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       # taz.de -- Kollaps von atlantischem Strömungssystem: Rückschritt hätte enorme Folgen
       
       > Ob die Atlantische Umwälzzirkulation zusammenbricht, ist unsicher. Eine
       > Studie zeigt aber: Lassen wir beim Klimaschutz deutlich nach, kollabiert
       > sie.
       
   IMG Bild: Östlich von Grönland sinkt das Wasser der Umwälzzirkulation in tiefere Ozeanschichten. Geschieht das nicht mehr, friert Europa ein
       
       Berlin taz | Wenn die weltweiten Klimaschutz-Anstrengungen abnehmen, ist
       ein Kollaps der Atlantischen Umwälzzirkulation sehr wahrscheinlich. Unter
       den derzeitigen CO₂-Minderungspfaden ist die Unsicherheit über einen
       Zusammenbruch aber weiterhin sehr groß. [1][Zu diesem Ergebnis kommt eine
       Studie] einer niederländisch-deutschen Forscher*innen-Gruppe, zu der auch
       der Potsdamer Klimawissenschaftler Stefan Rahmstorf gehört.
       
       Die Atlantische Umwälzzirkulation – die unter anderem aus dem Golfstrom
       besteht – transportiert warmes Wasser aus den Tropen an die amerikanische
       Ostküste und dann nach Europa, bevor sich das Wasser im Nordatlantik
       abkühlt, in tiefere Ozeanschichten sinkt und dort wieder Richtung Tropen
       fließt. Die Wärme dieser Riesenpumpe, die im Englischen mit Amoc abgekürzt
       wird, ist einer der Gründe dafür, dass in Europa ein gemäßigtes Klima
       herrscht, obwohl die gleichen Breitengrade zum Beispiel in Kanada weit
       niedrigere Durchschnittstemperaturen erleben.
       
       Ein Kollaps hätte deshalb enorme Auswirkungen: Winter würden in Europa
       extrem kalt werden und Sommer sehr trocken. Außerdem würden sich
       Niederschlagsmuster verschieben, sodass zum Beispiel die Monsunregen in
       Südasien gestört würden. Von diesen Regen ist die Nahrungsmittelversorgung
       von Millionen von Menschen in dicht besiedelten Gebieten abhängig.
       
       Für ihre Untersuchung haben die Forscher*innen eine Gruppe von
       Klimamodellen genutzt, die dem Weltklimarat als Arbeitsgrundlage dienen und
       als internationaler Standard gelten. Der Weltklimarat besteht aus weltweit
       renommierten Forscher*innen und fasst regelmäßig den Stand der Forschung
       zusammen, zuletzt 2021/22. Der Weltklimarat nutzte die Simulationen aber
       nur, um Aussagen bis zum Jahr 2100 zu treffen. In der Studie verwenden die
       Forscher*innen Modellläufe, die über das Ende des Jahrhunderts
       hinausgehen.
       
       ## Für realistische Szenarien große Unsicherheit
       
       Demzufolge kollabiert die Atlantische Umwälzzirkulation in zwei Dritteln
       aller Szenarien mit sehr hohen CO₂-Emissionen, in einem Drittel der
       Szenarien mit gemäßigten Emissionen und in einem von fünf Szenarien mit
       niedrigen Emissionen.
       
       Die besonders gruseligen Szenarien rechnen aber mit einer Erderhitzung von
       3,3 bis 5,7 Grad bis Ende des Jahrhunderts. „Da ist der Stillstand der Amoc
       eine klare Story“, sagt Niklas Boers, Physiker an der Technischen
       Universität München. „Aber das ist ein extremes Szenario. [2][Bei den
       moderateren Szenarien] ist die Sache nicht so klar.“
       
       Bleibt die Welt etwa auf dem Klimaschutz-Pfad, [3][auf dem sie aktuell
       ist], wird sich die Erde um 2,2 bis 3,4 Grad erhitzen. Das stellt die
       Initiative Climate Action Tracker fest, hinter der mehrere
       Klimaforschungsinstitute stehen.
       
       Der Pfad, der diesen Voraussagen nahe kommt, entspricht also eher den
       moderaten Szenarien: Hier sagen die Modelle einen Amoc-Zusammenbruch in
       einem von drei Fällen bereits vor 2100 voraus. Für die Jahrzehnte nach 2100
       gibt es aber nur eine einzige Simulation. Und ausgerechnet dieser
       Modelllauf sagt keinen Kollaps des Strömungssystems voraus.
       
       Eine unabhängige Modellgruppe der NASA prognostiziert in den meisten
       Fällen, die dem derzeitigen Emissionspfad entsprechen, sogar eine Erholung
       der Amoc nach 2100. Auch hier kollabiert die Amoc allerdings in den
       extremen Szenarien.
       
       ## Studie hat nicht versucht, Unsicherheiten auszuräumen
       
       „Die Simulationen zeigen für die gleichen Modelle sehr unterschiedliche
       Verläufe für die gleichen Emissionspfade, das heißt die Unsicherheiten sind
       sehr groß“, sagt Boers. Von der Studie zu erwarten, diese Unsicherheiten zu
       verringern, sei aber unfair – das hätten die Forscher*innen nicht
       versucht.
       
       Um die Unsicherheiten zu verringern, müsse sich unser Verständnis der
       ablaufenden physikalischen Prozesse weiterentwickeln, sagt Boers. Außerdem
       müssten die Klima-Modelle besser werden, „und wir brauchen bessere Wege,
       unsere Beobachtungen vor Ort in diese Modelle einfließen zu lassen.“ Der
       größte Teil der Unsicherheit entstehe aber, weil wir nicht wissen, [4][wie
       viele Emissionen die Menschheit noch ausstoßen wird].
       
       Co-Studienautor Rahmstorf mahnt deshalb, es sei entscheidend, die
       CO₂-Emissionen schnell zu senken. Das verringere das Risiko eines
       Amoc-Zusammenbruchs erheblich, auch wenn es nicht ausreiche, es vollständig
       zu vermeiden.
       
       29 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/adfa3b#erladfa3bs2
   DIR [2] /Hitzewelle-im-Juni/!6096071
   DIR [3] /Schaeden-durch-Naturkatastrophen/!6099485
   DIR [4] /Energiewende-Monitoring/!6104625
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jonas Waack
       
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       nicht.