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       # taz.de -- Ewigkeitschemikalien im Wasser: Na denn prost!
       
       > PFAS sind potenziell toxisch. Der BUND weist aber in 42 von 46
       > Wasserquellen Belastungen nach – mancherorts sollen Kinder es nicht mehr
       > trinken.
       
   IMG Bild: Leitungswasser gilt als gesunde und günstige Alternative zu Mineralwasser. Aber an einigen Standorten ist es gefährlich belastet
       
       Die beste Nachricht lautet: Nicht überall ist das Trinkwasser mit PFAS
       belastet. Das geht aus einem [1][deutschlandweiten Test des Umweltverbandes
       BUND] hervor, dessen Ergebnisse am Dienstag in Berlin vorgestellt wurden.
       [2][PFAS sind per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen], die fett- und
       wasserabweisend wirken und deshalb in zahlreichen Produkten verwendet
       werden. Wegen ihrer extremen Haltbarkeit gelten sie als
       Ewigkeitschemikalien.
       
       Die schlechte Nachricht ist: In 42 der 46 in ganz Deutschland von Juni bis
       Oktober entnommenen Stichproben – also rund 91 Prozent – wurden im Labor
       PFAS nachgewiesen. In Güstrow, Schwerin, Ludwigslust sowie mehreren
       Standorten im Großraum Berlin werden sogar die ab dem kommenden Januar
       gültigen neuen Grenzwerte überschritten. Dabei sind diese Städte gar keine
       ausgewiesenen Industriestandorte: „Hier vermuten wir Altlasten als Grund“,
       sagte die Teamleiterin Chemie beim BUND, Luise Körner, auf taz-Nachfrage.
       Denkbar seien „Verschmutzungen durch Feuerlöschschäume“.
       
       Wenigstens Kindern sollte man dort kein Leitungswasser mehr verabreichen:
       Laut der Bundesanstalt für Risikobewertung dürften gerade ihnen negative
       gesundheitliche Folgen drohen, wenn sie es regelmäßig trinken –
       beispielsweise kann das Immunsystem geschwächt werden.
       
       Aussicht auf Besserung gibt es nicht. Wo der historische Verlauf des
       Eintrags dieser Stoffe in die Natur beobachtet wird, zeigt sich eine Art
       Hockey-Schläger-Kurve: Sie zeigt einen allmählichen Anstieg ab den 1970er
       Jahren, [3][der nach der Jahrtausendwende geradezu explodiert].
       Modellrechnungen des norwegischen Forschers Hans Peter Arp zeigen: Selbst
       bei einem sofortigen, vollständigen Stopp des Eintrags [4][würden die Werte
       infolge der Bioakkumulation noch jahrzehntelang ansteigen].
       
       ## Anreicherung im Körper
       
       Zudem ist die jeweilige Anfangskonzentration nicht so entscheidend wie bei
       anderen Giften. Die [5][langkettigen, lipophilen PFAS] reichern sich im
       Körper in Leber und Fettgewebe an: Deshalb ist es verboten,
       Wildschweinleber in den Verkehr zu bringen, vor dem Verzehr wird gewarnt.
       Die aus nur acht Atomen zusammengesetzte Trifluor-Essigsäure, [6][TFA, die
       lange für unbedenklich gehalten wurde, dagegen akkumuliert auch in
       pflanzlichen Zellen].
       
       So hatte die österreichische Umweltorganisation global 2000 im Frühjahr
       krasse TFA-Werte in Getreideprodukten nachgewiesen. Von 48 Proben waren 48
       kontaminiert, am heftigsten konventionelle Vollkornkekse mit 420 Mikrogramm
       pro Kilo (μg/kg). Einen offiziellen TFA-Grenzwert gibt es noch nicht. Als
       eher laxe Form der Regulierung hatte das Umweltbundesamt 2020 für
       Trinkwasser einen Leitwert von 60 μg/Liter festgelegt, aber empfohlen, die
       „regelhafte Belastung“ 10 μg/Liter nicht überschreiten zu lassen. Damals
       galt TFA allerdings noch nicht als fortpflanzungsgefährdend.
       
       ## Tausende Verbindungen
       
       Außerdem glaubte man, es werde von Säugetieren mit dem Urin ausgeschieden.
       Eine im Januar in der Fachzeitschrift [7][International Journal of
       Biological Macromolecules] publizierte Studie der Belgrader Biochemikerin
       Aleksandra Đurđević Đelmaš wies aber nach, dass TFA mit Bluteiweiß eine
       stabile Verbindung eingeht. Untersuchungen des Scripps Institute, La Jolla,
       hatten das im März bestätigt. Man habe „dramatische biologische Effekte in
       kultivierten menschlichen Leberzellen“ beobachtet, [8][heißt es im – nicht
       peerreviewten – Paper] von Chemie-Professor Reza Ghadiri.
       
       Insgesamt gibt es rund 10.000 PFAS. Getestet hat der BUND die Wasserproben
       auf 58 davon. Am „häufigsten und in den höchsten Konzentrationen“ habe man
       bislang unregulierte PFAS – wie TFA, Perfluorbutansäure (PFBA) und
       Perfluorpropansäure (PFPrA) – angetroffen: Sie sind [9][Abbauprodukte
       PFAS-haltiger Pestizide]. Die Schlussfolgerungen liegen für
       BUND-Geschäftsführerin Verena Graichen auf der Hand: „Nur eine umfassende
       PFAS-Beschränkung kann die zunehmende Verschmutzung unserer Umwelt
       stoppen“, sagt sie. „Die Politik muss uns alle schützen.“
       
       In Italien scheint die Justiz diese Schutzfunktion [10][durch abschreckende
       Urteile zu erfüllen]: Zu insgesamt 141 Jahren Knast hat der Corte d'Assise
       von Vicenza im Juni nach drei Jahren Prozess elf Manager des
       Chemie-Konzerns Miteni verurteilt. Der hatte bis 2013 das Wasser großer
       Teile Venetiens mit PFAS verseucht.
       
       Auch in Deutschland, Norwegen, Schweden, Belgien und Dänemark hatten die
       Fachbehörden 2023 [11][eine europaweite Ächtung von PFAS angeregt]. Aber
       schon der grüne Wirtschaftsminister der Ampelregierung, Robert Habeck, war
       dagegen vorgegangen, unter anderem gestützt [12][auf die wahrheitswidrige
       Behauptung, PFAS würden „nur in geschlossenen Systemen in der Produktion“
       eingesetzt]. Und der schwarz-rote Koalitionsvertrag stellt die PFAS
       geradezu unter Schutz: „Ein Totalverbot ganzer chemischer Stoffgruppen“,
       heißt es dort, „lehnen wir ab.“
       
       4 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bund.net/service/publikationen/detail/publication/bund-pfas-wassertest-pfas-im-wasserkreislauf-angekommen/
   DIR [2] /Schaedliche-PFAS-in-Meerestieren/!6116551
   DIR [3] /Belastung-durch-Pestizide/!6080656
   DIR [4] https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acs.est.4c06189#
   DIR [5] /Outdoorkleider-mit-Chemikalien-belastet/!5999280
   DIR [6] /Wirtschaft/!6110028&s=tfa/
   DIR [7] https://www.sciencedirect.com/journal/international-journal-of-biological-macromolecules
   DIR [8] https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2025.03.06.641713v1
   DIR [9] /Chemikalienbelastung-in-Gewaessern/!6010252
   DIR [10] https://www.renewablematter.eu/en/miteni-pfas-trial-historic-ruling-condemns-11-former-executives
   DIR [11] /Schadstoffe-in-Gewaessern/!6111734
   DIR [12] https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/pfas-chemikalien-lobby-100.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
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       weit genug.