# taz.de -- Freiheit und Unfreiheit von Migration: Das Recht zu gehen – und zu kommen
> 68 Prozent der Deutschen wollen weniger Migration, andere das Gegenteil:
> Freizügigkeit. Warum Bewegungsfreiheit mehr ist als eine politische
> Frage.
IMG Bild: Freizügig zu kommen und zu gehen, wie und wann auch immer es beliebt
Wir brauchen weniger Migration! Da sind sich die Deutschen fast einig.
[1][68 Prozent meinen], „Deutschland sollte weniger Flüchtlinge aufnehmen“,
so eine Umfrage von infratest dimap Anfang 2025. Vor zehn Jahren, auf dem
Höhepunkt des „Sommers der Migration“, waren es 33 Prozent. Können wir das
mit unseren Werten vereinbaren? Ist das nicht irgendwie falsch? Nicht nur
radikale Linke fordern immer wieder offene Grenzen. Doch was wären gute
Gründe für absolute Freizügigkeit? Was geht damit einher?
Nehmen wir mal an, wir seien Humanistinnen und Humanisten: Laut der
[2][Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte] ist jeder berechtigt, sich
„innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu
wählen“. Auch „jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und
in sein Land zurückzukehren“, ist ein Menschenrecht. Hier geht es um das
Recht auszuwandern – nicht unbedingt einzuwandern.
Aber was tun, wenn wir im eigenen Land fürchten, getötet zu werden oder
schlicht keine Arbeit zu finden, um unsere Familien zu ernähren?
Auch der Anspruch [3][auf Asyl] ist in der Erklärung festgeschrieben, doch
ist damit heute, etwa im deutschen Grundgesetz, vor allem politisches Asyl
gemeint: Ein Staat soll Menschen Schutz gewähren, die aus ihrer Heimat vor
Gewalt, Terror oder politischer Verfolgung fliehen. Nicht abgedeckt sind
ökonomische Gründe, man denke an den Schmähtitel „Wirtschafstflüchtling“.
Auch vor der Klimakrise zu fliehen, die die Heimat unbewohnbar macht, ist
beim Asyl nicht mitgedacht. Klingt ungerecht. In welchem Land wir geboren
sind, können wir uns nicht aussuchen.
Der Politologe Joseph H. Carens vergleicht Staatsbürgerschaft in westlichen
Demokratien damit, zur mittelalterlichen feudalen Klasse zu gehören, also
ein ererbtes, nicht selbst verdientes Recht innezuhaben.
Da diese Ungleichheit und willkürliche Einschränkung der Bewegungsfreiheit
Einzelner nur schwer zu rechtfertigen sei, fordert Carens offene Grenzen.
## Schawarma statt Jägerschnitzel oder umgekehrt
Für ihn ist die Freiheit, dahin zu gehen, wohin man möchte, ein wichtiges
Grundrecht und Voraussetzung dafür, weitere individuelle Rechte umzusetzen
– zum Beispiel einen gewünschten Beruf zu wählen.
Nach Gerechtigkeitsprinzipien wie dem Kant’schen: „Die Freiheit des
Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt“, spricht viel
dafür, die Bewegungsfreiheit einzelner Menschen, auch in
Entwicklungsländern, an jene im Westen anzugleichen. Aber wann beginnt die
Freiheit anderer?
AfD-Wähler würden wohl sagen: Spätestens, sobald man ihnen im Imbiss
Schawarma statt Jägerschnitzel vorsetzt. Es lohnt sich, über derlei Fragen
zu sprechen.
Wie viele Menschen kann eine ländliche Kommune in zumutbarer Weise
aufnehmen? Was muss der Staat für Integration und gegen Überforderung tun?
Sollten wir wirklich unbegrenzt vor Krieg fliehende Menschen aufnehmen,
wenn es dazu führt, dass in Deutschland jeder dritte eine rechtsextreme
Partei wählt, die womöglich Schlimmeres anrichtet?
Auch Carens würde einräumen, dass Grenzen vor einem völligen Zusammenbruch
der Sozialsysteme wieder zu schließen seien – auch wenn davon in
Deutschland keine Rede sein kann. Sein Punkt ist vielmehr, dass es
moralisch geboten ist, dafür zu sorgen, sie offen zu halten – weil sie eine
grundlegende Freiheit einschränken.
24 Sep 2025
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## AUTOREN
DIR Fabian Schroer
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