# taz.de -- Grüne mit Säugling im Bundestag: Es ist 2025, Baby!
> Hanna Steinmüller hält als erste Abgeordnete eine Rede im Bundestag mit
> Baby vor dem Bauch. Bemerkenswert, dass das noch bemerkenswert ist.
IMG Bild: Baby vorm Bauch: Hanna Steinmüller mit Anhang am Dienstag im Bundestag
Haben Sie die Generaldebatte im Bundestag verfolgt? Sie haben wenig
verpasst. Bundeskanzler Friedrich Merz hat mal wieder gegen die Grünen
gewettert. Alles weitere lesen Sie bekömmlicher beim Kollegen Stefan
Reinecke hier.
Überraschender war dagegen der Auftritt der grünen Abgeordneten Hanna
Steinmüller, die bereits am Vortag eine Rede hielt. Worum es ging, dazu
später mehr. Doch von der Rede bleibt nicht der Inhalt in Erinnerung,
sondern ein Foto. Steinmüller trug während der Rede als erste Abgeordnete
ihr schlafendes Kind in einer Trage vor dem Bauch.
Das Bild ging viral und löste Begeisterung („Diese Szene schreibt
Bundestags-Geschichte“, Bild) aber auch Ablehnung aus („PR-Show oder
Zeichen für Signal für Familienfreundlichkeit“, Focus). Steinmüller wird
seitdem mit Post überflutet, in der ihr Instrumentalisierung vorgeworfen
oder gefragt wird, wo denn der Vater sei.
Wenn eine Mutter in der Öffentlichkeit etwas tut, reden alle gerne mit, und
wenn sie es dann noch als Erste tut, dann eröffnet das den Raum für
Projektionen. Nur: Es ist nicht die Schuld einer Hanna Steinmüller, dass
sie die Erste ist. Dass Deutschland im Jahr 2025 ein familienpolitisches
Entwicklungsland ist. Die Frage muss eher lauten: Warum erst jetzt?
## Bloß nicht aufwecken
Denn jetzt mal ganz praktisch: Jede und jeder, der mal ein Baby in der
Trage hatte, das eeeeendlich eingeschlafen ist, weiß, dass man alles tut,
aber das Kind nicht ablegt. Und wenn man auf die Toilette muss oder einen
Termin hat, und sei es eben am Rednerpult – dann muss das Kind halt mit.
Die Aktion sei „nicht geplant“ gewesen, sagt Steinmüller der taz.
Abgeordnete können keine Elternzeit nehmen, sie teile sich mit ihrem Mann
die Woche auf und übernehme das Kind an zwei Tagen die Woche. Dienstags
sind normalerweise keine Plenartage, sondern Fraktionssitzungen. Nur wegen
der Haushaltswoche habe sie an einem Tag sprechen müssen, an dem sie das
Kind dabei hat. Ein Kollege habe ihr angeboten, das Kind solange zu nehmen,
aber, siehe oben: „Wenn ich ihn dann ablege, macht er Rabatz.“
Bereits vor der Sommerpause war Steinmüller mit ihrem Kind im Plenum, aber
noch nicht am Pult. Damals schon bekam sie viele Reaktionen, Zustimmung und
Ablehnung. Ich durfte mein Kind auch nicht mitnehmen, schreiben Leser.
[1][Steinmüller thematisiert das auf ihren Kanälen]: „Wir müssen über
Vereinbarkeit reden!“
Man muss, und da sind wir wieder bei den Projektionen, unweigerlich an die
familienpolitische Bilanz der Grünen denken, die bis vor kurzem immerhin
die zuständige Ministerin stellten. Um es wohlwollend zu sagen: Wie gut für
die Abgeordnete und ihr Kind, dass sie nicht auf eine
[2][Kindergrundsicherung] angewiesen sind, an der die Grünen gescheitert
sind. Und wie gut, die neue Regierung nun viele Milliarden Euro in den
Ausbau von Kitas stecken will. So muss das arme Kind, wenn es etwas älter
ist, vielleicht nicht mehr allzu oft mit in den Bundestag mitkommen. Denn
da laufen finstere Gestalten rum, Abgeordnete, die klingen, als seien sie
selbst noch in der Trotzphase.
Apropos Trotzphase: Bemerkenswert ist auch, dass ausgerechnet [3][Julia
Klöckner] nun die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Bundestag
vorantreibt. Seit sie Präsidentin ist, müssen Abgeordnete nicht mehr um
eine Ausnahmegenehmigung betteln, wenn sie ihren Säugling mit ins Plenum
nehmen wollen. Klöckner, die bisher nicht gerade damit auffiel, in ihrem
Haus Diversität zu fördern, hat mit deutscher Mutterschaft offenbar kein
Problem. „Ich habe viele politische Differenzen mit Frau Klöckner, aber bei
der Vereinbarkeit ermöglicht sie mehr als bisher“, sagt Steinmüller.
## Inhaltlich ging Steinmüller nicht viral
Man kann Steinmüllers Kind nur wünschen, dass es im Bundestag trotz der
gruseligen Gestalten dort eine gute Zeit hat. Nach einigen Stunden im Büro
wird nämlich auch das netteste Kind zur Sau, heißt es aus Elternkreisen der
taz-Redaktion.
Wenn Steinmüllers Kind einmal erwachsen ist, kann es sich dann das Bild von
sich selbst im Bundestag stolz an die Wand hängen. Hoffentlich hat bis
dahin dann auch mal ein Vater dort vorne mit der Trage gestanden.
Steinmüller selbst wünscht sich, dass ihre fachpolitischen Themen einmal
die Aufmerksamkeit bekämen wie ein Foto mit Babytrage. Doch auch bei
Instagram merke sie, dass ihre Beiträge über den Struggle der Vereinbarkeit
viel häufiger geteilt werden.
Tun wir zum Schluss deshalb einmal so, als wären Reden mit Babytrage im
Bundestag schon Normalität, und wenden uns den Inhalten zu. Die
wohnungspolitische Expertin Steinmüller sprach über ein wichtiges Thema,
den Mangel an Wohnraum. „Reden ist Silber, Haushaltstitel sind Gold“, sagte
sie über die Pläne der Regierung. Dann kritisierte sie die fehlenden
Zuschüsse für die [4][Wohngemeinnützigkeit] und die [5][WG-Garantie],
obwohl die Regierung beides im Koalitionsvertrag versprochen habe.
Zugegeben, klingt noch nicht nach einem viralen Hit.
24 Sep 2025
## LINKS
DIR [1] https://www.instagram.com/reel/DO25fRCDcIN/?utm_source=ig_web_copy_link&igsh=MzRlODBiNWFlZA==
DIR [2] /Kindergrundsicherung/!t5564697
DIR [3] /Julia-Kloeckner/!t5027035
DIR [4] /Neue-Wohngemeinnuetzigkeit/!6043736
DIR [5] /Bafoeg-Versprechen-der-Groko-WG-Garantie-ist-reine-PR/!6101982
## AUTOREN
DIR Kersten Augustin
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