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       # taz.de -- Landkonflikt im Westen der DR Kongo: Kongos anderer Krieg
       
       > Ein Konflikt vor den Toren der Hauptstadt Kinshasa verwüstet Kongos
       > potenzielle Kornkammer. Der Staat vernachlässigt Frieden mit den
       > Mobondo-Milizen.
       
   IMG Bild: Gautier Mbanfu (links), ehemaliger Mobondo-Milizionär, will seine Kameraden eigentlich in die Landwirtschaft integrieren
       
       Maluku/Bankana/Port Kwango taz | Es ist Schulanfang in Maluku, der kleinen
       Hafenstadt am Kongo, 40 Kilometer flussaufwärts von Kongos Hauptstadt
       Kinshasa. Auf der Nationalstraße 1 (RN1), die durch Maluku führt, drängeln
       sich kleine Kinder in blau-beiger Schuluniform durch den wuselnden Verkehr.
       
       Aber in der Nzamu-Schule am Ortsrand findet kein Unterricht statt. Fenster
       und Türen sind herausgebrochen, die Klassenzimmer in Schlafsäle verwandelt.
       Über 100 Vertriebene nächtigen dort. Zu ihnen gehören die sechs Kinder von
       Philomène, 41 Jahre alt, die mit ihrer ganzen Familie aus dem Dorf Chenal
       in der Provinz Mai-Ndombe gekommen ist. Sie sind jetzt in einer Schule,
       aber lernen können sie dort nichts.
       
       Zwanzig Familien leben in der Nzamu-Schule. Die Kinder spielen im Hof. An
       einer Tafel, wo noch vom letzten Unterricht „Wissen teilen“ geschrieben
       steht, haben einige ihre Namen geschrieben.
       
       Die meisten dieser Kinder gehen seit drei Jahren nicht mehr zur Schule. In
       ihren Dörfern gibt es keine Lehrer mehr, keine Verwaltungsbeamten, keinen
       Unterricht. Das privat unterhaltene Bildungssystem steht still.
       
       ## Teke-Autoritäten gegen Yaka-Bauern
       
       Der Grund ist der bewaffnete Konflikt, der im Juli 2022 in der Provinz
       [1][Mai-Ndombe] im Westen der DR Kongo ausbrach, im Bateke-Hochland östlich
       von Kinshasa. Es liegt im Herzen der sehr fruchtbaren ländlichen Gegend,
       die sich südlich der Regenwälder des Kongo-Beckens über die Provinzen
       Mai-Ndombe, Kwilu und Kwango in Richtung Angola erstreckt.
       
       Traditionelle Führer des Teke-Volkes, staatlich anerkannt als Besitzer des
       Landes, stehen dabei gegen die Bauern des Yaka-Volkes, die sich im Laufe
       der Jahrzehnte auf dem angestammten Teke-Land angesiedelt haben.
       
       „Der Auslöser war eine Erhöhung der Grundsteuern durch die traditionellen
       Teke-Chiefs, die das Land kontrollieren“, erklärt John Elanga,
       Nothilfekoordinator beim Hilfswerk Caritas International. Yaka
       organisierten sich in einer Miliz namens Mobondo und begannen, mit Macheten
       und alten Gewehren die Symbole der Staatsgewalt anzugreifen. Sie töteten
       auch mehrere Hundert Teke. Ein Zyklus von Gewalt und Gegengewalt mit
       zahlreichen Toten nahm in der Stadt Kwamouth in Mai-Ndombe seinen Ausgang
       und breitete sich immer weiter aus.
       
       ## Hunderttausende Vertriebene
       
       „Wie schnell sich die Angriffe ausweiteten, zeigt, wie groß die bereits
       existierenden Spannungen waren“, erläutert Elanga. Die strukturellen
       Probleme der DR Kongo sind hier überall deutlich: chronische Schwäche des
       Staates, Abwesenheit staatlicher und sozialer Infrastruktur wie Straßen,
       Schulen und Kliniken. Landbesitzfragen bleiben traditionellen Führern
       überlassen und werden Streitthema.
       
       Der Mobondo-Konflikt wird außerhalb kaum wahrgenommen, nicht einmal im
       nahen Kinshasa. Sämtliche nationale und internationale Aufmerksamkeit
       richtet sich auf den M23-Krieg im Osten der DR Kongo.
       
       Derweil strömen immer mehr Vertriebene in die Armenviertel Kinshasas und
       sind zunehmend wütend. Nach UN-Angaben sind in der westkongolesischen
       Konfliktregion aktuell rund 200.000 Menschen vertrieben, insgesamt wurden
       in drei Jahren 700.000 Menschen in die Flucht getrieben.
       
       Über die Hälfte der 37.000 Einwohner der Kleinstadt Bankana, 150 Kilometer
       östlich von Kinshasa, haben die Stadt verlassen. „Die meisten sind in
       Kinshasa und leben im Elend; sie kommen erst zurück, wenn es Frieden gibt“,
       erläutert Stadtteilchef Gaston Mue. „Die Mobondo patrouillieren. Sie lassen
       sich dafür bezahlen, dass sie die Leute auf ihre Felder lassen – bis zu
       50.000 kongolesische Franc (15 Euro).“
       
       In der Folge ist die agrarisch geprägte Wirtschaft der Region
       zusammengebrochen. Felder wurden geplündert und liegen brach,
       Lebensmittelpreise sind explodiert, der Warenverkehr Richtung Kinshasa ist
       kompliziert. Zwischen Bankana und Kinshasa gibt es entlang der RN1 ein
       Dutzend Straßensperren. Polizei, Armee, Spezialkräfte – jede staatliche
       Sicherheitskraft hält die Hand auf. Das verteuert alle Transporte.
       
       ## Militär greift Milizen nicht mehr an
       
       Seit März sind die Kämpfe ein wenig abgeflaut, denn die Regierung – unter
       Druck wegen des Vormarsches der Rebellen im Osten des Landes – bietet den
       Mobondo Gespräche an. „Seit Beginn der Verhandlungen hat das Militär den
       Befehl, die Mobondo nicht mehr zu verfolgen“, bestätigt Gaston Mue.
       
       Aber das macht die Lage für die Menschen nicht besser. „Jetzt nehmen Fälle
       von Kidnapping zu. Mein Mitarbeiter wurde verschleppt, seine Familie musste
       eine Million Franc Lösegeld zahlen (rund 300 Euro).“
       
       Der in Bankana stationierte Oberst Arsène Matambwe vom 15. Bataillon der
       Präsidialgarde bestätigt den Friedenswillen. Eine hochrangige
       Militärdelegation reiste im März in die Dörfer im Umland, um die
       Milizionäre zu demobilisieren und sie in die neue Reservearmee der
       kongolesischen Streitkräfte zu integrieren – eine ursprünglich zur Abwehr
       der M23-Rebellen entstandene paramilitärische Struktur, die im ganzen Land
       lokale Milizen an die Armee binden soll.
       
       „Das hat dazu geführt, dass die Angriffe aufhörten“, bilanziert Samuel
       Tumba von „Frieden und Gerechtigkeit“, einer kirchlichen Organisation.
       „Aber nach der ersten Registrierung ist nichts weiter geschehen.
       Diejenigen, die sich meldeten, sind nun schon seit Monaten sich selbst
       überlassen. Das zeigt den Mangel an politischem Bewusstsein in diesem Land.
       Der Staat muss seine Verpflichtungen einhalten, damit der Prozess
       funktioniert.“
       
       ## Ausplünderung und Willkür breiten sich aus
       
       In der Provinz Kwango wurden rund 4.800 Milizionäre als potenzielle
       Reservesoldaten registriert. Aber in Port Kwango, einem kleinen Ort am
       Fluss Kwango, leben nun mehrere Hundert demobilisierte Milizionäre mit
       Soldaten und der Zivilbevölkerung in einer angespannten Atmosphäre
       zusammen, ohne zu wissen, wie es weitergeht.
       
       Im Juni wurde die Bewohnerin Mueti Kongo bei einem Schusswechsel verwundet.
       Sie erzählt in ihrem Krankenbett: „Gegen 6 Uhr morgens hörte ich Schüsse.
       Ich ging nach draußen, um meine Enkelkinder zu suchen. Die Soldaten waren
       dabei, einer Gruppe Mobondo hinterherzurennen und sie schossen um sich. Ich
       fiel bewusstlos zu Boden.“
       
       Was als Landkonflikt und Selbstverteidigung begann, ist zu Ausplünderung
       und Willkür geworden. Die Milizionäre leben auf dem Rücken der Bevölkerung
       – und manchmal tun sie das im Bündnis mit den Sicherheitskräften. Das
       Misstrauen gegenüber dem offiziellen Friedensprozess und der „Reservearmee“
       wächst.
       
       ## Karate-Kampfsortler als Demobilisierer
       
       Gautier Mbanfu, ein Ex-Mobondo, wurde zum „Fokuspunkt“ der Reservearmee in
       Port Kwango ernannt. Der ehemalige Karate-Kampfsportler, in der ganzen
       Gegend bekannt, hat mit Eigenmitteln eine Jugendorganisation gegründet, um
       demobilisierte Milizionäre einer nützlichen Tätigkeit zuzuführen, vor allem
       in der Landwirtschaft. Jede Woche kommen neue zu ihm.
       
       „Wir kümmern uns um sie, so gut wir können“, erzählt er. „Vom Staat haben
       wir bisher nichts erhalten. Seit Monaten verspricht man mir Finanzhilfen,
       aber ich habe keine Neuigkeiten.“ Wie lange werden die Ex-Mobondo ihm
       vertrauen, wenn er für sie nichts tun kann?
       
       Im Nachbardorf Batshongo hat ein Mobondo-Oberst unter den
       Yaka-Kriegsvertriebenen Quartier bezogen. In blauem Hemd läuft er zwischen
       den Wellblechhütten herum. „Unsere Leitung hat einen Forderungskatalog an
       die Präsidentschaft geschickt“, sagt er. In dem Katalog listen die Mobondo
       ihre Bedingungen für ein Ende des Krieges auf: ein gerechter Zugang zu
       Land, eine Freilassung aller Kämpfer, der Bau von Infrastruktur und auch
       neue Autos für ihre Chefs.
       
       „Wir wurden bisher nicht angehört“, berichtet der Mobondo-Oberst. „Wir
       sollen warten, sagt man uns. Aber wenn man leidet, werden die Ohren taub.
       Wenn sich nichts tut, werden wir wieder zu den Waffen greifen und alles
       wird umsonst gewesen sein.“
       
       25 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://en.wikipedia.org/wiki/Mai-Ndombe_Province
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Colin Delfosse
       
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