Gegenteil) nach politischer Gesinnung und als grün, gelb, rot nach ihrer
       Gefährlichkeit eingeschätzt. Fünf von sieben Versuchen beschäftigen sich
       mit Limos, meist aus Pro-Palästina-Bewegungen.
       
       Die einem gewaltvollen Eingriff vorausgehende Belehrung soll mal neutral
       sein, mal Schmerzen androhen, mal wird sie sich gespart, „könnt ihr ja
       schon“ sagt der Versuchsleiter und verzichtet somit auf einen wesentlichen
       Bestandteil der Deeskalation. Am Schluss wird immer „ver- und entsorgt“,
       also aufgeräumt.
       
       ## Man amüsiert sich über die Polizei
       
       Auch wenn die Nuancen unterschiedlich sind, die Versuche verlaufen sich
       leider in Redundanz. Was in allen mitschwingt, außer dem Polizeijargon, ist
       vor allem ein Zynismus. Man amüsiert sich über die Polizei und ihre
       Praktiken und die tatsächlich polarisierende Gefahr solcher Übungen. Man
       kann es sowieso nicht ändern – also lacht man drüber.
       
       Dennoch ist [2][die Körperlichkeit des Stücks] beeindruckend: Wie die
       ineinander verhakten Ellenbogen, die zusammenhalten sollen gegen den
       mächtigeren Gegner Polizei. Der wiederum geht mit unerwarteten Reizgriffen
       ins Gesicht gezielt dazwischen. Sie sollen Schmerzen auslösen, ohne
       bleibende Verletzungen: Ohrmuschel-, Nasen- oder Kiefergriff. Dann Arm- und
       Handgelenksverdrehung.
       
       Mal werden Störer auf den Boden gedrückt, mal abgeführt. Pfefferspray,
       Schlagstöcke, sich bedrohlich über Demonstrierenden aufbauende
       Polizist:innen in Sturmhaube, Helm und Rüstung. Der Mikrokosmos des
       Versuchs zeigt eine eindringliche Gewalt, die nicht immer notwendig ist.
       „Das sind nicht eure Großmütter, die könnt ihr schon richtig anfassen“,
       sagt ein Versuchsleiter.
       
       Ob diese Praktiken tatsächlich so ablaufen, bleibt unklar, sie seien
       „Verschlusssache“. Die Darsteller:innen hätten sich gut informiert,
       heißt es. Oliver Zahn greift das „eigene Ermessen“ der Polizei auf, indem
       er seinen Darstellenden dasselbe zuspricht. Das mag ganz amüsant sein,
       dient dem Gedanken des Verstehenwollens jedoch wenig.
       
       Die einzigen Einblicke in diesen Prozess bilden die „Fragen über
       Schauspiel“, die jeweils ein Ensemblemitglied in der Umkleidepause zwischen
       den Versuchen beantwortet. Fragen wie „Wie bereitest du dich auf deine
       Rolle vor?“ führen jedoch zu wenig aussagekräftigen Anekdoten aus der
       Schauspielschule. Man wünschte sich mehr Details darüber, wie es ist, die
       Polizei zu porträtieren. Das passiert nur ein Mal, als Cy Linke über
       „Bedrohung“ und „Wut“ gegenüber Uniformen spricht.
       
       Siebenmal passiert immer wieder etwas Ähnliches. Wo bleibt der Ausbruch aus
       dem starren Konstrukt des Versuchsaufbaus? Das Theater ist eben kein
       polizeiliches Einsatztraining. Wo bleiben Mut und tatsächliche Haltung
       statt Zynismus? Um auf die immer wiederkehrenden Frage nach
       überproportionaler Macht der Polizei einzugehen, braucht es mehr.
       
       15 Sep 2025
       
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   DIR Merle Zils
       
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