# taz.de -- Film „This Is England“ wird real: Das ist England – immer noch
> Der Rechtsextreme Tommy Robinson rief letzte Woche in England zur
> Großdemo auf. Seine Parolen klingen wie in Shane Meadows’ Filmklassiker
> von 2006.
IMG Bild: This is England: Nationalisten vergangenen Samstag in London
Ein kleiner Junge klaut eine englische Flagge als Mutprobe, weil er
dazugehören will. Er präsentiert sie seinem Vorbild, hört Lob und dass sie
mit Stolz gehisst werden müsse. Erst rechtfertigt die Flagge Hass, bald
wird sie blinde Ideologie verschleiern. In ganz Großbritannien sind in den
vergangenen Tagen Nationalflaggen aufgetaucht: an Straßenlaternen, in
Fensterscheiben, am „Angel of the North“ und in den Straßen Londons, wo sie
zu Zehntausenden flogen.
Vergangenes Wochenende haben dort [1][die größten nationalistischen
Demonstrationen] in der Geschichte des Lands stattgefunden. Mehr als
110.000 Menschen versammelten sich, um, wie sie sagen, ihre Rede- und
Meinungsfreiheit zu verteidigen. Der [2][Rechtsextremist] Tommy Robinson
hatte zu der Demo unter dem Motto „Unite the Kingdom“ aufgerufen.
Robinsons Rhetorik ähnelt der aus dem England der 1980er Jahre, dem
Thatcher-England. Da spielt [3][„This Is England“], ein Film, der das Leben
einer abgehängten Arbeiterschicht zeigt, deren Ressentiment gegen die
Regierung bald in Hass gegen andere kippt. Shane Meadows’
Coming-of-Age-Film von 2006 begleitet den zwölfjährigen Shaun (Thomas
Turgoose) dabei, wie er in die ultrarechte Szene abrutscht.
Shauns Vater ist im Falklandkrieg gefallen, ihm fehlt Führung, er wird
gehänselt, weiß nicht, wie er mit Wut umgehen soll, und findet nirgendwo
Anschluss. Bis der Skinhead Combo ([4][Stephen Graham)], ein Mittzwanziger,
der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde, zu seiner Vaterfigur wird.
So landet Shaun wenig später – schon mit Stiefeln, rasiertem Kopf und
Hosenträgern – auf einer Veranstaltung eines National-Front-Politikers, der
seinem Publikum predigt, dass „England“ heute ein verbotenes Wort sei.
## Sehr ähnliche Reden
Ähnliches scholl am Wochenende durch Londons Straßen. Verblüffend leicht
verschmilzt Robinsons Rede (im nächsten Teil in Anführungszeichen) mit der
Ansprache des neonazistischen Politikers im Film (kursiv):
„Sie haben die Familie angegriffen, sie haben das Christentum angegriffen,
sie haben unsere Nationen geflutet.“
2.000 Jahre ist diese Insel vergewaltigt und geplündert worden von
Menschen, die über uns herfallen und meinen, sie können es sich bei uns gut
gehen lassen.
„Sie haben uns mit Labels zum Schweigen gebracht: Rassist, Islamhasser,
rechtsextrem. Das funktioniert nicht mehr.“
Wir sind keine Rassisten, wir sind Realisten. Wir sind keine Nazis. Wir
sind Nationalisten.
„Sie haben uns verleumdet, sie haben uns dämonisiert, sie haben uns
angegriffen, und sie haben uns eingesperrt.“
Man hat uns an den Rand geschoben.
Shauns Geschichte, basierend auf Kindheitserfahrungen des Regisseurs,
zeigt, wie anfällig Menschen, die vergessen wurden und nach Zugehörigkeit
suchen, für Indoktrination sind. Und dass ihre Wut missbraucht werden kann,
selbst für die widerwärtigsten Ideen.
Im Publikum der „Unite the Kingdom“-Demo habe ich keine Skinheads wie Combo
gesehen, zumindest keine offensichtlichen. Die meisten dort sahen aus wie
Sie und ich.
Was von Shaun und Combo ist geblieben? Der Hass, die Angst und das Gefühl,
einer Ungerechtigkeit ausgesetzt zu sein, für die Ausländer verantwortlich
sein sollen. Die in London ausgesprochenen und von 110.000 Menschen
bejubelten Worte beweisen: Das ist England. Immer noch.
16 Sep 2025
## LINKS
DIR [1] /Rechtsextreme-Massendemo-in-London/!6113631
DIR [2] /Rechtsextremer-Brite-Tommy-Robinson/!6025164
DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=1IKPdRdOkMg
DIR [4] https://www.bbc.com/news/articles/cx2rjgdwweyo
## AUTOREN
DIR Valérie Catil
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