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       # taz.de -- Nationalitäten-Nennung bei Straftaten: Statistische Hetze
       
       > Hamburgs CDU fordert, bei Straftaten alle Nationalitäten aller
       > Beteiligten zu nennen. Das normalisiert Rassismus unterm Deckmantel der
       > Objektivität.
       
   IMG Bild: Keine neutralen Fakten, sondern soziale Konstruktionen: Handout zur Polizeilichen Kriminalstatistik, hier in Nordrhein-Westfalen
       
       Die Hamburger CDU fordert die [1][Erfassung aller Staatsangehörigkeiten bei
       Straftaten] – für Verdächtige und Opfer. Vorbild ist das Modell von
       Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (ebenfalls CDU), nach dem
       die rückwirkende Erfassung ab dem 1. Juli 2024 gilt. Hamburg solle beim
       Bundeskriminalamt (BKA) zudem für eine bundeseinheitliche Änderung der
       Richtlinien werben.
       
       Bisher werden Mehrfachstaatsangehörige als Deutsche gezählt. Das „verzerrt“
       die Realität, behauptet CDU-Innenexperte Dennis Gladiator. Eine aktuelle
       [2][Auswertung aus Nordrhein-Westfalen] hatte herausgefunden, dass jeder
       sechste „deutsche“ Tatverdächtige eine weitere Nationalität hat. „Wer
       Vertrauen in staatliches Handeln will, muss für echte Transparenz sorgen –
       auch in der Kriminalitätsstatistik“, fordert Gladiator. Das vermeide
       Fehlinterpretationen.
       
       Diese Forderung ist ein klassischer Fall von selektiver Statistik, die
       Rassismus schürt und soziale Ungleichheiten kaschiert. Denn
       [3][Kriminalstatistiken sind keine neutralen Fakten], sondern soziale
       Konstruktionen. Sie spiegeln wider, was Polizei und Justiz als kriminell
       definieren und verfolgen – oft mit Bias gegen marginalisierte Gruppen.
       
       In Deutschland, wo die [4][Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS)] nur Taten
       erfasst, die der Polizei bekannt geworden sind und die diese nach Abschluss
       der Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft oder Gerichte übergeben hat,
       sind Ausländer:innen überrepräsentiert. Aber Migration steigert die
       Kriminalitätsrate nicht, das belegen Studien. So hatte etwa das
       Ifo-Institut PKS-Daten von 2018 bis 2023 analysiert und gezeigt: [5][Mehr
       Ausländer:innen in einem Landkreis führen nicht zu höherer
       Kriminalität].
       
       ## Vermeintlich „falsche Deutsche“
       
       Die Überrepräsentation in der PKS resultiert vielmehr aus Armut,
       Jugendalter, Geschlecht oder diskriminierender Polizeipraxis. Aktuelle
       Befunde zu Migration und Kriminalität zeigen keine kausalen Zusammenhänge,
       sondern sozioökonomische Muster.
       
       Mit ihrer Forderung, Mehrfachstaatsangehörige zu „enttarnen“, ignoriert die
       CDU das und schafft stattdessen eine neue Kategorie: den „falschen
       Deutschen“. Das verstärkt das [6][Narrativ von der
       „Ausländerkriminalität]“, das seit den 1990er-Jahren rechtspopulistische
       Agenden antreibt. Schon unter Helmut Kohl wurde die Asylpolitik mit
       Kriminalitätsängsten verknüpft, um Wahlen zu gewinnen. Heute bedient die
       CDU dasselbe Muster. Das ist hochgefährlich.
       
       Gladiator spricht von „Vertrauen in staatliches Handeln“. Aber wer würde
       von der Nennung aller Nationalitäten profitieren? Bloß Politiker:innen, die
       Ängste schüren wollen, um von tatsächlichen Problemen abzulenken: von
       unterfinanzierter Sozialarbeit zum Beispiel, von Wohnungsnot und
       Diskriminierung.
       
       ## Machtstrukturen enthüllen statt Minderheiten markieren
       
       Was die CDU da fordert, normalisiert Rassismus unter dem Deckmantel der
       Objektivität. Aber Transparenz bedeutet, Machtstrukturen zu enthüllen,
       nicht Minderheiten zu markieren. Man müsste Verzerrungen in der
       Polizeiarbeit aufdecken, etwa durch unabhängige Audits von [7][Racial
       Profiling, das in Deutschland nachweislich existiert] und zu höheren
       Kontrollraten bei BIPoC führt.
       
       Statt rückwirkender Erfassung, die den Datenschutz verletzt und die
       Stigmatisierung fortsetzt, bräuchte es Investitionen in Prävention: soziale
       Programme gegen Armut, Antidiskriminierungsschulungen in Behörden und eine
       Kriminalstatistik, die Faktoren wie Geschlecht, Alter und soziale Lage
       priorisiert. Nur so würde Transparenz emanzipatorisch wirken, statt
       rassistische Hierarchien zu reproduzieren.
       
       24 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kriminalstatistik-der-Polizei/!6001297
   DIR [2] https://rp-online.de/nrw/landespolitik/kriminalitaet-nrw-aendert-zuordnung-bei-mehrfachstaatsangehoerigkeit_aid-133743269
   DIR [3] /Kriminalstatistik/!t5059967
   DIR [4] https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik/pks_node.html
   DIR [5] https://www.ifo.de/publikationen/2025/aufsatz-zeitschrift/steigert-migration-die-kriminalitaet-ein-datenbasierter-blick
   DIR [6] /Straffaellige-Auslaenderinnen/!6076452
   DIR [7] /Racial-Profiling/!t5009754
       
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   DIR Robert Matthies
       
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