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       # taz.de -- Gelato in Berlin: Das Eis hat seinen Preis
       
       > Wer sich die Kugel geben will, muss immer tiefer in die Tasche greifen.
       > Warum ist das so? Zwei Eishersteller berichten.
       
   IMG Bild: Eis ist zum dahin schmelzen. Es zu bezahlen aber nicht
       
       Berlin taz | [1][Gelato, also echtes italienisches Speiseeis, herzustellen,
       ist ein eigenes Handwerk.] Enrico Piccin beherrscht es, er gilt als einer
       der besten Gelatieri Berlins. Vergangenes Jahr holte er sich den ersten
       Platz beim Einzelwettbewerb Gelato Festival World Masters. Im kommenden
       Jahr kämpft er in der deutschen Nationalmannschaft um den Weltmeistertitel.
       
       Was Piccin aber immer schwerer fällt: Gelato günstig verkaufen. Als er 2019
       seine Gelatiere Artigiani in Zehlendorf eröffnete, kostete eine Kugel Eis
       1,40 Euro. Inzwischen sind es 2,20 Euro.
       
       Für Berliner:innen ist Eis nicht nur Süßigkeit. Eis ist Sommer, ist
       Kindheit. Eis macht glücklich. Es zu bezahlen aber nicht. [2][Inflation,
       Wucher, Wirtschaftskrise – kein Argument scheint zu billig, um zu erklären,
       warum die Kugel an der Eisdiele nebenan wieder teurer geworden ist.]
       
       64 Prozent der Deutschen fanden dieses Jahr den Kugelpreis überzogen. Etwa
       ebenso viele gaben an, deshalb weniger Kugeln zu kaufen. Das fand das
       Meinungsforschungsinstitut YouGov bei einer Umfrage im Auftrag der dpa
       heraus.
       
       ## Eis-Preise steigen schneller als Inflation
       
       Eis hat also seinen Preis. Wie genau dieser aber gestiegen ist, ist gar
       nicht so einfach herauszufinden. Die Union für italienische
       Speiseeishersteller Uniteis lehnt Presseanfragen zum Kugelpreis kategorisch
       ab.
       
       Und das Statistische Bundesamt erfasst das Speiseeis lediglich zusammen mit
       anderen sogenannten gastronomischen Nachspeisen. Die stiegen in den
       vergangenen fünf Jahren etwa um 30 Prozent an – ähnlich stark wie auch das
       industrielle Eis am Stiel.
       
       Enrico Piccin verlangt mit seinem Kugelpreis von 2,20 Euro mehr als die
       meisten Mitbewerber in seinem Kiez. [3][Für Berlin liegt er aber nur leicht
       über den Durchschnitt. 2,17 Euro kostet die Kugel 2025 hier, wie das
       Sparfuchs-Portal Coupons.de herausgefunden haben will.]
       
       Das ist mehr als der Bundesschnitt mit 1,81 Euro. Seit 2024 stieg er um
       neun Cent, also knapp fünf Prozent. Die Inflation beträgt dagegen aktuell
       nur knapp zwei Prozent. Das bedeutet: Eispreise steigen schneller als die
       Inflation. Zumindest, wenn man dem Sparfuchs-Portal glaubt.
       
       ## Zutaten werden teurer
       
       „In nur fünf bis sechs Jahren hatten wir eine verrückte Steigerung von
       Kosten“, sagt Piccin. Er kramt eine Rechnung von 2019 hervor. Piccin liest
       vor: Damals zahlte er für ein Kilo Pistazien zwischen 20 und 25 Euro. Heute
       beträgt der Kilopreis 40 bis 50 Euro. Auch die Preise für Milch und Sahne,
       also zwei der Hauptzutaten für Gelato, haben sich mehr als verdoppelt. Und
       sein Kakao ist sogar dreimal so teuer.
       
       Und das sind nicht alle Kosten, die gestiegen sind. In seiner Gelatiere
       Artigiani verfolgt Piccini eine „No Convenience“-Politik. Er verwendet also
       keine Zutaten, die bereits weiterverarbeitet sind.
       
       Für sein Zitroneneis benutzt Piccin etwa kein Aroma oder ausgepressten
       Saft. Er importiert seine Zitronen aus Sizilien. Artigiani verarbeitet sie
       vor Ort weiter. Mandeln, Pistazien und Haselnüsse mahlt die Gelatiere auch
       selbst. Das alles kostet Zeit. Und die muss Piccin bezahlen. 2019 zahlte er
       seinen Mitarbeitern noch einen Mindestlohn von etwa 9,50 Euro. Heute liegt
       er bei fast 13 Euro.
       
       „Da kommen schon Preise zusammen, wo man erst mal tief durchatmen muss“,
       sagt auch Olaf Höhn. Er ist Geschäftsführer von Florida Eis. Die Berliner
       Marke stellt besonders nachhaltiges Eis in größeren Mengen her und
       beliefert damit zwei eigene Eisdielen, Gastronomie und Supermärkte.
       Aktueller Kugelpreis: 1,70 Euro.
       
       ## Weniger Gewinn trotz höherer Preise
       
       Das ist ebenso etwas teurer als die Kugel im letzten Jahr. Als
       Großproduzent läppern sich auch bei ihm die Kosten zusammen. Das gilt
       insbesondere für Strom. Eismaschinen fressen viel davon. Und wie eine
       Gelatiere muss Höhn das Eis ununterbrochen kühlen. Nach dem statistischen
       Bundesamt stieg der durchschnittliche Gewerbepreis pro Kilowattstunde
       zwischen dem zweiten Halbjahr 2019 und 2024 um 67 Prozent.
       
       [4][Der wichtigste Faktor bleibt aber das Wetter: Verregnete Julitage oder
       ein kühler August wie in diesem Jahr können das Geschäft ebenso schwer
       treffen wie hohe Kakao- und Milchpreise.] Eine kleine Gelatiere wie
       Artigiani trifft das besonders hart, denn sie ist darauf angewiesen, genau
       in diesen Monaten gut zu verdienen. Im Winter kauft kaum jemand Gelato.
       Eisdielen haben also geschlossen. Die Miete müssen sie dann aber trotzdem
       zahlen.
       
       „Dieser Sommer hätte besser laufen können“, sagt Olaf Höhn von Florida Eis.
       Seine Firma kann vermutlich dieses Geschäftsjahr trotzdem im Plus
       abschließen. Das hat der Eishersteller dadurch geschafft, indem er nicht
       alle Kosten, die entstehen, an die Kunden weitergibt. Höhn glaubt: Ist die
       Kugel günstig, beglücken Eltern nicht nur ihre Kinder mit einem Eis. Sie
       leisten sie sich dann auch selbst eins. „Manchmal muss man zurückhaltend
       sein, um überhaupt noch Umsatz zu machen“, sagt Höhn.
       
       Enrico Piccin kam zu einem ähnlichen Schluss. Eigentlich müsste seine
       Gelatiere Artigiani alles in allem 2,80 Euro pro Kugel verlangen, um noch
       die gleiche Gewinnmarge wie mit den 1,40 Euro von 2019 zu erzielen. Ein
       doppelt so hoher Kugelpreis also, und das nur innerhalb von fünf Jahren.
       Wenn er aber so viel verlangt, gehen seine Kunden vielleicht zur
       Konkurrenz, fürchtet Piccin.
       
       ## Billigeis im Kiez
       
       Und die gibt es in seinem Kiez an jeder Straßenecke. Bei vielen kostet die
       Kugel weniger als zwei Euro. Piccin versteht nicht, wie die Konkurrenz
       solche Preise anbieten kann. Er selbst würde damit Verluste machen.
       „Vielleicht haben sie ja bessere Lieferanten“, sagt Piccin ratlos.
       
       Oder sie sparen an anderer Stelle. In der Branche sollen Eispasten, Pulver
       oder künstliche Aromen beliebt sein, um frische Zutaten zu ersetzen und
       Personalkosten zu senken. Gerne mischt die Großindustrie auch mehr
       Emulgatoren in die Eismasse, um mit den Maschinen viel Luft in das Eis zu
       schlagen.
       
       Bei handwerklichem Gelato dient meist Eigelb als Emulgator, damit schlägt
       die Maschine zwischen 10 und 30 Prozent Luft hinein. Das macht das Eis
       cremig. Bei Industrieprodukten kann Luft aber bis zu 80 Prozent des Inhalts
       ausmachen. Da die Eispackung mit Liter- statt Grammangaben in der
       Gefriertheke vom Supermarkt landet, ist der Unterschied für Kunden schwer
       zu erkennen.
       
       Das bedeutet nicht, das mit handwerklichen Gelato kein Geld zu verdienen
       wäre. Mit den 2,20 Euro, die Piccin von seinen Kunden verlangt, kommt er
       zurzeit gut über die Runden. Es ist ein Preis, bei denen sich die meisten
       Menschen noch eine zweite oder dritte Kugel leisten können. Und das ist
       Teil des Geschäftsmodells einer Eisdiele.
       
       ## Berlin will ausgefallene Sorten
       
       Denn der Kugelpreis von 2,20 Euro gilt für jede Sorte – die Kosten in der
       Herstellung liegen aber unterschiedlich hoch. Pistazien- und Schokoladeneis
       sind etwa Must-have-Sorten, auf die Eisdielen nicht verzichten können, sie
       werfen aber vergleichsweise wenig Gewinn ab.
       
       Deutlich besser rechnen sich Fruchteissorten – insbesondere, wenn sich die
       Zutaten aktuell in der Saison befinden. Kombinieren die Kund:innen Sorten
       in ihrem Eisbecher, so das Kalkül, kommt die Eisdiele auf eine Gewinnmarge,
       von der sie leben kann.
       
       In Berlin lockt ein Gelatiere schon lange keine Kundschaft nur mit
       Schokoladen- und Pistazieneis an. Es braucht auch ausgefallene
       Eigenkreationen wie „Cheesecake“ oder „Moscow Mule“. „Die Menschen hier
       sind sehr experimentierfreudig“, sagt Piccin.
       
       Wie man sich da noch abhebt? Mit Olivenöl-Gelato mit einer Rosmarin-Fusion
       und Zitronenschalen-Garnitur etwa, eine gefragte Eissorte bei Artigani.
       2021 war auch sein Marihuana-Eis beliebt. Er mixte sogar schon mal eine Art
       Tomatensoßen-Sorbet inklusive Küchenkräuter und Focaccia zusammen.
       
       ## Anzeichen einer Eis-Preis-Stabilisierung
       
       Gut verkauft hat sich das nicht. Nach zwei Wochen verschwand es aus der
       Theke. „Aber die Leute reden immer noch darüber“, sagt Piccin lächelnd. Und
       Mundpropaganda ist wichtig. Sie lockt Kund:innen vielleicht nach der
       Winterpause wieder an, auch wenn die Kugel wieder um ein paar Cent teurer
       geworden ist.
       
       Vielleicht erwartet Eisliebhaber nächstes Jahr aber auch eine Überraschung.
       Olaf Höhn von Florida Eis glaubt, Anzeichen einer Preisstabilisierung bei
       Produkten wie Kakao zu erkennen. Billiger wird der Kugelpreis so zwar
       nicht. „Aber er könnte sich auf dem aktuellen Niveau halten“, hofft Höhn.
       
       3 Sep 2025
       
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