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       # taz.de -- ADHS im Erwachsenenalter: Die Zeit des ADHS-Shamings ist nun endlich vorbei!
       
       > ADHS galt früher als Makel. Heute feiert die jüngere Generation ihre
       > Eigenarten und bricht mit alten Klischees.
       
   IMG Bild: Das asoziale Problemkind ist der liebenswert verpeilten Highperformerin gewichen
       
       Die 14-jährige Tochter von Bekannten erzählte neulich von ihrer
       Schulfreundin. „Amanda ist so krass! Sie spielt Hockey, Basketball und
       voltigiert. Dann übt sie noch jeden Tag Geige und näht sämtliche Kostüme
       für die Musical-AG!“
       
       Alle staunten. „Na ja“, schob die Teenagerin erklärend hinterher: „Sie hat
       halt auch ADHS.“
       
       Kein Zweifel, die Sicht auf ADHSler hat sich in den vergangenen Jahrzehnten
       verändert – und zwar massiv.
       
       Das asoziale Problemkind, das den ganzen Tag im Cola-Rausch Ballerspiele
       zockt und sich auf dem Pausenhof prügelt, ist der liebenswert verpeilten
       Highperformerin gewichen: unkonzentriert, aber entertaining, an tausend
       Dingen gleichzeitig interessiert und selbstbewusst genug, sich zur eigenen
       Kondition zu bekennen.
       
       ## Kein Tabu mehr
       
       Wenn man seine Diagnose, wie ich, Anfang der 1990er Jahre bekommen hat,
       könnte man fast neidisch werden. Meine Eltern wollten meine
       „Hyperaktivität“, wie es damals noch hieß, am liebsten totschweigen: wie
       peinlich, ein Kind, das nicht wie die anderen ist!
       
       Mangelnde Impulskontrolle galt zudem als Folge schlechter Erziehung und
       wurde – natürlich – den Müttern angelastet. Die Probleme verschwanden
       dadurch aber nicht: Ich bewarf meine Grundschullehrerin mit Stiften (warum
       auch immer), nahm als Teenie viel zu viele Drogen und flog in der 10.
       Klasse dann endgültig von der Schule. Eine klassische ADHS-Karriere, die
       ihre Spuren hinterlässt.
       
       Heute stehen ADHS-Kindern [1][an deutschen Schulen Nachteilsausgleiche] zu.
       Auf Social Media können Betroffene aus Hunderten neurodivergenz-sensiblen
       Communitys frei wählen. Es gibt „Du bist nicht allein“-TikToks und Tipps
       gegen Prokrastination im Studium. Promis monologisieren in mehrstündigen
       Dokus über ihre permanente Inspiriertheit, und das Krasseste: Sie alle
       zelebrieren ihre ADHS, als wäre es ein angesagter Club.
       
       Doch Neid ist kein typisches ADHS-Gefühl. Im Gegenteil: Durch die
       andauernde Jagd nach Dopamin – einem der [2][Botenstoffe, die in unseren
       Gehirnen] zu wenig vorhanden sind – neigen wir eher zu überbordender
       Begeisterung. „Hey, wie schön für euch! Mega, dass ihr euch so gut
       entfalten könnt!“
       
       ## „Reiß dich zusammen!“
       
       Aber die Trauer und die Scham von damals – die fühle ich noch. Und andere
       auch. Besonders die Gruppe der sogenannten [3][Spätdiagnostizierten], also
       der heute Erwachsenen.
       
       Denn wer als 40-Jährige ADHS hat, die hatte es zwingend auch als Kind in
       den 90ern. Oft ohne es zu wissen, denn man sprach ja nicht darüber. Das
       Starterpack hieß „Reiß dich zusammen!“, und wer das aus welchen Gründen
       auch immer nicht schaffte, dem drohte soziale Ausgrenzung.
       
       Heute sind die Zeiten, in denen man Menschen passgenau in die
       Leistungsgesellschaft hineinshamed, vorbei. Ob Körpermaße,
       Geschlechtsidentität oder eben Neurodivergenz: Die junge Generation lässt
       sich nicht mehr so einfach vorschreiben, wie sie funktionieren soll.
       
       ## Traut euch aus euren Ecken raus
       
       Sie stellt Dinge infrage, verweigert sich den Erwartungen anderer, sie
       sucht sich ihre Interessen selbstbewusst aus – und bricht angefangene
       Projekte ohne schlechtes Gewissen wieder ab.
       
       In diesem Klima können sich immer mehr ADHSler ohne Angst outen, ja sogar
       abfeiern! Und auch die Problemkinder von damals trauen sich aus ihren Ecken
       raus und sprechen über ihre Macken, ihre Stärken und ihre Traumata. Und das
       ist doch immerhin ein Anfang.
       
       21 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.zentrales-adhs-netz.de/fuer-paedagogen/schulrechtliche-rahmenbedingungen/?utm_source=chatgpt.com
   DIR [2] https://gemeinsam-adhs-begegnen.de/was-ist-adhs/ursachen/was-passiert-im-gehirn/
   DIR [3] https://gemeinsam-adhs-begegnen.de/was-ist-adhs/diagnose/erwachsene/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sunny Riedel
       
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