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       # taz.de -- Ukrainische Geflüchtete in Polen: Noch willkommen?
       
       > Polen galt als Vorbild für die Integration ukrainischer Geflüchteter.
       > Dreieinhalb Jahre später kippt die Stimmung. Ein Besuch in der Großstadt
       > Poznań.
       
   IMG Bild: Anfang 2022 kamen mehrere Tausend Ukrainer in Poznań an, so wie hier am 11. März 2022
       
       Poznań taz | Es ist der 26. Februar 2022 und ein Meer blau-gelber Fahnen
       weht auf dem Plac Wolnosci in Poznań. Mehrere Tausend Menschen versammelten
       sich damals auf dem Friedensplatz, um kurz nach dem Beginn der Vollinvasion
       der Ukraine ihre Solidarität zu bekunden. „An alle Ukrainer: Wir stehen an
       eurer Seite und werden euch immer unterstützen“, versprach Bürgermeister
       Jacek Jaśkowiak damals.
       
       Poznań ist eine Uni-Stadt im Westen Polens und nahm damals [1][80.000
       Geflüchtete aus der Ukraine] auf. In der Stadt selbst lebten zu dieser Zeit
       rund 530.000 Menschen. Jaśkowiak erinnert sich gut an die Solidarität der
       Bevölkerung: „Die Einstellung der Gesellschaft war sehr positiv, weil es
       diese gemeinsame Kultur gibt, und wir wissen, was es bedeutet, unter
       russischer Besatzung zu leben“, erinnert er sich.
       
       Jaśkowiak ist seit 2014 Bürgermeister der Stadt, die als liberal, jung und
       queerfreundlich gilt. In der Ecke seines Büros im weiß-rosafarbenen Rathaus
       der Stadt hängt ein schwarzer Boxsack, erst vor zwei Jahren kämpfte der
       jetzt 61-Jährige gegen einen bekannten polnischen Boxer bei einem
       Spendenevent.
       
       Jaśkowiak ist Teil der liberalen Bürgerplattform, der Partei von Premier
       Donald Tusk. Deren Kandidat für die Präsidentschaftswahl Rafał Trzaskowski
       sprach sich überraschend für finanzielle Kürzungen für ukrainische
       Geflüchtete aus. Der Vorschlag zeigt: Liberale Kräfte in Polen bedienen
       sich bei den antiukrainischen Parolen der [2][nationalkonservativen und
       rechtsextremen Stimmen] in der Politik.
       
       ## Ein Stimmungswandel
       
       Wie steht es daher um die Willkommenskultur in Polen? Kein Staat in Europa
       hat so viele Ukrainer aufgenommen, die vor dem Krieg geflüchtet waren,
       wie Polen. Doch auch in der Bevölkerung soll die Stimmung kippen: Laut dem
       Meinungsforschungsinstitut CBOS sprach sich im Frühjahr 2025 nur noch die
       Hälfte der Befragten dafür aus, Menschen aus der Ukraine aufzunehmen.
       
       Wie blicken Ukrainer in Poznań auf ihr Verhältnis zur polnischen
       Bevölkerung? Oleh lebt seit fünf Jahren mit seiner Familie in der Stadt und
       studiert an der Uni internationale Beziehungen. Mit anderen Ukrainern, die
       kurz nach Beginn der Vollinvasion nach Polen kamen, gründete er eine
       Gruppe, um die ukrainische Kultur und Geschichte sichtbarer zu machen und
       selbst ein Stück ihrer Heimat nicht zu verlieren.
       
       „Die Solidarität am Anfang war sehr groß, doch es hat sich in den
       vergangenen drei Jahren viel verändert. Ich möchte nicht pauschalisieren,
       aber man merkt, dass einige Polen müde sind vom Krieg“, so der 21-Jährige.
       Sie verstünden nicht, warum die Ukrainer weiter für ihr Land kämpften.
       „Dabei wäre Polen als nächstes dran, würden wir alle aufgeben.“
       
       Auch unter den ukrainischen Studierenden gäbe es zwei Lager: „Einige sehen
       momentan keinen Weg zurück und wollen sich von ihrer Heimat lösen, doch uns
       ist es wichtig, auch in Polen weiterhin als Ukrainer zu leben“, erzählt die
       19-jährige Sofiia. Sie ist 2024 zum Studieren nach Poznań gezogen.
       
       ## „Die verstehen nicht, was wir durchmachen“
       
       Die Gruppe trifft sich gern in einem modernen Café in der Innenstadt. Die
       Wände sind unverputzt, die Deko aus Chrom, die Preise unterscheiden sich
       kaum von denen in Berlin. Manchmal würde sie auf der Straße angefeindet,
       wenn sie mit ihren Freunden Ukrainisch spräche, erzählt sie.
       
       Kontakt zu den Kommilitonen haben sie außerhalb der Uni kaum. „Die
       verstehen nicht, was wir durchmachen müssen und wie sehr wir unsere Heimat
       vermissen“, sagt Sofiia, die aus Charkiw stammt.
       
       Für die ukrainischen Studierenden haben sich auch formale Anforderungen
       verändert. Im neuen Semester müssen sie einen Sprachnachweis vorlegen,
       können den Test jedoch erst im neuen Jahr wahrnehmen. Viele wussten nichts
       von der neuen Regelung und fangen somit erst ein Semester später an.
       Trotzdem lebten sie gern in Poznań, betont Oleh. Im östlichen,
       [3][konservativen Teil Polens], sei die Stimmung gegenüber
       Ukrainer*innen angespannter, erzählten ihm Freunde.
       
       Eine Person, die diese Skepsis füttert, ist der neue Präsident Karol
       Nawrocki. Er machte bereits während des Wahlkampfs zu Beginn des Jahres
       klar: „Polen zuerst.“ Er nahm den Vorschlag des liberalen
       Präsidentschaftskandidaten Trzaskowski auf und blockierte mit seinem Veto
       ein Gesetzespaket, dass unter anderem die finanzielle Hilfe für ukrainische
       Geflüchtete regelte.
       
       Sein Veto sorgte für heftige Kritik bei den progressiven Kräften in Polen.
       In der vergangenen Woche wurde nun eine Reform der Gesetze im Sejm
       verabschiedet. Ukrainer*innen, die erwerbstätig sind, alleinerziehend,
       kranke oder behinderte Kinder pflegen, erhalten weiterhin die umgerechnet
       190 Euro Kindergeld.
       
       ## Die Skepsis gab es damals schon
       
       Viele Ukrainer*innen fühlen sich als Teil der polnischen Gesellschaft,
       gehen arbeiten und bringen ihre Kinder in polnische Kindergärten, betont
       Bartosz Hordecki. Er ist Dozent und Forscher an der Fakultät für
       Politikwissenschaft und Journalismus an der Adam Mickiewicz Universität in
       Poznań.
       
       „Die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft ist weiterhin da, aber schon
       damals hat man auch über viele unschöne Dinge hinweggesehen. Wir haben
       heute die Stimmung von damals zu positiv in Erinnerung“, sagt er. Natürlich
       haben sich in einer sehr liberalen Stadt viele Menschen für die
       ukrainischen Geflüchteten eingesetzt, doch die Skepsis gegenüber
       Migranten gab es auch damals schon.
       
       Die aktuelle antiukrainische Haltung der Konservativen kritisiert er. „Mich
       wundert, dass sie glauben, die Ukrainer würden uns finanziell belasten. Die
       Mehrheit arbeitet, oft machen sie Jobs, die die polnische Bevölkerung nicht
       erledigen will.“
       
       Laut einer Studie von Juni 2025 machen Ukrainer 2,7 Prozent des
       Wirtschaftswachstums in Polen aus. Migranten aus der Ukraine tragen demnach
       mehr zum polnischen Haushalt bei, als sie an Sozialleistungen erhalten.
       Woher die Unzufriedenheit?
       
       ## Manipulation im Internet
       
       Hordecki analysierte mit Kollegen im Frühjahr 2023 Social Media Posts
       über ukrainische Geflüchtete in Polen. „Wir haben herausgefunden, dass sich
       User im Netz viel negativer äußern, als in den klassischen Medien.“ Dabei
       müsse man vorsichtig sein. Einige Posts seien nicht von Menschen verfasst
       worden.
       
       „Man darf die antiukrainische Haltung mancher Menschen in Polen nicht
       ignorieren, und diese nutzen auch das Internet für ihre Hetze. Doch wir
       haben auch gesehen, dass manipulierte Videos und Fotos zugenommen haben“,
       sagt Hordecki. Mit gezielter Desinformation will Russland die Solidarität
       der Polen gegenüber der Ukraine und ihrer Bevölkerung schwächen.
       
       Hordecki betont, dass der persönliche Austausch und die Berichterstattung
       lokaler Medien, dazu beitragen könne, die Skepsis zu mindern. Ähnlich sieht
       es auch Poznańs Bürgermeister. Jaśkowiak will bald in Bussen und Bahnen der
       Stadt den Lokalsender Radio Poznań laufen lassen, um die Bürger über ihre
       Stadt und das politische Geschehen im Land täglich zu informieren.
       
       18 Sep 2025
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Anastasia Zejneli
       
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