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       # taz.de -- Verfassungsrichterwahl im Bundestag: Diesmal scheint es wirklich zu klappen
       
       > Union und SPD sind zuversichtlich, dass die Hängepartie um die
       > Richter:innen-Wahl nun ein Ende hat. Obwohl die AfD wieder hetzt.
       
   IMG Bild: Zweiter Anlauf Wahl der Bundesverfassungsrichter*innen: Jens Spahn versichert bei Caren Miosga, wie kommunikativ er unterwegs sei
       
       Berlin taz | „Ja, das wird am Donnerstag klappen.“ Jens Spahn,
       Unionsfraktionschef der Union klang am Sonntag richtig euphorisch als er
       bei Caren Miosga über die anstehende [1][Wahl der Richterinnen fürs
       Bundesverfassungsgericht] sprach. Die neue Kandidatin sei eine sehr, sehr
       gute, davon habe er sich im Gespräch mit ihr überzeugen können. Und
       außerdem habe man ja aus der – verpatzten – Wahl im Juli – gelernt: mehr
       Menschen eingebunden, mehr Rückkopplung und er selbst habe sich auch
       stärker eingebracht.
       
       Dass die Koalitionsparteien die Wahl von drei Richter:innen fürs
       Bundesverfassungsgericht Anfang Juli in letzter Minute absagten, war vor
       allem Spahn angelastet worden. Der Fraktionsvorsitzende galt als
       geschwächt. Er habe den heraufziehenden Sturm in der Unionsfraktion
       [2][gegen die Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf] unterschätzt, hieß es aus
       der Koalition, und sei daran gescheitert, eine stabile Mehrheit in den
       eigenen Reihen zu organisieren.
       
       Brosius-Gersdorf war wegen ihrer liberalen Position zum Abtreibungsrecht
       ins Visier rechter Medien und Portale geraten, die gegen sie mobilisierten.
       In den Tagen vor der Wahl meldeten immer mehr Abgeordnete aus der Union
       Gesprächsbedarf an und erklärten, Brosius-Gersdorf aus Gewissensgründen
       nicht mitwählen zu können. Die in der geheimen Abstimmung notwendige
       Zweidrittelmehrheit schmolz wie Eis in der Sonne.
       
       Diesmal muss Spahn also zeigen, dass der die Dinge besser im Griff hat. Und
       es sieht tatsächlich gut aus. Mit Sigrid Emmenegger hat die SPD eine
       Kandidatin nominiert, die als Richterin am Bundesverwaltungsgericht, qua
       Amt zurückhaltender auftritt als die Lehrstuhlinhaberin Brosius-Gersdorf
       und kaum Angriffsfläche bietet. Statt über Abtreibungen hat sie über Masten
       und Erdkabel publiziert. Themen, die niemanden so richtig zu triggern
       scheinen.
       
       ## SPD noch „entspannter als die Union“
       
       In der Fraktionssitzung der 208 Unionsabgeordneten am Montag sei an Spahn
       kein weiterer Austauschbedarf herangetragen worden, heißt es
       Teilnehmerkreisen. Der Vorsitzende der Jungen Gruppe Pascal Reddig teilte
       auf Anfrage mit: „Natürlich sind die Abgeordneten frei in ihrer
       Entscheidung, wir gehen aber von Zustimmung innerhalb der Jungen Gruppe
       aus.“ Im Juli war die Lage noch eine andere, gerade viele junge
       Abgeordneten waren auf Distanz gegangen.
       
       Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion Dirk Wiese ist
       ebenfalls frohgemut. „Ich bin noch entspannter als die Union“, bekannte
       Wiese am Montag. Er sei nach vielen Gesprächen guter Dinge. Die Wahl aller
       drei Richter:innen – neben Emmenegger auch Ann-Katrin Kaufhold und
       Günter Spinner – findet am Donnerstagnachmittag in einem Wahlgang statt. Um
       abzustimmen haben die Abgeordneten zwei Stunden Zeit. Puffer genug, um auch
       Abgeordneten, die später anreisen, Zeit zu geben, ihre Stimme abzugeben.
       
       Auch Grüne und Linke hatten am Dienstag keine Einwände gegen den Zeitplan.
       Einzig die AfD, meldete fundamentale Kritik an. Sie griff auch in der Woche
       vor der Wahl erneut die SPD-Kandidatin Ann-Katrin Kaufhold an. Der
       parlamentarische Geschäftsführer Bernd Baumann raunte von einem
       „Unterwanderungsversuch“ der SPD, den die CDU durchwinke. Ebenso wie gegen
       Brosius-Gersdorf läuft seit Wochen eine [3][faktenferne Schmutzkampagne
       gegen die Rechtsprofessorin Kaufhold], die als radikale Klimaaktivistin und
       Enteignungsbefürworterin dargestellt wird. Aus der AfD-Fraktion war zu
       hören, dass die Ablehnung von Kaufhold einhellig sei.
       
       ## Extrem rechte Schmutzkampagne
       
       Der AfD missfällt, dass Kaufhold [4][in einem Interview] Gerichten eine
       wichtige Rolle beim Klimaschutz zugebilligt hatte. Dabei hatte Kaufhold
       selbst die Bundesregierung bei Klimaklagen von Umweltverbänden vertreten,
       zudem wäre sie beim Bundesverfassungsgericht in der zweiten Kammer nicht
       für Klimafragen zuständig.
       
       Ein weiterer Anwurf aus der extrem rechten Ecke ist, dass Kaufhold
       Enteignungsbefürworterin sei. Tatsächlich war die Juristin Teil einer
       13-köpfigen Expert*innen-Kommission, die für die Berliner Landesregierung
       nach dem erfolgreichen Volksbegehren für die Vergesellschaftung von großen
       Wohungskonzernen prüfen sollte, ob und wie diese rechtlich umzusetzen
       wären. Enteignungen sieht das Grundgesetz im [5][Artikel 15] ausdrücklich
       vor. Die Expertenkommission kam in einem [6][150-seitigen Gutachten] mit
       renommierten Juristinnen zum Schluss, dass dies wie im Volksbegehren
       gefordert [7][durchaus möglich sei]. Aber auch für ein noch fehlendes
       Enteignungsgesetz wäre Kaufhold im zweiten Senat nicht zuständig.
       
       Und AfD-Politiker Baumann behauptete diese Woche auch erneut, dass Kaufhold
       ein AfD-Verbot befürworte. Dabei hatte Kaufhold nicht dezidiert ihre
       Meinung zum AfD-Verbot geäußert, sondern lediglich davon gesprochen, dass
       es kein gutes Argument gegen einen Verbotsantrag sei, dass er scheitern
       könne. Der politische Prozess könne ein Scheitern in Karlsruhe durchaus
       aushalten, womit Kaufhold im Verbotsverfahren [8][nach Expertenmeinung
       nicht einmal befangen wäre]. Allerdings ist zumindest richtig, dass ihre
       Kammer für das AfD-Verbot zuständig wäre.
       
       Aber wenn alles gut geht, kommt es auf die Stimmen der AfD ohnehin nicht
       an.
       
       23 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
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   DIR [4] https://www.lmu.de/de/newsroom/newsuebersicht/news/klima-wer-kann-es-soll-es-richten.html
   DIR [5] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_15.html
   DIR [6] https://dwenteignen.de/aktuelles/neuigkeiten/expertinnenkommission-stellt-abschlussbericht-vor
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