# taz.de -- Vereinte Nationen: Generalversammlung der Ohnmacht
> Die UN tagen in New York und sind von ihrem Ziel des Weltfriedens weiter
> entfernt denn je. Daran ist nicht nur Russland schuld.
IMG Bild: Viele Statements, wenig Frieden: Hier Wolodymyr Selenskyj vor den Vereinten Nationen
Berlin/New York taz | Better together“ – Gemeinsam besser. Das ist das
Motto der 80. Generalversammlung der Vereinten Nationen, die am Dienstag
begonnen hat. Es stammt von der ehemaligen deutschen Außenministerin
Annalena Baerbock, nun für ein Jahr Vorsitzende der Versammlung.
Die Vision passt zum Jubiläum: Im Juni wurde die Charta der Vereinten
Nationen, also das Gründungsdokument, 80 Jahre alt. Etabliert wurden sie
nach dem Horror des Zweiten Weltkriegs mit dem Ziel, die Welt vor einem
weiteren verheerenden Krieg zu bewahren und langfristig Frieden zu sichern
– gemeinsam, über Nationen und Differenzen hinweg.
Das Motto „Better together“ wirkt angesichts der Themen, um die es bei
dieser Generalversammlung hauptsächlich geht, fast zynisch: Krieg in
Nahost, Krieg in der Ukraine – über beide gibt es zwischen verschiedenen
Fraktionen große Uneinigkeit – und eine sich schnell verändernde
Weltordnung. Was ist noch übrig von den Vereinten Nationen (UN) als Raum
zur Problemlösung? Was können sie erreichen in diesen komplizierten Zeiten?
Und wie viel Abgesang auf das Prinzip UN kann die Weltgemeinschaft sich
leisten?
Die Rede von Donald Trump, Präsident des Gastgeberlandes USA, zeigte, unter
welchen Vorzeichen die Generalversammlung beginnt. Ähnlich [1][der Rede
seines Vizes J. D. Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar,]
war sie eine Mischung aus Eigenlob und Austeilen vor allem Richtung Europa,
sowie der bekannten Reizthemen Migration und grüner Energie. So erklärte
er, der Klimawandel sei ein „Beschiss“, und behauptete fälschlicherweise,
dass die neue Bundesregierung in Deutschland neben fossilen Brennstoffen
wieder auf Atomkraft umgeschwenkt sei.
Und: „Länder, die die Freiheit wertschätzen, verlieren rasant an Bedeutung
aufgrund ihrer Politik“ zu Migration und grüner Energie. Sie müssten da
dringend umdenken. [2][Auch die Vereinten Nationen kritisierte er] als
„nicht ihr Potenzial ausschöpfend“. Die Rede bestätigt die Trump’sche
Haltung des „America First“ – nicht gerade kongruent mit „better together“.
## Redundantes Motto
Ex-Diplomat Jeffrey Feltman schreibt für die Denkfabrik Brookings: Das
Thema „better together“ klinge „für eine Organisation, die das Wort
‚vereint‘ im Namen trägt, seltsam redundant“. Vermutlich seien die 193
Mitgliedstaaten den UN einmal beigetreten, „um durch Zusammenarbeit ihre
nationalen Interessen besser verfolgen zu können“. Aktuell bräuchten sie
wohl eine Erinnerung daran.
Viele Jahre schien das vom Philosophen Francis Fukuyama in den 1990er
Jahren proklamierte „Ende der Geschichte“ Realität zu werden: Nach der
Theorie Fukuyamas hatte die Weltgemeinschaft nach dem Zusammenbruch der
Sowjetunion „den Endpunkt der ideologischen Evolution der Menschheit“
erreicht und damit „die Universalisierung der westlichen liberalen
Demokratie als endgültige Form der menschlichen Regierungsform“. Schon im
Laufe der 2000er Jahre, spätestens aber mit dem Angriff Russlands auf die
gesamte Ukraine im Februar 2022, zeigte sich: Das Ende des Endes der
Geschichte ist wohl gekommen.
Damit einher geht einerseits eine wachsende Polarität zwischen den
verschiedenen geopolitischen Fraktionen – der US-geführten Welt auf der
einen, der sich eher an China und Russland haltenden Gemeinschaft auf der
anderen Seite. Und andererseits – verstärkt durch die Wahl Donald Trumps
als Präsident einer Anführer-Nation – die Rückkehr nationaler Interessen
vor transnationalen. Und damit auch eine Politik der Starken.
Ein beliebtes Beispiel ist die US-Position zur Verteidigung innerhalb der
Nato: Statt sich wie bislang auf die USA zu verlassen, so der Tenor,
müssten die anderen Mitglieder selbst mehr tun und ihre
Verteidigungsausgaben signifikant erhöhen.
## 80 Prozent für Anerkennung Palästinas
Ein anderes Beispiel ist die Anerkennung des Staates Palästina, die bei
dieser Generalversammlung großen Platz einnimmt. Insgesamt haben in den
vergangenen drei Tagen Großbritannien, Kanada, Australien, Portugal,
Frankreich, Monaco, Luxemburg, Malta und Andorra einen palästinensischen
Staat anerkannt. Damit erkennen nun über 80 Prozent der UN-Mitglieder
Palästina an. Auch im UN-Sicherheitsrat betrachten vier von fünf
permanenten Mitgliedern Palästina als Staat. Trotzdem ist Palästina kein
Mitgliedsstaat der UN-Generalversammlung, sondern lediglich Beobachter.
Und im Gazastreifen führt das israelische Militär nach dem Überfall
militanter palästinensischer Gruppen am 7. Oktober 2023 in Israel einen
Krieg, dessen Brutalität ein UN-Komitee jüngst dazu veranlasste, ihm einen
Genozid vorzuwerfen. Im Westjordanland gehen israelische Siedler mit
massiver Gewalt gegen Palästinenserinnen und Palästinenser vor, während
ihre Regierung sie vor den eigenen Gesetzen schützt und nebenbei immer mehr
Siedlungen genehmigt. Ein echter Staat mit einem zusammenhängenden Gebiet
scheint in weiter Ferne zu sein.
Die Mehrheit der Mitglieder setzt auf eine [3][Zwei-Staaten-Lösung] mit
Israel und Palästina, de facto wird das aber blockiert. Das zeigt sich auch
im UN-Sicherheitsrat: Resolutionen zu einer Waffenruhe im Gazastreifen
scheiterten dort bislang stets am Veto der USA.
Diese grundsätzliche Problematik – die Macht der Mitglieder des
UN-Sicherheitsrats, aber auch die Unfähigkeit der UN, mehr zu leisten als
Worte – spricht auch der [4][ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj] in
seiner Rede am Mittwoch an: Was könnten Menschen, die einen Krieg ertragen,
etwa in der Ukraine oder im Gazastreifen, von den Vereinten Nationen
erwarten? Und antwortet gleich selbst: Lange Zeit nur Statements.
Resolutionen zur Ukraine scheiterten etwa bislang im UN-Sicherheitsrat an
Russland. „Die globalen Antworten sind nicht genug“, sagt Selenskyj.
Das United States Institute for Peace schrieb nach Beginn des
Ukrainekrieges: Der „Deadlock“ im UN-Sicherheitsrat sei eingebaut, sogar
ein Ziel des Rates. Darin sitzen die fünf ständigen Mitglieder China,
Frankreich, Russland, das Vereinigte Königreich und die USA sowie zehn
wechselnde Mitglieder. Es ist das einzige globale Gremium, das
Gewaltanwendung genehmigen kann.
Die sich gegenüberstehenden Interessen der Mitglieder sollten also
theoretisch dazu führen, dass man sich gar nicht auf einen Krieg einigen
kann. Gleichzeit führt es aber dazu, dass jede Gegenmaßnahme verhindert
werden kann. Eine Reform des Sicherheitsrates würde eine Änderung der
Charta erfordern, wäre aber möglich.
Was die Vereinten Nationen erreichen können, ist durch das Design ihrer
Institutionen limitiert. Ein Grund, sie ganz infrage zu stellen, ist das
aber nicht. Das zeigt auch diese Generalversammlung, gerade aufgrund der
von Großkonflikten geprägten Umstände. Ein konkretes Beispiel: Am Dienstag
hatte am Rande der Versammlung US-Präsident Trump zu einer Runde mit
arabischen und muslimischen Staatschefs geladen, um Pläne für ein Ende von
Israels Krieg im Gazastreifen zu besprechen. Wie bei vielen Konferenzen ist
das Inoffizielle wohl wichtiger als das Offizielle: In den Gesprächen, die
unter Ausschluss von Öffentlichkeit und Presse am Rande geführt werden,
sind Floskeln und Formalien weniger wichtig.
In einer multipolaren Welt, in der alte Allianzen weniger wichtig werden,
ist ein solcher Diskussionsrahmen wohl wichtiger denn je. Denn auch wenn –
wie sich an den Beispielen der Ukraine und des Gazastreifens zeigt – keine
unmittelbaren Handlungen folgen: Gespräche sind besser als keine Gespräche.
24 Sep 2025
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## AUTOREN
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