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       # taz.de -- „Der Hauptmann von Köpenick“ in Cottbus: Hauptmann? Hartmann!
       
       > Sebastian Hartmann eröffnet mit „Der Hauptmann von Köpenick“ die Saison
       > am Staatstheater Cottbus. Es ist gleichzeitig Debüt und Wiederkehr.
       
   IMG Bild: Grotesk für die Gegenwart: „Der Hauptmann von Köpenick“ in Cottbus
       
       Das Innere zum Äußeren machen ist auf dem Theater eines der großen Themen.
       [1][Regisseur Sebastian Hartmann] ist mit seinen bildgewaltigen Fantasien
       sicherlich einer der herausragendsten Vertreter dieses
       Innen-nach-außen-Prinzips. „Der Hauptmann von Köpenick“ wiederum beschreibt
       das Gegenteil, eine militaristische Welt, wo nur das Außen zählt. Im
       Zweifel reicht die Uniform des Hauptmanns, mit der [2][ein vom Haftleben
       gezeichneter Hochstapler] das Rathaus in Köpenick ausnimmt, nachdem seine
       Versuche, als Mensch in der Gesellschaft anzukommen, an der Bürokratie
       zerschellt sind.
       
       Der Kernsatz der gescheiterten Integration: Hast du keine Arbeit, bekommst
       du keine Papiere; hast du keine Papiere, bekommst du keine Arbeit. Es war
       die Paraderolle des späten Heinz Rühmann (der in der Inszenierung auch zu
       Wort kommen wird) und einer der Erfolge von Carl Zuckmayer, der mit
       scharfsinniger Analyse bereits 1931 geißelte, dass in der militaristisch
       dominierten deutsch-gründlichen Verwaltung eine Uniform mehr zählt als ein
       gutes Herz.
       
       Mit Sebastian Hartmann macht diese wohlbekannte Geschichte nun in Cottbus
       Station. Anders als bei sonstigen Regiearbeiten verzichtet Hartmann auf den
       Einsatz von Gästen, die er immer in die lokalen Ensembles mitbringt. Für
       ihn selbst ist es eine kleine Rückkehr, denn er ist in diesem Haus und der
       Stadt aufgewachsen – seine Mutter war hier Schauspielerin, sein Vater
       Chefdramaturg.
       
       Für den neuen Kurzzeitintendanten Hasko Weber, der von Weimar in die
       Lausitz wechselte, ist es ein Coup, einen so großen Namen für sein neues
       Haus in Randlage zu engagieren. Hier wechselten in letzter Zeit die
       Schauspieldirektionen nach maximal drei Jahren, doch das Ensemble blieb
       über all die Zeit erstaunlich stabil, und auf die Spielfreude der
       Spieler*innen kann Hartmann auch in seinem „Hauptmann“ bauen.
       
       ## Eine große Harlekinade
       
       Darin kehrt er zunächst das Äußere nach innen. Auf der Bühne, die Hartmann
       selbst entworfen hat, steht eine angedeutete Kopie der Fassade des klobigen
       Theaterbaus mit seinem emblematischen „Der Deutschen Kunst“, das über fast
       den gesamten Abend pointiert angestrahlt wird (Lichtdesign: Lothar
       Baumgarte). Unten gibt es einen schmalen Spalt, in dem die Schauspielenden
       wie Kasperlepuppen auftreten können, sodass man nur die Oberkörper sieht.
       Mit einem Vorhang kann diese Spielfläche noch eingegrenzt werden.
       
       So ist vom Start an alles angelegt für eine große Harlekinade. Benjamin
       Kühni stürmt auf die Vorderbühne mit glitzerndem Oberteil, nackter Brust
       und einer von irgendwo auftauchenden lila Federboa, verfolgt vom Rest des
       Ensembles in schwarzen Smokings mit schicken Melonenhüten. Die normale
       Masse verfolgt das Besondere. Es soll nicht der letzte Glitzerauftritt des
       Abends sein.
       
       Kostümbildnerin Adriana Braga Peretzki steckt das achtköpfige Ensemble in
       buntem Wechsel in diverse Klamotten von glitzernd-queer über einfache
       Kleider und Anzüge sowie einige fantastische Clownskostüme bis hin zur
       Hauptmannsgalauniform, die nur einmal wirklich zum Einsatz kommt, aber
       gegen Ende in fast religiöser Erhabenheit über die Bühne schwebt.
       
       ## Maximaler Ausdruck für Fremdsteuerung
       
       Die Auseinandersetzungen zwischen Individuum und Massenkonformität stehen
       im Mittelpunkt, ebenso wie die ästhetische Frage des Spiels mit Puppen, der
       maximale Ausdruck für Fremdsteuerung. Da begrüßt Benjamin Kühni in
       astreinem Schwyzerdütsch, führt ins Stück ein und macht dann nach der
       Ankündigung, auf Hochdeutsch fortzufahren, genauso weiter wie zuvor.
       
       Die Schauspielenden hängen sich mitunter in Seile und spielen sich selbst
       als Marionette. Ob mit Playback oder Riesenpuppenköpfen, das Motiv der
       (theatralen) Fremdbestimmtheit zieht sich durch diese furiose Fiesta des
       Grand Guignol, der großen Puppe und all ihrer Anverwandten.
       
       Einer der Höhepunkte in all diesen krachenden Bildideen ist der Chor zu dem
       Volkslied „Bolle reiste jüngst zu Pfingsten“ mit dem uniformierten Markus
       Paul am Klavier und dem Ensemble im Spielkasten, wo alle die Oberkörper auf
       und ab heben, was an ein Drehorgelspiel denken lässt.
       
       Natürlich hakt es in urkomischem Slapstick an allen Ecken und Enden, und
       Paul kann schön den kommandierenden Hauptmann/Regisseur raushängen lassen.
       Kleine absurde Petitessen werden zu großem Spiel aufgeblasen, bis es
       platzt. Dabei scheint nichts den Spielenden mehr zu gefallen, als
       gegenseitig übereinander herzuziehen, um das eigene Licht größer strahlen
       zu lassen. Die Uniform der Eitelkeit.
       
       So entfesselt Hartmann nicht nur das altbekannte Zuckmayer-Stück, sondern
       auch das Ensemble, das ganz ungehemmt grotesk und überzeichnend auf die
       Pauke schlagen darf. Gleichzeitig brilliert es auch in den wohlgesetzten
       ruhigen Szenen. Das ist dann nicht mehr der bescheidene Heinz Rühmann, der
       am Ende in einem Audioschnipsel zu hören ist. Aber es ist wahrscheinlich
       die adäquateste Version für diese Zeit.
       
       23 Sep 2025
       
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