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       # taz.de -- Sinan Selen: Der Verfassungsschutz bekommt einen Vermittler als Chef
       
       > Der gebürtige Istanbuler Sinan Selen wird der erste nicht in Deutschland
       > geborene Verfassungsschutzpräsident. Er will den Dienst gegen hybride
       > Bedrohungen rüsten.
       
   IMG Bild: Der Verfassungsschutz bekommt einen neuen Präsidenten: Sinan Selen
       
       Berlin taz | Erst vor wenigen Tagen stand Sinan Selen bei der
       Amtseinführung [1][des neuen BND-Präsidenten Martin Jäger] in dessen
       Geheimdienstzentrale in Berlin. Der 53-Jährige wirkte gut gelaunt und
       gelöst. Kein Wunder, denn er wusste wohl schon: Bald wird er selbst
       Geheimdienstpräsident – beim Bundesamt für Verfassungsschutz.
       
       Eine wirkliche Überraschung ist das nicht. [2][Selen ist seit 2019
       Vizepräsident des Verfassungsschutzes.] Nach dem Abschied von Thomas
       Haldenwang im Dezember, [3][der damals für die CDU in den Bundestag
       einziehen wollte], leitete Selen das Amt kommissarisch zusammen mit Silke
       Willems.
       
       Trotzdem dauerte es nun neun Monate, bis Selen offiziell das Amt übernimmt.
       Am Montag sollte die Personalie den rund 4.200 Mitarbeitenden des Bundesamt
       verkündet werden, am Mittwoch könnte der offizielle Beschluss der
       schwarz-rote Bundesregierung folgen.
       
       Die Hängepartie lag am Wechsel im Innenministerium: Nancy Faeser, SPD,
       übergab an Alexander Dobrindt von der CSU. Faeser hätte sich durchaus auch
       eine Frau an der Spitze vorstellen können, Dobrindt war zunächst
       verschnupft wegen der [4][Einstufung der AfD als gesichert rechtsextrem],
       die noch schnell durch den Verfassungschutz unter Faeser erfolgte.
       
       ## Sogar Union und SPD sind sich einig in einer Personal-Frage
       
       Nun wird es doch Selen. In der Union und SPD zeigt man sich damit
       zufrieden, auch bei den oppositionellen Grünen. Dort wird betont, dass
       Selen ein Sicherheitsexperte durch und durch ist, der seit Beginn seiner
       Karriere in diesem Bereich arbeitet. Für den Verfassungsschutz ist seine
       Ernennung ein Novum: Erstmals steht nun jemand an der Spitze, der nicht
       gebürtiger Deutscher ist.
       
       Selen wurde in Istanbul geboren, zog aber schon als Vierjähriger mit seinen
       Eltern – zwei Journalisten – nach Köln. Dort studierte er Jura, befasst
       sich schon früh mit Rechtsfragen in der Sicherheitspolitik. Im Anschluss
       landete er beim Bundeskriminalamt, zuständig für Personenschutz und
       Terrorermittlungen. Selens Fokus galt hier vor allem dem Islamismus: Er
       ermittelte zu den deutschen Beteiligten an den 9/11-Terroranschlägen in den
       USA oder den Kofferbombern von Köln im Jahr 2006.
       
       Im selben Jahr wechselte Selen ins Innenministerium, wo er ebenfalls für
       die Terrorismusbekämpfung zuständig war. 2016 entsandte ihn die
       Bundesregierung als „Sherpa“ in die Türkei, um Antiterrormaßnahmen zu
       verhandeln. Forderungen der türkischen Regierung, Oppositionelle
       auszuliefern, wies er zurück. Später machte Selen einen Abstecher in die
       Privatwirtschaft: Bei Tui verantwortete er die Konzernsicherheit. 2019
       holte ihn ein CSU-Staatssekretär unter Innenminister Horst Seehofer zurück
       in den Verfassungsschutz.
       
       Zu seinem Amtsantritt als Vizepräsident gab es Kritik von
       Rechtsaußen-Blogs, die ihm unterstellten, für die Türkei zu arbeiten. Doch
       Selen hatte die türkische Staatsbürgerschaft längst abgelegt. Als
       Vizepräsident unterstützte er die Einstufung der AfD als rechtsextreme
       Vereinigung. Er warf der Partei eine „migranten- und muslimfeindliche
       Haltung“ vor, sie werte ganze Bevölkerungsgruppen ab. Die AfD-Einstufung
       wird ihn und sein Amt noch mehrere Jahre begleiten: im Rechtskampf der AfD
       gegen diese Entscheidung.
       
       ## Selen gilt als Vermittler und Erklärer
       
       Selen wird das, wie bisher, in ruhiger Beharrlichkeit verfolgen. Er gilt
       als Vermittler und Erklärer. Ob das so bleibt, wird man sehen: Auch sein
       Vorgänger Haldenwang galt einst als bürokratischer Typ, bevor er mit
       deutlichen Warnungen vor der AfD Schlagzeilen machte.
       
       Selen wird den Verfassungsschutz vor allem auf hybride Bedrohungen
       ausrichten. Schon zuletzt betonte er die politische Neuordnung der Welt,
       bei der „unsere Gegner immer aggressiver und komplexer vorgehen“. Allen
       voran gelte das für Russland. Selen warnte aber auch vor Iran und China. Es
       gehe um Sabotage, Cyberangriffe, Desinformation und „Low Level Agenten“ –
       Kleinkriminelle, die für ausländische Geheimdienste arbeiten. Auch die
       digitale Radikalisierung und Vernetzung würden rasant voranschreiten.
       
       Selen plant, flexibler zu reagieren, etwa mit Taskforces, die dort
       eingreifen, wo es brennt. Zudem forderte er zuletzt mehr Personal und neue
       Befugnisse für den Verfassungsschutz. Innenminister Dobrindt hat beides
       bereits zugesagt. Sinan Selens gute Laune dürfte also anhalten.
       
       15 Sep 2025
       
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