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       # taz.de -- Goethe-Institutsleitung zu Kulturpolitik: „Ohne Dialog ist alles nichts“
       
       > Das Goethe-Institut eröffnet in Texas einen Standort, schließt aber den
       > in Washington. Das ist Teil einer Neuausrichtung ihres Hauses, sagen die
       > Präsidentin und der Generalsekretär des Instituts, Gesche Joost und
       > Johannes Ebert.
       
   IMG Bild: Generalsekretär Johannes Ebert und Präsidentin Gesche Joost in der Zentrale des Goethe-Instituts in München
       
       taz: Frau Joost, Herr Ebert. Sie werden demnächst in Houston, Texas, einen
       neuen Standort eröffnen. Was versprechen Sie sich davon? 
       
       Gesche Joost: Bislang lagen die Standorte unseres Instituts vor allem in
       den großen Metropolen an der Ost- und Westküste. Im Landesinneren der USA
       waren wir wenig präsent. Wir wollen die Breite der amerikanischen
       Gesellschaft besser erfassen. Houston ist ein interessanter Standort. Auch
       um zu begreifen, was gesellschaftlich gerade passiert. Schließlich sind die
       USA nach wie vor einer unserer wichtigsten Partner außerhalb der EU.
       
       Johannes Ebert: Das Goethe-Institut befindet sich in einer Phase der
       Neuausrichtung. Dabei sind auch Institutsschließungen an traditionellen
       Standorten wie Washington unumgänglich. Das ist nicht schön, aber nur so
       können wir auf veränderte Lagen reagieren und wie etwa jetzt in Houston
       stärker tätig werden. Oder an ganz anderen Orten der Welt, wie etwa in
       Armenien.
       
       taz: Lassen Sie uns noch kurz bei den USA bleiben. Ist es wirklich
       sinnvoll, das Goethe-Institut in Washington, Hauptstadt der Vereinigten
       Staaten, abzuwickeln? 
       
       Ebert: Wir haben die Situation genau analysiert. New York als
       Kulturmetropole, Boston als Wissenschaftsstadt, Los Angeles als Filmstadt,
       San Francisco als Kulturknotenpunkt bleiben erhalten. Die Strukturkosten
       müssen aber runter. Sonst haben wir finanziell zu wenig Spielraum für die
       programmatische Arbeit. Die Balance im Netzwerk muss stimmen. In Washington
       sind viele Institutionen präsent, mit denen wir dort weiter
       zusammenarbeiten. Ins Innere des Landes, in eine Stadt wie Houston zu
       gehen, an bisher eher unterrepräsentierte deutsch-amerikanische
       Knotenpunkte, das ist die Herausforderung.
       
       taz: Frau Joost, Sie sind jetzt seit November 2024 Präsidentin des
       Goethe-Instituts. Hatten Sie schon die Möglichkeit, Institute im Ausland
       kennenzulernen? 
       
       Joost: Meine ersten Auslands-Stationen führten mich zu unseren Instituten
       nach Warschau, Mexiko-Stadt, Washington und New York. Das war im Frühjahr.
       Die Mexikaner schienen mir da noch relativ entspannt. Sie haben zwar
       betont, dass es aktuell ein angespanntes Verhältnis zu den USA gebe,
       wirkten aber dennoch selbstbewusst. Die mexikanische Gesellschaft ist jung
       und dynamisch. Sie fordert sichtbar ihre Rechte und Chancen.
       
       taz: Was kann da der Beitrag deutscher Kulturarbeit im Ausland sein? 
       
       Joost: Ökonomie und Arbeitsmarkt sind globalisiert. Das Goethe-Institut
       spielt zum Beispiel eine zentrale Rolle bei der Zuwanderung von Fachkräften
       nach Deutschland und deren Sprachausbildung. Aber auch kulturell, wenn es
       um Vermittlung und Austausch von Werten geht.
       
       taz: Sie sprechen von Werten, wie stellt sich das in den USA aktuell dar? 
       
       Joost: [1][Man ist es ja eher von anderen Weltregionen gewohnt], dass
       Regierungen die deutsche Kulturarbeit misstrauisch im Blick haben. Ein
       Beispiel aus dem sich verändernden Institutsalltag in den USA: Wir
       engagieren uns seit Jahrzehnten für den Schüleraustausch zwischen
       Deutschland und Amerika. Mit dem German-American-Partnership-Programm
       bringen wir jedes Jahr 7000 amerikanische und deutsche Schülerinnen und
       Schüler zusammen. Es wird vom US Department of State mitfinanziert. Die
       Kollegen bekamen ein Schreiben des Departments mit der Aufforderung,
       nachzuweisen, dass wir keine illegalen Aktivitäten bei Diversität und
       Inklusion betreiben.
       
       taz: Jetzt nicht ernsthaft? 
       
       Joost: Illegal bezieht sich hier auf die abrupt eingeführten neuen
       Förderrichtlinien. So sieht das jetzt in den USA aus. Solche Schreiben
       haben viele Unternehmen und ausländische Institutionen erhalten. Für uns
       ist das eine absolut neue Entwicklung. Natürlich fördert Goethe Vielfalt,
       was sonst? Auch andere ausländische NGOs sind wegen der Entwicklung unter
       Präsident Trump in Sorge was die Meinungsfreiheit und ihre Arbeit betrifft.
       
       taz: Eine Situation, die man bislang eher aus autokratisch regierten
       Ländern kannte. 
       
       Joost: Offenbar erleben wir Einschränkungen der Liberalität nun auch in
       westlichen Staaten, die als demokratisch gefestigt galten. Das
       Goethe-Institut steht für die Freiheit des Kulturaustausches und für
       Vielfalt. Wir müssen schauen, wie es nun weitergeht. Houston kann eine
       Chance sein. Wir stärken aber auch bereits erfolgreich erprobte
       Instrumente. Bürgernahe Angebote wie Städte- und Schulpartnerschaften sind
       niedrigschwellig und fördern Verständigung.
       
       taz: Sie sagen Houston sei eine neue Möglichkeit. Warum gerade dort? 
       
       Ebert: In Houston waren wir zeitweise engagiert, es gibt bereits Vorarbeit
       und Struktur. Als Goethe-Institut arbeiten wir traditionell in den großen
       Städten mit liberalen Kulturszenen zusammen. An einem Standort wie Houston
       stellt sich dieser Austausch anders dar als etwa in New York oder Los
       Angeles. Wir wollen unsere Netzwerke in der Fläche verbreitern.
       
       taz: Geht es bei der Transformation des Goethe-Instituts stärker um die
       Kostenfrage oder die veränderte Lage? 
       
       Ebert: Beides. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat sich die
       Weltlage deutlich verändert. Wir müssen inhaltlich damit umgehen.
       Gleichzeitig hat das Auswirkungen auf den Bundeshaushalt und damit unsere
       finanziellen Rahmenbedingungen.
       
       taz: Das Goethe-Institut hat aber doch keine großen Einbußen beim Budget
       hinnehmen müssen? 
       
       Ebert: Wir erleben seit 2021 eine Kürzung von knapp zehn Prozent im
       institutionellen Budget. Wir erwirtschaften zwar über unsere Sprachkurse
       im Ausland etwa ein Drittel unserer Mittel selbst, aber die institutionelle
       Förderung ist für uns existentiell.
       
       taz: Wie hoch sind Ihre Einnahmen aus den Sprachkursen? 
       
       Ebert: Für 2024 waren es 106 Millionen Euro Umsatz im Ausland. Zusätzlich
       erwirtschaften wir Drittmittel, aber die institutionelle Förderung ist die
       Voraussetzung für die Stabilität des Goethe-Instituts. Derzeit können wir
       an politisch sensiblen Orten, wie in Armenien oder Moldau, nur tätig
       werden, wenn wir woanders etwas wegnehmen. So bedauerlich es ist, um an
       Schnittstellen zwischen Europa und den Gebieten unter Russlands Einfluss
       stärker präsent zu sein, müssen wir in Ländern mit mehreren Instituten
       reduzieren.
       
       Joost: Ich war mit Bundespräsident Steinmeier dieses Jahr in Armenien. Es
       war beeindruckend. Viele der zugespitzten Auseinandersetzungen um
       Demokratie und Orientierung Richtung Europa werden in Staaten wie Armenien,
       [2][der Republik Moldau oder Georgien ausgetragen]. Die historische Last
       der zusammengebrochenen Sowjetunion ist oft noch spürbar. Für
       Kulturschaffende und Zivilgesellschaft kann der Kulturaustausch über das
       Goethe-Institut in Städten wie Jerewan, Tbilissi oder Chişinău von sehr
       großer Bedeutung sein, um europäische Perspektiven zu stärken.
       
       Ebert: Es ist für die demokratische [3][Öffentlichkeit in Staaten wie
       Moldau] sehr schwer, der russischen Propaganda adäquat zu begegnen. Die
       alten Strukturen aus der Sowjetzeit wirken nach. Niemand weiß, in welche
       Richtung es bei den nächsten Wahlen geht. Die digitale Einflussnahme durch
       Russland ist in vielen Bereichen extrem. Der kulturelle Sektor ist
       umkämpft.
       
       taz: Ist das Goethe-Institut in Russland derzeit noch präsent? 
       
       Ebert: Wir sind in Moskau und Sankt Petersburg, eine Mitarbeiterin arbeitet
       weiterhin in Nowosibirsk. Ich habe gesagt, wir gehen erst, wenn man uns
       rauswirft. Wir können [4][im Moment in Moskau] und Sankt Petersburg die
       Bibliotheken offenhalten und haben Publikumsverkehr. Es gibt
       Sprachunterricht durch Partnerorganisationen und Workshops mit
       Kulturschaffenden.
       
       taz: Und die sind auch frequentiert? 
       
       Ebert: Gerade jetzt. Aber wir machen uns keine Illusionen, wir sind
       natürlich unter genauer Beobachtung. Aktuell können wir dazu beitragen,
       dass der neue Eiserne Vorhang vielleicht zehn Zentimeter über dem Boden
       bleibt. Nicht viel, aber ich glaube, es ist sehr wichtig.
       
       taz: Zehn Zentimeter, da passen gerade mal die Mäuse durch. 
       
       Joost: Es ist ein Zeichen. Und für einige weit mehr. Wir sind auch [5][in
       Kyjiw in der Ukraine geblieben], halten dort das Institut geöffnet. Trotz
       der furchtbaren Lage durch die dauernden russischen Angriffe. Die Menschen
       brauchen Kultur, brauchen Hoffnung, sie wollen Sprachen lernen. Das gibt
       Kraft und hilft, widerstandsfähig zu bleiben, und wird auch zum
       Wiederaufbau beitragen, wenn der Krieg beendet sein wird.
       
       taz: Welche Rolle spielt bei der strategischen Ausrichtung der Standorte
       die Zuwanderung von Fachkräften für die deutsche Wirtschaft? 
       
       Joost: Eine große. Mexiko ist zum Beispiel eines der Länder, das von der
       Bundesrepublik in der Fachkräftestrategie priorisiert wird. Ebenso wie
       Indien [6][oder verschiedene Staaten Lateinamerikas.]
       
       taz: Lässt sich das präzisieren? 
       
       Joost: Es geht etwa um Pflegekräfte, medizinisches Personal, um Sektoren
       wie die Mobilitäts- und Digitalwirtschaft. Bestandene Sprachprüfungen sind
       eine Voraussetzung, um Visa zu erhalten. Daneben vermitteln wir vor Ort,
       was einen kulturell in Deutschland erwartet.
       
       taz: Wie viele Menschen betrifft dies insgesamt? 
       
       Ebert: Wir hatten in den letzten drei Jahren etwa 100.000 Menschen in 60
       Ländern in solchen Programmen. Vom Informationsabend, interkulturellem
       Training, Fortbildungskursen bis zur Unterstützung bei Bewerbungsschreiben
       fällt vieles darunter. Unsere Sprachkurse besuchten zuletzt 270.000
       Teilnehmer weltweit. Zwei Drittel dieser Leute interessieren sich dafür,
       einmal in Deutschland zu arbeiten.
       
       Joost: Auch interessant: Die Teilnahme an den Kursen in Präsenz ist in
       vielen Regionen der Welt nicht nur stabil, sondern wächst. Wie etwa in
       Indien.
       
       taz: Bei all den Ansprüchen aus der Politik in puncto Spracherwerb und
       Kulturvermittlung für ausländische Fachkräfte: Wie viel Kapazität bleibt
       beim Goethe-Institut da noch, um freie Projekte, den Austausch von Kultur
       und Kunst zu fördern? 
       
       Ebert: Die aktuelle Außenpolitik stellt Sicherheit, Freiheit und Wohlstand
       in den Mittelpunkt. Da setzen wir beispielsweise mit unserer Arbeit bei der
       Fachkräfte-Zuwanderung an. Genauso aber gehört es zu unserem Auftrag als
       weltweit tätige Kulturinstitution, für freie Kunst und Kultur einzustehen
       und diese zu fördern. Daran wird sich nichts ändern. Das Goethe-Institut
       trägt die Freiheit der Kunst und Kultur in seiner DNA.
       
       taz: Autokratische Staaten tragen über das Digitale, den Kunst- und
       Wissenschaftsbereich Kulturkämpfe aggressiv in die westlichen
       Gesellschaften hinein. Wie reagiert das Goethe-Institut darauf? 
       
       Joost: Zuallererst, indem wir die Freiheit von Kunst, Kultur und einer
       offenen Gesellschaft verteidigen. Wir setzen auf unsere Ausstrahlungskraft.
       Als Goethe-Institut wollen wir diese verkörpern und natürlich auch
       verstärkt auf digitale Strategien setzen – in den sozialen Medien haben wir
       eine Reichweite von über sechs Millionen Followern.
       
       Ebert: Derzeit wird wieder viel über den Begriff der Soft Power gesprochen.
       Er besagt in etwa, je höher die Anziehungskraft, desto größer der
       politische Einfluss eines Landes. Dafür spielen Kultur, Bildung und
       Wissenschaft eine wichtige Rolle. Wenn man fragt, was die Attraktivität
       Deutschlands in diesen Bereichen ausmacht, dann ist es gerade die Freiheit
       von Meinung, die Freiheit von Kultur und Wissenschaft. Und dafür steht das
       Goethe-Institut. In der Auseinandersetzung mit autoritären Staaten habe ich
       die Erfahrung gemacht, dass die Gesellschaften oft weniger monolithisch
       sind, als man annimmt. Es gibt immer Bereiche, die offen für Kooperation
       und Austausch sind. Da setzen wir an, auch wenn freiheitliche Werte
       hinterfragt werden. Ohne Dialog ist alles nichts. Sich darauf einzulassen,
       bedeutet dabei nicht, sich zu verbiegen oder Haltung aufzugeben. Das bleibt
       für uns die permanente Herausforderung, ob nun in Houston, Jakarta,
       Tbilissi oder Jerewan.
       
       27 Sep 2025
       
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