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       # taz.de -- Schach-Weltmeisterschaft: Plötzlich Kandidat
       
       > Matthias Blübaum hat sich überraschend für das Kandidatenturnier um die
       > Schach-WM qualifiziert. Der 28-Jährige ist der erste Deutsche seit 35
       > Jahren.
       
   IMG Bild: Am Zug: Matthias Blübaum bei den Deutschen Meisterschaften, Mai 2025
       
       Einen deutschen Kandidaten für den Titel des Schachweltmeisters hat es
       schon sehr lange nicht mehr gegeben. Zuletzt hatte sich 1991 die im Januar
       verstorbene Legende [1][Robert Hübner] für ein Kandidatenturnier
       qualifiziert. Diesmal hatten deutsche Fans nur [2][Vincent Keymer] im
       Blick. Der war – mit nur 20 Jahren – vor wenigen Wochen mit einem
       grandiosen Turniersieg im indischen Chennai auf Platz zehn der
       Weltrangliste geschossen und nährte damit hiesige Titelträume.
       
       Der Traum eines deutschen WM-Kandidaten erfüllte sich nun beim
       Grand-Swiss-Turnier im usbekischen Samarkand tatsächlich – allerdings
       anders als gedacht. Keymer zeigte zwar erneut eine starke Leistung und
       schob sich dank seiner 7,5 Punkte nach elf Runden sogar auf Platz acht in
       der Weltrangliste vor, aber „für die Sternstunde des deutschen Schachs“,
       wie der Deutsche Schachbund nach dem „historischen Erfolg“ auf seiner
       Webseite jubelt, sorgte Matthias Blübaum.
       
       Blübaum, gebürtiger Lemgoer, wurde zwar heuer zum zweiten Mal
       Europameister, aber nicht einmal er selbst hatte sich auf der Rechnung:
       „Ich hätte niemals erwartet, in diesem Feld ein Partienplus von vier zu
       erreichen!“, postete der 28-Jährige nach dem Turnier auf X.
       
       Blübaum begann verhalten mit zwei Remis, bevor er mit drei Siegen in Serie
       gegen die Riege aus Indien auf sich aufmerksam machte. In Runde fünf schlug
       er dabei den topgesetzten Inder Rameshbabu Praggnanandhaa und nach einem
       weiteren Remis gleich den direkt dahinter gelisteten Arjun Erigaisi,
       ebenfalls aus Indien. So stand Blübaum, der erst nach dem Ende seines
       Mathematikstudiums den Sprung ins kalte Wasser wagte und Schachprofi wurde,
       plötzlich und sehr überraschend mit 5,5:1,5 Punkten an der Spitze des mit
       114 Großmeistern gespickten Feldes.
       
       ## Gutes Preisgeld gibt's dazu
       
       Dort ließ sich der kühle Rechner fast nicht mehr verdrängen, auch wenn
       weitere Siege ausblieben. Im zehnten Durchgang rettete sich Blübaum gegen
       seinen Nationalmannschaftskollegen Keymer nach 63 Zügen ins Remis. Das
       schuf für Blübaum bei jeweils 7:3 Punkten bessere Voraussetzungen in der
       Schlussrunde als für Keymer.
       
       Letzterer hatte in Durchgang sechs dem Franzosen Marc’Andria Maurizzi
       gratulieren müssen. So fiel er etwas zurück und bekam im Gegensatz zu
       Blübaum nominell schlechtere Gegner. Bei Punktgleichheit entschied der
       Durchschnitt der Elo-Weltranglistenzähler über die exakte Platzierung.
       Deshalb genügte dem Mathematiker Blübaum zum Abschluss ein Remis, um einen
       der zwei Plätze für das WM-Kandidatenturnier zu belegen.
       
       Entsprechend setzten Erigaisi und Keymer in ihrem Duell vergeblich die
       Brechstange ein. Nach einem unvermeidlichen Remis wurde Keymer Vierter und
       heimste 50.000 Dollar Preisgeld ein, Erigaisi (7) belegte nur Rang sechs.
       
       Matthias Blübaum wurde zwar noch von vom Niederländer Anish Giri
       überflügelt, der Hans Moke Niemann aus den USA schlug. Damit sicherte sich
       Giri mit acht Punkten die Siegprämie von 90.000 Dollar und erneut einen
       Platz im WM-Kandidatenturnier. Derweil ließ Blübaum, der Europameister aus
       Deutschland, nichts anbrennen und bremste den direkten Rivalen Alireza
       Firouzja mit dem Vorteil der weißen Steine mühelos aus. Firouzja, der aus
       Iran nach Frankreich geflüchtete Weltranglistensechste, landete so knapp
       vor Keymer – aber mit ebenfalls 7,5 Punkten hinter Blübaum, der den klar
       besten Gegner-Ratingschnitt aufwies. Zudem sicherte er sich mit 75.000
       Dollar sein bisher größtes Preisgeld.
       
       Bundestrainer Jan Gustafsson spendete seinen beiden Topleuten ein dickes
       Lob: Keymer habe seine Weltklasse bewiesen und er habe „im Worldcup noch
       eine weitere Chance, einen der acht Startplätze für das
       WM-Kandidatenturnier“ zu ergattern, tröstete ihn der Großmeister. „Eine
       unglaubliche Sensation, eine absolut verrückte Leistung“, bescheinigte
       Gustafsson hingegen Blübaum.
       
       Der gab sich derweil gewohnt bescheiden: „Vincent hätte es auch verdient
       gehabt“, befand er und ergänzte, „ich hatte vielleicht auch an der ein oder
       anderen Stelle mehr Glück.“
       
       ## Der Weltmeister erlebte ein Debakel
       
       An die Chancen beim WM-Kandidatenturnier 2026, dessen Zeitpunkt und Ort
       derzeit noch offen sind, wollte der Underdog keine Gedanken verschwenden,
       auch wenn er „im Moment sehr gut“ spiele. Als Profi peilt Blübaum erst noch
       den Sprung in den erlauchten Kreis der Spieler mit 2.700 Elo an. Mit zwei
       Siegen am Spitzenbrett für die SF Deizisau könnte Blübaum die Schallmauer
       schon am nächste Wochenende in der Bundesliga knacken.
       
       In der Schachszene wird Matthias Blübaum nun nach Vincent Keyner als neuer
       „deutscher Inder-Schreck“ gehandelt. Aber Blübaum selbst bekennt, er mache
       sich noch „keine Gedanken“ über das Kandidatenturnier oder gar einen
       Zweikampf um die WM.
       
       Chancenlos wäre Blübaum jedoch offensichtlich nicht. Für den amtierenden
       Weltmeister Dommaraju Gukesh war das Turnier in Samarkand nämlich ein
       Desaster. Hinter seinen Landsleuten Praggnanandhaa und Erigaisi an Position
       drei gesetzt, belegte Gukesh mit sechs Punkten nur Rang 41.
       Zwischenzeitlich verlor der mit 19 Jahren jüngste Weltmeister der
       Schach-Geschichte drei Partien in Folge. Trotz seiner zwei Abschlusserfolge
       rutschte er so hinter Giri und Keymer auf Platz elf der Weltrangliste ab.
       
       18 Sep 2025
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Pat van Noe
       
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