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       # taz.de -- Aus für „Jimmy Kimmel Live“: Die Nächte werden länger
       
       > US-Late-Nights waren einst freies Terrain für die ironische
       > Selbstbefragung einer ganzen Gesellschaft. Das Ende von Kimmels Show ist
       > ein Desaster.
       
   IMG Bild: Nahbar und zugleich scharfzüngig wie ein politischer Kommentator: Jimmy Kimmel
       
       Als Johnny Carson 1962 mit seiner „Tonight Show“ anfing, gewöhnte er den
       USA eine intelligente, unterhaltsame Leichtigkeit an, die zur TV-Tradition
       wurde: Carson brachte mit hochgezogener Augenbraue das Land zum Kichern,
       David Letterman erhob die Pause zur Kunst und [1][Jon Stewart] verwandelte
       den Eröffnungsmonolog zum moralischen Kommentar. Die Nacht im
       US-amerikanischen Fernsehen war eine Art demokratischer Schutzraum, in dem
       die Menschen auch über Dinge lachen durften, die schmerzen. Die Moderatoren
       prallten mit Ironie auf die Welt, weil ihnen die Welt nicht egal war,
       sondern am Herzen lag.
       
       [2][Jimmy Kimmel] ist unter den aktuellen Late-Night-Talkern vielleicht der
       mit dem größten Herz. Der Mann kann aus einem Gag heraus in eine Empfindung
       kippen, die tief und wahr ist, er verbindet alberne Spiele mit ernsthaften
       Appellen und findet so eine Balance, von der die meisten Moderatoren nicht
       einmal wissen, dass es sie gibt.
       
       Kimmel war nie der glatteste unter den Late-Night-Größen, nie der
       eleganteste Conferencier mit makellosem Timing. Sein Genie liegt im
       Gegenteil: in der Mischung aus Derbheit und Verletzlichkeit, in der
       Fähigkeit, das Lachen gleich neben der Rührung zu platzieren. Er kann auf
       der Bühne kindisch sein, mit Streichen und mit schrägen Rubriken wie
       [3][„Mean Tweets“] – und im nächsten Moment die Kamera nutzen, um über das
       Herzleiden seines kleinen Sohnes zu sprechen. Da, wo andere eine Fassade
       errichten, lässt Kimmel bewusst Risse sichtbar.
       
       Gerade diese Doppelgesichtigkeit macht ihn zu einem Ausnahmephänomen:
       nahbar und zugleich scharfzüngig wie ein politischer Kommentator. [4][Seine
       besten Monologe] verbinden den Zorn des Bürgers mit dem Witz des Komikers,
       seine Interviews leben von der Gabe, Stars zu entwaffnen, ohne sie zu
       entwürdigen.
       
       Kimmel ist kein ironischer Intellektueller wie Colbert, kein show-manischer
       Charmeur wie Fallon. Er ist etwas Drittes: der Mann, der das Chaos der
       amerikanischen Gegenwart mit einem Schulterzucken, einem Seitenhieb und
       einem plötzlichen Ernst ins Bild bringt. Das Talent, scheinbar leichtfüßig
       über den Abgrund zu tänzeln, macht ihn zu einer der authentischsten Stimmen
       der Late Night.
       
       Die Sätze stehen da im Präsens, dabei war es das vorerst für Kimmel, seine
       Show wurde Donnerstag „ausgesetzt“, das klingt etwas freundlicher als
       „abgesetzt“, wie es die Show von Stephen Colbert ist. Doch beide Fälle sind
       ein grauenhafter Triumph für Donald Trump und ein Schlag gegen Ironie,
       Menschlichkeit, Spitzenunterhaltung und die Demokratie.
       
       Colbert, der immer schon bewies, dass Unterhaltung und Haltung keine
       Gegensätze sind, war Trumps erstes Late-Night-Opfer, bei Kimmel reichte ein
       Monolog über den [5][Mord an Charlie Kirk]: Er kritisierte jene, die das
       Verbrechen politisch ausschlachten wollten, und hielt ihnen den sogenannten
       Spiegel vor. Was Late Night schon immer war, nämlich kluge, zugespitzte
       Reflexion, wurde ihm zum Vorwurf. Senderketten wie Nexstar verweigerten die
       Ausstrahlung, die Aufsichtsbehörde FCC drohte und ABC setzte seine Show
       aus. Auf unbestimmte Zeit, wie es offiziell heißt.
       
       Dass diese Aus- und Absetzungen Entscheidungen von ganz weit oben sind,
       bewies Trump mehr oder weniger selbst, als er Ende Juli auf seiner
       Plattform schrieb, er weise jede Verantwortung für Colberts Absetzung von
       sich – nur um einen halbgaren Satz später Jimmy Kimmel und Jimmy Fallon als
       „die nächsten im unbegabten Late-Night-Karussell“ zu verspotten und sich
       für ihren möglichen Untergang eine Mitverantwortung zu wünschen. Das liest
       sich heute wie eine Bestellung.
       
       Das Late-Night-Format war einst das freie Terrain für den respektlosen Witz
       und die ironische Selbstbefragung einer ganzen Gesellschaft. Kimmels
       Sendung ist keine reine Unterhaltung, sondern eine Kulturtechnik der
       Demokratie.
       
       Dass er seiner Show beraubt wird, ist mehr als ein medienpolitischer
       Zwischenfall. Es ist ein Desaster. Denn ohne die Ironie, ohne die
       satirische Selbstbefragung werden die Nächte lang und länger. Bis am Ende
       alles von der Dunkelheit verschluckt wird.
       
       18 Sep 2025
       
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   DIR [4] https://www.youtube.com/watch?v=5JxELubSgJg
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