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       # taz.de -- Konjunktur in Deutschland: „Nicht schön, aber keine Katastrophe“
       
       > Trotz der Milliarden aus dem Sondervermögen erwarten Ökonomen nur ein
       > Miniwachstum. Sie streiten, wie es wieder bergauf gehen könnte.
       
   IMG Bild: Der Export bringt derzeit nur wenig für das Wachstum: Containerschiff im Hamburger Hafen
       
       Berlin taz | Für Sebastian Dullien gleicht die [1][deutsche Konjunktur]
       derzeit einem Flugzeug, das nur mit einem Motor fliegt. „Keine schöne
       Situation, aber keine Katastrophe“, sagt der Direktor des Instituts für
       Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen
       Hans-Böckler-Stiftung. Zur Katastrophe könne es jedoch kommen, wenn wegen
       leichtsinniger Manöver des Piloten auch noch der zweite Motor ausfalle.
       
       Das IMK hat am Dienstag seine Prognose für dieses und nächstes Jahr
       vorgestellt. Demnach ist trotz des im Frühjahr beschlossenen 500 Milliarden
       Euro schweren Sondervermögens für 2025 nur mit einem Miniwachstum von 0,2
       Prozent zu rechnen. Erst 2026 machen sich die zusätzlichen Milliarden für
       Militär und Infrastruktur bemerkbar. Dann, rechnet das IMK, werde die
       Wirtschaft vermutlich um 1,4 Prozent wachsen.
       
       Das ist nicht sonderlich viel. Denn das Land machte in den vergangenen zwei
       Jahren eine ausgedehnte Rezession durch, wie revidierte Zahlen des
       Statistischen Bundesamtes zeigen. 2023 schrumpfte die Wirtschaft um 0,9
       und 2024 um 0,5 Prozent.
       
       Ähnlich skeptisch wie das IMK sind die fünf Institute, die am Donnerstag im
       Auftrag der Bundesregierung ihre sogenannte Gemeinschaftsdiagnose
       veröffentlichten. Zu ihnen zählen unter anderem das Berliner DIW, das
       Münchner Ifo-Institut sowie das IWH aus Halle. Sie gehen ebenfalls von
       lediglich 0,2 Prozent Wachstum in diesem Jahr aus. Fürs nächste Jahr ist
       ihre Schätzung mit 1,3 Prozent sogar noch etwas schlechter. „Die deutsche
       Wirtschaft steht nach wie vor auf wackeligen Beinen“, sagt Geraldine
       Dany-Knedlik vom DIW.
       
       ## Exporte sinken
       
       Insbesondere die US-Zollpolitik macht Ökonom*innen Sorgen. Diese, sowie
       die wachsende Konkurrenz aus China und eine Aufwertung des Euros lassen die
       traditionell starke Exportwirtschaft als Wachstumstreiber wegfallen. Das
       IMK schätzt, dass die Ausfuhren im laufenden Jahr um 1,2 Prozent
       schrumpfen. Für nächstes Jahr geht das Institut von einem leichten
       Wachstum der Exporte um 0,7 Prozent aus.
       
       Dass die USA im Rahmen des am Mittwoch mit der EU vereinbarten Handelspakts
       die [2][Zölle auf Autos aus Europa rückwirkend zum 1. August auf 15 Prozent
       gesenkt haben], ändert daran nur wenig. Denn die Unsicherheit bleibt. So
       prüft US-Präsident Donald Trump derzeit neue Zölle auf eine breite Palette
       von Waren, darunter Gesichtsmasken, Spritzen und Infusionspumpen sowie
       Roboter und Industriemaschinen. Das prognostizierte etwas stärkere Wachstum
       2026 fußt deshalb allein auf der wachsenden Binnennachfrage aufgrund
       steigender Löhne und auf den staatlichen Investitionen in Militär und
       öffentliche Infrastruktur.
       
       Für die Ökonom*innen, die die Gemeinschaftsdiagnose erstellt haben, sind
       die durch das Sondervermögen mobilisierten öffentlichen Milliardenausgaben
       jedoch ein zweischneidiges Schwert. „Grundlegende Standort stärkende
       Reformen bleiben aus“, warnen sie und plädieren für ein
       wirtschaftspolitisches Zwölf-Punkte-Programm. Darin fordern sie etwa eine
       Stabilisierung der Sozialabgaben und eine Konsolidierung der öffentlichen
       Haushalte.
       
       Ihr Kollege Dullien sieht die Vorschläge kritisch. „Es ist eine Mischung
       aus richtigen Forderungen, Allgemeinplätzen und höchst problematischen,
       offenbar nicht zu Ende durchdachten Forderungen“, so der Ökonom. Zu
       letzteren gehöre etwa, die künftigen Dekarbonisierungsanstrengungen
       Deutschlands an entsprechende Anstrengungen in der übrigen Welt zu
       konditionieren. „Dies wäre das Ende einer [3][vorhersehbaren und
       verlässlichen Klimapolitik i]n Deutschland und würde der deutschen
       Wirtschaft eher schaden als nützen“, warnt Dullien.
       
       25 Sep 2025
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Simon Poelchau
       
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