URI: 
       # taz.de -- Die Wahrheit: Mit Gänsehaut auf die Geiselbahn
       
       > Im neuen Gaza-Erlebnispark wird Ausnahmezustand für Krisentouristen als
       > spannende Inszenierung erfahrbar.
       
       Ein kühler Septembermorgen in der Lüneburger Heide. Und doch liegt schon
       früh eine aufgeheizte Spannung über Bispingen, einer 6.500-Seelen-Gemeinde,
       rund fünfzehn Kilometer nordöstlich der Heidemetropole Soltau. Eingebettet
       in ein touristisches Gewerbegebiet an der A 7 zwischen Snow Dome, Kartbahn
       und Trampolinlandschaft, öffnet hier heute mit dem Gaza-Adventure-Dorf eine
       weitere Attraktion ihre Pforten. Auf 40.000 Quadratmetern erleben Besucher
       eine Art künstlichen Krisenstreifen – eine Mischung aus Themenpark,
       Freilichtbühne und Abenteuertraining.
       
       Am Eingang kontrollieren Mitarbeiter im stilisierten Outfit israelischer
       Militärs die Rucksäcke ausgewählter Gäste auf „gefährliche Gegenstände“.
       Unter dem Gejohle der Umstehenden werden Brillenetuis, Tupperdosen und
       Wechselsocken „konfisziert“. Ebenso „streng überwacht“ wird die Pflicht zum
       Tragen einer Kufija. Doch keine Sorge: Wer sein „Pali-Tuch“ vergessen hat,
       kann an der Kasse ein täuschend ähnlich gemustertes Geschirrtuch erwerben;
       auf Wunsch mit „Free-Gaza“-Stickerei – für nur 24 Euro 99.
       
       Vor dem Einlass stauen sich Familien, Schulklassen, Ausflügler; darunter
       auch eine ganze Wandergruppe der Linksjugend aus dem nahen Bad Bevensen
       sowie eine Busladung salafistischer Landfrauen aus der Gegend rund um
       Osnabrück. Noch in der Wartezone stehend, skandieren beide Gruppen
       gemeinsam gegen Israel. Hinter dem Drehkreuz erwartet sie dann die ebenso
       detailreich wie bedrückend gestaltete Kriegsgebietskulisse: bröckelnde
       Hausfassaden aus Pappmaché, staubige Gassen, Eselskarren, die zwischen
       verbrannten Autowracks, kantigen Raketenresten und einem geplünderten
       Hilfskonvoi cruisen.
       
       ## Fester Job als Geiselnehmer
       
       Laiendarsteller in zerschlissenen, aber farbenfrohen Kostümen spielen die
       sogenannten Streifenbewohner. Sie tragen Habseligkeiten hin und her,
       diskutieren die Trinkwasserqualität oder lassen sich theatralisch auf
       improvisierten Matratzenlagern nieder. Viele der Schauspieler stammen aus
       den strukturschwachen Regionen der Umgebung. „Ich habe hier einen festen
       Job als Geiselnehmer gefunden und gleichzeitig macht es Spaß, die Gäste zum
       Nachdenken zu bringen“, sagt Lars D., 33. Der ehemalige Langzeitarbeitslose
       aus Fallingbostel wurde vom Jobcenter ans Adventure-Dorf vermittelt.
       
       Immer wieder sorgen kleine Stilbrüche für Schmunzeln: Einer der Bewohner
       trägt top modische Sneakers unter seinem Kostüm, das ganz offensichtlich
       ein ausrangiertes Damennachthemd ist. Ein anderer groovt mit teuren
       Kopfhörern vor sich hin, während er seinen Eselskarren lenkt. Aber solche
       Szenen nehmen der Inszenierung des Krisengebiets die Schwere, vermitteln
       mit einem Augenzwinkern, dass hier vor allem die Unterhaltung im
       Vordergrund steht.
       
       Die Besucher können entspannt über das Gelände schlendern und so das
       angedeutete Elend ausgiebig auf sich wirken lassen. Die Kinder dürfen auf
       den Eselskarren mitfahren, ganz Mutige sogar deren Ladung aus Möbeln und
       Hausrat besteigen oder in den Autowracks herumstromern. Überall im Dorf
       laden interaktive Stationen zum Mitmachen ein.
       
       Zu den Highlights des Dorfprogramms zählen die stündlich per Sirenenalarm
       angekündigten „Verpflegungsausgaben“. Da inszenieren dann Schauspieler eine
       handfeste Prügelei um ein paar (plastene) Brotlaibe und erzeugen so für
       einige Minuten ein improvisiertes Chaos, in das die Besucher spielerisch
       miteinbezogen werden. Danach gibt es für alle Süßigkeiten und
       Wassermelonenlimo, stilecht serviert in löchrigen Metalldosen.
       
       Für Adrenalin sorgen auch Attraktionen wie die „Hilfsgüter-Pyramide mit
       Riesenrutsche“ und die große Fallschirmabwurfbude „Airdrops“. Oder
       Fahrgeschäfte wie das „Notstrom-Karussell“ und die „Greta-Schiffsschaukel“.
       Im „Freifall-Simulator“ kann man sich von vermummten „Kämpfern“ von einem
       Hochhaus stoßen lassen. Nicht wenige Besucher versuchen sich am „Hau die
       Fatima“, eine Variante des klassischen „Hau den Lukas“ – mit faustgroßen
       Steinen, die auf eine Gummipuppe mit Kopftuch geworfen werden.
       
       Wer noch mehr Gänsehaut verträgt, wagt sich in die unterirdisch gelegene
       „Geiselbahn“. Auch der mit roten Dreiecken markierte Weg zur
       „Hamas-Kantine“ mit ihrem reichhaltigen Angebot an regionalen Speisen führt
       durch das ausgeklügelte Tunnelsystem, das den gesamten Untergrund des
       Erlebnisparks durchzieht.
       
       Warum aber besuchen Menschen einen solchen Krisenpark? Für Marlene E. aus
       Wien ist die Antwort klar: „Mich faszinieren Krisen, aber mir als
       privilegierter weißer Person mit Reichweite ist es schlichtweg zu
       gefährlich, den Gazastreifen in echt zu bereisen. Hier bekomme ich den
       Nervenkitzel – ohne jedes Risiko.“ Andere Besucher nennen überraschend
       abwegige Gründe. Birgit, Rentnerin aus Celle, erklärt, sie nutze den Park
       als Trockenübung für den Ernstfall, falls es in ihrer Wohnanlage einmal
       einen Überfall durch jüdische Siedler gebe. Und das Elternpaar Jassir und
       Annalena H. aus Hamburg meint, das Gelände sei die ideale Gelegenheit, um
       den Antisemitismus ihrer Kinder zu fördern.
       
       Am Ausgang können Besucher Erinnerungsfotos machen lassen – mit Kanistern,
       Kochtöpfen und einer Pali-Fahne als Requisiten. Jedes Foto kostet 45 Euro,
       ein Teil der Erlöse geht an die Gaza-Flottille. „Wir verstehen uns als
       Erlebnispark, der auch konkrete Hilfsanstöße liefert“, erklärt Thomas
       Bergmann, 33, Geschäftsführer der Freetime Adventure GmbH, die mit dem
       Ukraine-Survival-Land in Cuxhaven, dem Refugees-Erlebnis-Camp in Moers und
       dem Sudan-Hochseil-Kletterpark im Harz bereits drei Freizeitparks mit
       Weltkrisenbezug betreiben. „Unsere Gäste sollen Spaß haben, aber auch
       spüren, wie man in Krisengebieten Gemeinschaft erlebt.“ Wie schon der
       Survival-Park in Cuxhaven werde auch Bispingen einen eigenen Soundtrack
       erhalten. Die Komposition besorgt eine bekannte Berliner Rapperin.
       
       Mit dem Gaza-Adventure-Dorf setzt Bispingen also seine Linie fort,
       außergewöhnliche Freizeitangebote zu bündeln. Der malerische Heideort,
       längst bekannt für seinen hohen Funfaktor, hat mit dem inszenierten
       Ausnahmezustand ein weiteres Alleinstellungsmerkmal gewonnen. Damit festigt
       der Standort Bispingen ganz eindeutig seine Rolle als norddeutscher
       Freizeithotspot.
       
       Anmerkung der Redaktion: 
       
       Dieser Text ist bei vielen Leser*innen und intern in der Redaktion auf
       deutliche Kritik gestoßen. Eine Erklärung des Ressorts dazu [1][findet sich
       hier]. Eine Kritik des taz-Redakteurs Mitsuo Iwamoto [2][steht hier].
       
       20 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Satire-Ressort-der-taz-aeussert-sich/!vn6114806/
   DIR [2] /Satire-kann-zu-weit-gehen/!6116119
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fritz Tietz
       
       ## TAGS
       
   DIR Gaza
   DIR Freizeitpark
   DIR Palästina
   DIR Antisemitismus
   DIR Satire
   DIR Reden wir darüber
   DIR Autobahnbau
   DIR Grenze
   DIR Landwirtschaftsministerium
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Satire kann zu weit gehen: Rassistische Gedankenspiele
       
       In einem satirischen Text entwirft ein taz-Autor das Szenario eines
       „Gaza-Erlebnisparks“. Dabei bedient er rassistische Klischees und rechte
       Narrative.
       
   DIR Die Wahrheit: Das endgültige Ende aller Staus
       
       Gerade in der Urlaubszeit werden Autofahrer von maroden Baustellen und
       bröckelnden Bauwerken behindert. Dabei gäbe es eine seit langem geheime
       Lösung.
       
   DIR Die Wahrheit: Scharmützel mit Zucker
       
       An der deutsch-polnischen Grenze geht es momentan hoch her. Rangeleien der
       Kellenschwinger auf beiden Seiten sind an der Tagesordnung.
       
   DIR Die Wahrheit: Der Mann fürs köstlich Rohe
       
       Wie tickt der neue Bundeslandwirtschaftsminister und Metzgermeister Alois
       Rainer privat? Ein Besuch in der bayerischen Heimat des CSU-Politikers.