# taz.de -- Berlin Art Week: Es schmeckt nach Salz und Algorithmus
> Die Stadt ist voller Kunstevents, die Gedanken sind voller Widersprüche
> und das richtige Leben fühlt sich manchmal recht falsch an. Ob
> Mittagessen hilft?
IMG Bild: Berlin Art Week – Kunst überall, auch in Reinickendorf
Am Vorabend hatte sich die Nacht früh über den Rosa-Luxemburg-Platz
gesenkt. Schon am Nachmittag war eine endlose Dämmerung angebrochen, deren
blaue Kälte in jede Kleidungsfalte kroch und die Menschen so merkwürdig
verlangsamte, als seien sie Insekten. In der Bar 3 hatte MS fast beschämt
von seinem späten, dafür nun umso gigantischeren Erfolg als Künstler
erzählt, ein grimmig aussehender Mann mit tätowiertem Schädel hatte daneben
Orangensaft getrunken und ungewöhnlich junge Menschen beim Ausüben
klassischer Choreografien erster Onlinedates beobachtet.
Nachts lag trotz Art Week Mitte still da, die Galerien geschlossen, die
Openings gefeiert, der Sekt getrunken. Nur bei [1][Anton Janizewski]
leuchtete die Malerei warm auf den Bürgersteig. Ich hatte sie argwöhnisch
betrachtet, ebenso wie die Skulpturen schlafender Kinder der so oft so
fantastischen Andrea Fraser, die sie bei [2][Nagel Draxler] in gläserne
Särge gelegt hatte und von denen ich auf dem Heimweg gehofft hatte, dass
die zugehörige Soundarbeit, auf die die Kopfhörer an der Wand schließen
ließen, sie besser gemacht hätten, als es mir nun, mitten in der Nacht mit
süffig-warmem Hirn und klammen Fingern vor der Ladenfront erschienen war.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich rausfinden will, was in der Galerie auf
den Kopfhörern läuft, denke ich, als ich am Sonntag in der Schlange eines
internationalen Lunch-Orts in einem Kreuzberger Hinterhof sowohl auf MK
warte als auch darauf, dass uns ein Platz am Tresen angeboten wird. Seit
wann gibt es solche Läden hier? Seit wann gehe ich sonntags lunchen? Seit
wann fühlt sich sogar Mittagessen wie eine richtige Entscheidung im
falschen Leben an?
Ich lasse mich auf einen wirklich blöden Barhocker fallen und beobachte die
angenehm exzentrischen Mitarbeiter in ihrer komplett nachvollziehbaren
sonntäglichen schlechten Laune. Mit ihnen teile ich die Augenringe, mit MK
enge Vertrautheit, ein Thunfischsandwich und Salat. Es schmeckt nach Salz
und Algorithmus.
Ein paar Blöcke weiter haben die Künstlerinnen Sophia Süßmilch und Cathrin
Hoffmann eine Remise mit Kunst vollkuratiert. Ich entdecke Fantastisches
(Felix Deiters), Bekanntes ([3][Selma Selman], [4][Christian Jankowski]),
Egozentriertes (eigene Arbeiten der Kuratorinnen), Befreundetes (Charlie
Stein) und Befremdliches (lieber keine Namen nennen).
Das Konzept verdeckt einige Werke hinter Tüchern, ein Hinweis auf das
Verschwinden, das Verdrängen, das Unsichtbarmachen der Künstler:innen in
der Stadt. Es ist ein gut gemeintes Konzept, trotzdem möchte ich die
Arbeiten lieber sehen, das ganze wirkt ein bisschen arg konstruiert und
kontraintuitiv in einer Schau, die „Maximal“ heißt und ruhig noch viel
voller hätte sein können. Oder demokratischer.
## Zu dem gehören, gegen das man ist
Oder dann zumindest nicht Teil des offiziellen Art Week-Programms, man kann
doch nicht dagegen sein, wenn man dazu gehört. Andererseits gehöre ich ja
auch zu vielem, gegen das ich bin. Und irgendwie ist man ja auch für die
Art Week und nur gegen den Kommerz der Stadt, auch wenn sich das bedingt
oder irgendwie anders, ich bin unzufrieden, aber vielleicht auch einfach
mit der Gegenwart oder mit dem Schnittlauch im Bauch. In jedem Fall trifft
die Nörgelei hier die Falschen. Das ist spätestens dann klar, als ein
charmanter Jüngling mich vor dem Ausstellungsraum dazu überredet, meine
Unterschrift für eine Petition herzugeben.
Es gehe darum, den Ballermann als immaterielles Kulturerbe in die Liste der
Unesco aufzunehmen. Schließlich hätte Spanien die Berliner Technokultur
gekriegt, feixt er breit unter seinem Anglerhut auf dem in deutschen Farben
die Lettern „Weltkulturensohn“ prangen. Ich bin ein bisschen getröstet vom
fernen [5][Geist Schlingensiefs], der in seinen Augen zu glitzern scheint.
Und so lange, wie der noch irgendwo in den enger werdenden Berliner
Hinterhöfen spukt, sind Stadt und Gegenwart vielleicht doch nicht maximal
verloren.
16 Sep 2025
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## AUTOREN
DIR Hilka Dirks
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