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       # taz.de -- Ugandische Exil-Künstlerin Stella Nyanzi: Radikal unhöflich
       
       > Die Dichterin Stella Nyanzi wurde in Uganda verfolgt, weil sie Präsident
       > Museveni als „Arschbacken“ bezeichnete. Nun lebt sie im Exil in
       > Deutschland.
       
   IMG Bild: Lässt sich nicht einschüchtern: Stella Nyanzi vor Gericht in Kampala, 2019
       
       Berlin taz | Wenn Stella Nyanzi über die Grausamkeiten des ugandischen
       Regimes redet, lacht sie. Es ist kein freudiges, sondern ein verzweifeltes
       Lachen – ein Lachen, wie man es auf den Märkten, in den Kneipen und auf den
       Straßen Ugandas häufig hört.
       
       Heute aber sitzt die Dissidentin in einem Café in Berlin-Wedding, im
       sicheren Exil. Vor ihr auf dem Tisch liegt ihr neuester Gedichtband „Im
       Mundexil“, der kürzlich in englischer und deutscher Sprache erschien. Darin
       verarbeitet Nyanzi ihre Verzweiflung – mit einer radikalen Unhöflichkeit,
       die in Uganda eine lange Geschichte hat.
       
       Die frechen und unverschämten Verse in ihrem nun vierten Buch sprechen vom
       Schmerz des ugandischen Alltags, von Korruption, Homophobie und Folter
       unter einem Regime, das sich seit fast 40 Jahren an die Macht in dem
       ostafrikanischen Staat klammert. [1][Nyanzi schont ihre Leser:innen
       nicht]: Detailreich dichtet sie über die eiternden Fleischwunden auf dem
       Rücken ihres gefolterten Genossen und die Ermordung des LGBTQ-Aktivisten
       David Kato.
       
       ## Weiterhin Rumstochern
       
       Und für dieses Leid will sie Rache: Sie schreibt von Maden, die den
       Leichnam der First Lady zerfressen. Oder sie droht Diktator Museveni, ihn
       mit einem Bleistift zu penetrieren: „Weit weg von Zuhause […] werde ich Dir
       weiterhin im Arsch rumstochern, / Mit scharfen Worten in deinen
       Leopardenarsch stechen.“
       
       Die Szenen sind so anstößig, dass kein autoritärer Machthaber das auf sich
       sitzen lassen könnte. „Wenn ich den Präsidenten nicht mehr mit ‚seine
       Exzellenz‘, sondern mit ‚ein paar Arschbacken‘ anspreche, durchbreche ich
       den Bann seiner Autorität“, sagt die ehemalige Professorin für
       Anthropologie. Für Nyanzi sind diese Beleidigungen nicht nur unhöflich,
       sondern auch radikal, weil sie die Macht der Herrschenden infrage stellen.
       
       Mit ihrer radikalen Unhöflichkeit schließt die 51-Jährige an eine Form des
       Widerstandes an, die bereits zu Zeiten der britischen Kolonialherrschaft
       entstand. Die Elite Bugandas – des größten afrikanischen Königreiches im
       britischen Protektorat Uganda – gab sich loyal und passte sich britischen
       Höflichkeitsregeln an. Dafür erhielt sie Gefälligkeiten und Positionen –
       und stützte so das Ausbeutungssystem.
       
       ## Fauliger Kern
       
       Doch nicht alle spielten mit. Als der ugandische Intellektuelle Semakula
       Mulumba zu einem Dinner mit dem anglikanischen Bischof von Uganda geladen
       wurde, beschimpfte er diesen als „reifen Apfel mit fauligem Kern“. Die
       britischen Kolonialherren beleidigte er allesamt als „weiße Schweine“. Er
       brach mit den Höflichkeitsregeln und weigerte sich, am Verhandlungstisch
       Platz zu nehmen.
       
       Seine Worte verbreiteten sich auf Flugblättern und brachten die Legitimität
       der kolonialen Ordnung ins Wanken. Von dieser weitverbreiteten
       antikolonialen Praxis der 1940er Jahre wisse heute kaum jemand in Uganda,
       so Nyanzi – nicht zuletzt, weil in den Schulen bis heute eher
       Kolonialherren glorifiziert als kritisch hinterfragt werden.
       
       „Meine Protestpersönlichkeit ist eine fiese Schlampe, eine Maschine“, sagt
       die Autorin. Privat wirkt Nyanzi hingegen herzlich und stellt höflich
       Nachfragen. Als Enkelin eines anglikanischen Pfarrers sei sie mit strikten
       Benimmregeln aufgewachsen. Im kirchlichen Internat sei sie zu einer
       kultivierten Ehefrau erzogen worden. „Frau zu sein, hieß, gesehen, aber
       nicht gehört zu werden“, beschreibt Nyanzi ihre Erziehung heute.
       
       ## Keine Medikamente
       
       „Es hieß: Lächle, aber mach deinen großen Mund nicht auf.“ Bis heute
       erwarten viele Männer der Baganda, der größten Bevölkerungsgruppe Ugandas,
       dass ihre Frauen bei jeder Begrüßung vor ihnen niederknien. Im Jahr 2014
       verlor Nyanzi dann ihren Vater, weil dem Krankenhaus die Medikamente
       ausgegangen waren, so erzählt sie.
       
       Ein Jahr später sei ihre Mutter gestorben, während sie vergeblich auf einen
       Arzt gewartet habe – das Krankenhaus habe kein Benzin für den Krankenwagen
       auftreiben können. Im von Korruption zerstörten Gesundheitswesen Ugandas
       sind solche Fälle keine Ausnahme. Für Nyanzi wurde der doppelte Verlust zum
       Wendepunkt: Sie brach mit der anerzogenen Höflichkeit.
       
       „Meine Sprache und meine Poesie wurden wütender, unhöflicher“, sagt sie
       rückblickend. In den sozialen Medien begann sie, den Präsidenten offen zu
       verfluchen – den Mann, dessen korrupte Herrschaft sie für den Tod ihrer
       Eltern verantwortlich macht.
       
       2018 dichtet sie auf Facebook: „Ich wünschte, der stinkende und juckende
       cremefarbene Candidapilz, der in Esiteris [der Mutter des Präsidenten]
       Fotze eitert, hätte dich bei der Geburt erstickt / Dich erstickt genau wie
       du uns mit Unterdrückung, Unterjochung und Repression erstickst!!“
       
       ## Entblößung vor der Kamera
       
       Als sie dafür wenige Monate später wegen „Cyberbelästigung“ vor einem
       ugandischen Gericht stand, zeigte sie: Radikale Unhöflichkeit kann sie
       nicht nur mit Worten, sondern mit vollem Körpereinsatz. Sie entblößte ihre
       Brüste vor laufender Fernsehkamera.
       
       [2][Das Bild der nackten Professorin, die ihre Mittelfinger in die Höhe
       reckt und dem Richter entgegenschreit, ging durchs Land]. „Ich habe
       Museveni beleidigt, weil er uns seit über 30 Jahren beleidigt. Wir haben
       die Diktatur satt“, erklärte sie nach dem Urteil: 18 Monate Haft im
       Luzira-Hochsicherheitsgefängnis.
       
       Nach ihrer Entlassung 2022 gelang Nyanzi die Flucht aus Uganda. Mit
       Unterstützung der Schriftstellervereinigung PEN Deutschland erreicht sie
       gemeinsam mit ihren drei Kindern München. In ihren nun im Exil
       veröffentlichten Gedichten verarbeitet sie die Schrecken von Folter und
       Fehlgeburt in Haft ebenso wie die Erfahrung der Flucht – und zeigt, dass
       sie sich nicht einschüchtern lässt.
       
       Nyanzi weiß genau, wie sie provoziert und Grenzen überschreitet, um
       Aufmerksamkeit zu erzeugen. Ihre obszöne Sprache machte sie zu einer der
       bekanntesten Widersacherinnen des Präsidenten. Eine junge Generation von
       Dichter:innen knüpft bereits in den sozialen Medien an ihre radikale
       Unhöflichkeit an. Schon ihre Forschung zu queeren Identitäten in Afrika war
       ein Tabubruch in einem Land, in dem Homosexualität mit lebenslanger Haft
       oder gar dem Tod bestraft wird.
       
       ## Zwischen Korruption und Repression
       
       Zwar sorgt ihre Obszönität für Aufmerksamkeit, doch nicht immer für
       Zustimmung. Anstatt ihre Wut über Korruption, Müttersterblichkeit und
       politische Repressionen zu teilen, ist die Öffentlichkeit vor allem
       entsetzt über eins: dass eine Frau aus der Kultur der Baganda es wagt,
       solch schmutzige Wörter in den Mund zu nehmen. Ihre sexualisierte Sprache
       wird oft als westlich, als unafrikanisch verstanden.
       
       Die Autorin widerspricht dieser Annahme: „Ich verbinde meine Poesie bewusst
       mit indigenen Traditionen.“ Auch hier in Deutschland trägt sie ein
       elegantes Kleid aus Kitenge, einem afrikanischen Stoff. Auch ihre
       Dreadlocks – ein Symbol afrikanischer Identität – hat sie mit dem blauen
       Stoff nach hinten gebunden. Sexualisierte Sprache sei kein westliches
       Phänomen, argumentiert Nyanzi: „Auch unsere Großmütter sangen offen über
       ihre Vaginas.“
       
       Sie erinnert auch an die mystische Macht, die einer Frau wie ihr – einer
       Nalongo, einer Mutter von Zwillingen – in der Kiganda-Kosmologie
       zugeschrieben wird: „Als Frauen mit weiten Vaginas hatten wir die Erlaubnis
       zu fluchen, zu beleidigen – sogar dem König zu sagen: Fick dich.“
       
       Ob sie gerne über den Arsch des Präsidenten schreibe? „Ich würde mit meiner
       dichterischen Freiheit lieber über schönere Dinge schreiben“, antwortet
       Nyanzi, während sie in der Sonne ein Eis löffelt.
       
       So scharf ihre Kommentare gegen das Museveni-Regime, so zärtlich sind ihre
       Gedichte über die Heimat. Weit weg von der Folter der Gefängnisse, findet
       Zärtlichkeit wieder Platz in ihrem Werk: die Liebe zu ihren
       Zwillingssöhnen, der Geschmack ugandischer Pfannkuchen und die Freude über
       ihre Tochter im Dirndl.
       
       19 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
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