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       # taz.de -- Buchkaufhäuser: Bindung ans Objekt
       
       > Keiner braucht die großen Buchkaufhäuser, die Literatur so verkaufen, als
       > wäre sie Wurst aus der Fleischfabrik.
       
   IMG Bild: Im Buchkaufhaus sieht man die Literatur vor lauter Büchern nicht
       
       Bremen taz | Bis auf den Geruch ähneln die großen Buchkaufhäuser den
       agrarindustriellen Mastställen: In denen ist ein Schwein nur ein zählbarer
       Wert, der so schnell wie möglich an den Schlachthof vermittelt werden soll,
       ganz wie ein Buch bei Buchwarenhäusern nur im Regal steht, um bald verkauft
       und weg zu sein. Gutes Schwein, schlechtes Buch? Wurst! Hier wie da fällt
       vor allem die große Masse an Mist auf und dass den Mitarbeitenden oft eine
       tiefere Bindung ans Objekt nicht hat gelingen wollen.
       
       Weiß jeder. Bemerkenswert daran: Der [1][seit Jahrzehnten stabile Umsatz]
       verschiebt sich stetig zugunsten der Buchvollsortimenter. Hugendubel
       wächst, Thalia verdaut Weltbild, die Zahl der Buchläden aber sinkt: Im Jahr
       2003 gab es 5.127. Davon waren laut statistischem Bundesamt 2023 nur noch
       2.843 übrig.
       
       Ein Corona-Effekt ist das nicht: Den krassesten Einbruch hatte es zehn
       Jahre vor der Pandemie gegeben. Am Ende von 2009 waren nur noch 88 Prozent
       der Buchhandlungen übriggeblieben, die ins Geschäftsjahr gestartet waren.
       Differenzierter bekommt man diese Statistiken vermutlich nicht. Trotzdem
       ist klar, dass nur selten die Riesenläden eingehen. Auch das Höfesterben
       rafft schließlich mehr bäuerliche Biobetriebe hinweg als Agrarfabriken.
       Qualität reicht nicht. Weder Kompetenz noch ein kundig kuratiertes
       Veranstaltungsprogramm schützen vor Konkurs.
       
       ## Arschlöcher profitieren
       
       Am E-Book liegt das momentan nicht so sehr. Das hatte vor zehn Jahren ein
       High: 2014 und 2015 [2][hat die Gesellschaft für Konsumforschung 3,9
       Millionen E-Book-Käufer gemessen], doch seit drei Jahren liegt deren Zahl
       nur noch bei 3 Millionen. Das E-Book gilt seit Langem und auch aus guten
       Klimagründen als die Zukunft des Buchs, was verdrießlich für die Buchläden
       ist: Digitalausgaben erwirbt man gern im Netz. Fast immer sind sie beim
       Verlag, also im Direktvertrieb zu haben. Und wenn nicht, bekommen die
       stationären Händler auf sie eben doch nur einen Minirabatt von höchstens 15
       Prozent. Weil die Buchpreisbindung gilt, bestimmt dieser den
       Ladenbetreiber*innen gewährte Nachlass auch deren Gewinnmarge: 30 bis
       40 Prozent sind für Print normal, die Marktbeherrscher erzwingen sogar 50
       Prozent: Die Arschlöcher profitieren also auch pro Stück am meisten.
       
       Umso rätselhafter, dass es sie eben doch immer wieder gibt, die nette
       Buchhändlerin, der es gelingt, einen lokalen Lieblingsbuchladen – Achtung,
       hier wird’s subjektiv – zu eröffnen, zu betreiben und jahrelang am Leben zu
       erhalten – gegen den Trend, der seit 20 Jahren anhält. Den gibt es auch in
       Bremen, das sich seit 2024 Unesco City of Literature nennen darf. In den
       vergangenen Jahren haben hier zahlreiche Buchhandlungen geschlossen, auch
       Traditionshäuser mit über 100-jähriger Geschichte, in bester Lage. Zugleich
       aber haben, im alten Hafenarbeiterstadtteil Walle, im bürgerlichen
       Findorff, aber auch im gentrifizierungsbedrohten Zentrum völlig neue
       eröffnet. Nur wie geht das?
       
       „Ich weiß es doch auch nicht“, sagt Ausma Zvidrina, die vor 18 Jahren den
       gegenwärtigen Lieblingsbuchladen im Viertel in Bremen gegründet hat, dort
       heißt er Golden Shop. Der ist immerhin so beliebt, dass es gelungen ist,
       genügend zinsarme Direktkredite von seinen Fans einzuwerben, als es vor
       fünf Jahren darum ging, das Haus im Szenestadtteil zu kaufen und ins
       Kollektiveigentum eines Mietshäusersyndikats zu überführen, solidarisch und
       an allen Banken vorbei.
       
       Die Kostenstruktur verschlankt das aber erst mal nicht, die Miete sei sogar
       höher als vorher, nur werde sie halt nicht steigen. Aber geplant war das
       nicht, wie könne es?, dass sich die Kund*innen so an den Shop binden:
       „Ich habe halt einfach einen Laden gemacht, der spiegelt, wie ich bin“,
       sagt Ausma Zvidrina, „das gab es nicht.“ Auch nicht im Viertel.
       
       ## Lustvoll-stilles Abscannen
       
       Es ist eigentlich eine Binsenwahrheit, dass der stationäre Buchhandel vor
       allem dann eine Chance hat, wenn die Leute, die ihn betreiben, nicht nur
       ihre Liebe und Persönlichkeit reinstecken, sondern eben auch zum Ort passen
       und zu den Leuten, die da leben. Ein Buchladen formuliert, viel mehr als
       irgendein anderes Geschäft, ein Gesprächsangebot – wobei das Gespräch eben
       auch im Stillen, als lustvoll-stummes Abscannen der Regale mit den Augen
       funktioniert.
       
       Man kann in diesem Gespräch nicht Recht oder Unrecht haben, das ist
       angenehm. Trotzdem mag nicht jede mit jedem reden. Das Profil radikal
       punklinks, theoriefreudig, sowohl Platten als auch Bücher und die richtigen
       Comix hätte in anderen Bremer Stadtteilen wohl schlechter und in Erfurt
       [3][nur mit Panzerglasscheibe] gelungen.
       
       Bestimmt muss man an anderen Orten auch der Laden sein, der zuverlässig den
       neuesten Wahl- oder Brown-Schinken parat hat, über den alle Kolleg*innen
       gerade reden und die Internetfreunde auch. Das ist auch voll okay. Es muss
       nur zu einem selber passen: Nur wer die Träume und Vorstellungen der Texte
       teilt, kann sie auch gut vermitteln, ohne dass der Kunde denkt: Ich bekomme
       hier irgendeinen Abfall untergejubelt. Buchhändler*innen, die Bücher
       verkaufen, als wären sie so egal wie Leberkäse, die braucht kein Schwein.
       Solche Kaufhäuser bereichern auch die Städte nicht. Das kann das Internet
       besser.
       
       2 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.boersenverein.de/fileadmin/bundesverband/dokumente/presse/digitale_pressemappen/WIPK/Tabellenkompendium_2025.pdf
   DIR [2] https://www.boersenverein.de/markt-daten/marktforschung/e-books/
   DIR [3] https://www.thueringen24.de/erfurt/article24490/erfurt-rechte-posieren-vor-linken-treffpunkt-auseinandersetzung.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
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