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       # taz.de -- Syrischer Bürgerkrieg: Brot aus dem Nichts
       
       > An einem kalten Februarmorgen im syrischen Bürgerkrieg ist der
       > Kühlschrank unserer Autorin leer und der Backofen kaputt. Trotzdem bäckt
       > sie Brot.
       
   IMG Bild: Dass das Brot eines Tages von den Tischen verschwinden würde, schien vor dem Krieg unvorstellbar
       
       Meist erinnere ich mich an diesen Tag bei Familienfeiern. So auch beim
       letzten [1][Opferfest], als wir die Verwandtschaft meines Mannes in Amuda,
       einer Stadt im Nordosten Syriens, besuchten. Wie üblich, bereiteten die
       Frauen der Familie „Hamis“, ein Festessen mit Lammfleisch, zu, für das
       unsere [2][kurdische Region] bekannt ist. Ich half meinen Schwägerinnen
       beim Kneten des Brotteigs, schaute auf das lodernde Feuer im Ofen und war
       augenblicklich zurück an jenem Morgen. Ich dachte an das Lachen meiner
       Kinder, an die Brotkrümel auf ihren Lippen, an den Hunger. Ich dachte
       zurück an den Tag, an dem ich lernte, wie man trotz Not der Verzweiflung
       widersteht.
       
       Als der [3][Bürgerkrieg] Syrien zerriss, waren es nicht nur die
       Bombardements, die unser Leben veränderten, es war auch die bedrückende
       Leere, die danach einzog. Es war die Stille in den Küchen, in denen nicht
       mehr gekocht wurde, es waren die lautlosen Wasserhähne, die nicht mehr
       tropften, die dunklen Zimmer ohne Licht und die Regale, die – bis auf das
       Nötigste – leergeräumt waren. Es fehlte an Brot. Dieses Grundlebensmittel,
       von dem wir nie gedacht hätten, dass es je von unseren Tischen verschwinden
       könnte.
       
       An einem kalten Morgen im Februar 2012, meine drei Kinder, das jüngste acht
       Jahre alt, machten sich gerade für die Schule fertig, öffnete ich den
       Kühlschrank und fand darin nur ein paar Oliven und einen kleinen Teller mit
       Joghurt. Mein Mann war gerade mit leeren Händen aus der Bäckerei – oder was
       davon übrig war – zurückgekommen. Die Bäckerei in unserem Viertel in der
       Stadt Al-Hasaka hatte wegen Mehlmangel geschlossen.
       
       Einen Moment lang saß ich regungslos da und starrte auf die leeren Töpfe in
       der Küche. Das war alles, was ich ihnen zu essen anbieten konnte. Ich
       fühlte mich hilflos, angesichts des Hungers meiner Kinder, doch fiel mir
       die kleine Tüte Mehl wieder ein, die ich noch hatte.
       
       Ohne nachzudenken, holte ich eine Schüssel, schüttete das Mehl hinein,
       mischte es mit Wasser und Salz – nur nach Gefühl – und knetete es mit
       zitternden Händen. Wie sollte ich ohne Hefe, ohne Ofen und ohne Strom Brot
       backen?
       
       Mein Mann beobachtete mich. Erstaunt fragte er, was ich da mache. Er
       wusste, dass ich nicht backen kann. Schließlich bin ich in Damaskus
       aufgewachsen und anders als die Frauen vom Land wissen Hauptstädterinnen
       eher selten, wie man Brot bäckt. Ich antwortete, während sich meine Augen
       mit Tränen füllten: „Ich werde backen!“.
       
       Unser Elektroofen war vor Wochen bei einem Stromausfall kaputtgegangen. Ich
       ging in den Hof und sammelte einige Stöcke, die mein Mann vom Beschneiden
       der Weinreben im Garten aufbewahrt hatte. Sie waren feucht, also holte ich
       – weil ich nichts anderes fand – die alten Schulhefte meiner Kinder, die
       ich eigentlich, als Andenken aufbewahrt hatte, und machte ein Feuer. Ich
       fand auch eine rostige Metallplatte – Schrott, der in unserem Garten
       herumlag. Gemeinsam verwandelten mein Mann und ich das Stück Metall in eine
       provisorische Bratpfanne.
       
       Nun versuchte ich, den Teig mit einem runden Holzstab auszurollen. Kaum
       hatte ich den ersten Teigfladen auf die heiße Metallplatte gelegt,
       verbrannte er. Der zweite Fladen klebte an der Platte fest, garte, aber
       blieb in der Mitte roh. Der dritte wurde sehr hart und zerbrach. Die ganze
       Arbeit war mühsam, der Backvorgang reine Glückssache. Mir kamen die Tränen.
       Ich schaute meine Kinder an, die mit leeren Mägen und hoffnungsvollen Augen
       um mich herumstanden, und sagte: „Das liegt am Rauch“, dann machte ich
       weiter.
       
       Schließlich sammelte ich einen kleinen Haufen gebackenen Teig zusammen, der
       kaum wie Brot aussah. Ich kochte Tee, stellte ihn neben den Teller mit
       Oliven und Joghurt und rief meine Kinder zum Frühstück. Ich schämte mich
       für die verkohlten Ränder und die seltsame Form der Stücke. Aber ihnen war
       das egal. Sie machten sich nicht lustig darüber, sie murrten auch nicht.
       Sie aßen mein Brot mit Appetit und verschlangen jedes Stück mit einer
       Freude, als hätte ich ihnen ein Festmahl zubereitet.
       
       In diesem Moment wurde mir klar, dass ich nicht nur Brot gebacken hatte.
       Ich hatte etwas aus dem Nichts geschaffen. Aus meiner Angst und der Sorge
       einer Mutter, die ihre Kinder inmitten des Krieges beschützen will.
       
       Es war das erste Mal, dass ich Brot gebacken habe. Es war nicht perfekt,
       aber es war mein Brot. Und es hat uns geholfen, weiterzumachen. In einer
       Welt, die uns im Stich gelassen hatte, in einem Krieg, der alles zerstört
       hat, hat mir dieser Moment etwas zurückgegeben: das Gefühl von
       Verantwortung und das Wissen darüber, dass selbst im Überleben Würde
       steckt.
       
       4 Sep 2025
       
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