# taz.de -- Pflegende Angehörige: Fragwürdige Kontrolle
> Kameras in der Wohnung von Demenzkranken bedeuten einen massiven Eingriff
> in ihre Privatsphäre. Und sie fördern die zwischenmenschliche Distanz.
IMG Bild: Für die an Demenz erkrankten Menschen ist der direkte Kontakt sehr wichtig. Eine Kamera in der Wohnung bringt ihnen nichts
Die Zahl demenzkranker Menschen in unserer Gesellschaft ist groß und sie
nimmt weiter zu. Gemäß epidemiologischer Daten von 2023 wurde ihre Anzahl
in Deutschland zuletzt mit [1][1,8 Millionen] angegeben. Viele dieser oft
betagten Personen leben allein. Häufig wollen sie ihre Wohnung und damit
ihre vertraute Umgebung nicht verlassen. Krankheitsbedingt sind die
Betroffenen jedoch auf umfassende Unterstützung im Alltag angewiesen.
Demenzkranke Menschen benötigen regelmäßige Erinnerungs- und
Orientierungshilfen. Sie müssen an Essen, Trinken und das Wechseln ihrer
Kleidung erinnert werden – oder sie brauchen schlicht Hilfe bei der
Einordnung einer ins Wanken geratenen Realität. Viele Angehörige können
oder wollen eine derart engmaschige Betreuung und Fürsorge nicht leisten.
Dem Einsatz [2][professioneller Pflegekräfte] sind dagegen häufig
personelle oder finanzielle Grenzen gesetzt.
Das hieraus entstehende Betreuungsdilemma rührt am Verantwortungs- und
Pflichtbewusstsein – und auch an moralischen Überzeugungen. Mitunter
entscheiden sich die Angehörigen in dieser Situation, die Demenzkranken
mittels einer Videokamera in ihrer Wohnung zu überwachen. Sie versprechen
sich hiervon eine Verbesserung der Sicherheit und damit der Lebensqualität
der Betroffenen. Aber ist dem so zuzustimmen?
Für die Demenzkranken bedeutet die Videoüberwachung eine mehr oder minder
lückenlose Aufzeichnung ihres Alltags in den eigenen vier Wänden. Der
Kameraeinsatz stellt damit einen massiven Eingriff in ihre Privatsphäre
dar. Durch diese Maßnahme wird ihr Recht auf Würde, Intimität sowie ihr
Recht am eigenen Bild verletzt. Problematisch ist, dass die Betroffenen
krankheitsbedingt selbst nicht mehr in der Lage sind, die Konsequenzen des
Technikeinsatzes kritisch zu hinterfragen.
## Überwachende und Überwachte
In der Regel haben sie die Vertretung ihrer Wünsche und Interessen mit
einer Vorsorgevollmacht in die Hände von Angehörigen gelegt, die dann die
Kameras installieren. Für den Fall fehlender Geschäftsfähigkeit wird hier
vorab verfügt, wie und in welchem Umfang die Person ihre Interessen
vertreten soll. Bei der Entscheidung für eine Videoüberwachung stellt sich
jedoch die Frage, ob die Angehörigen diesem Auftrag gerecht werden oder ob
sie an dieser Stelle eher ihren eigenen Wünschen folgen.
Im öffentlichen Raum gilt für den Gebrauch von Videotechnik gemäß
Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), dass eine Überwachung „erforderlich,
zweckmäßig und verhältnismäßig“ sein muss. Die [3][Verhältnismäßigkeit]
wird hier entlang der Verletzung elementarer Persönlichkeitsrechte der
Beobachteten definiert. Der private Raum ist hingegen eine rechtliche
Grauzone, in der die DSGVO nicht greift. Dennoch muss die berechtigte Frage
lauten: Was bringt die Kameraüberwachung den Betroffenen? Heiligt der Zweck
hier wirklich die Mittel?
Eine Videoaufzeichnung kann keine vergessene Herdplatte verhindern und auch
nicht, dass eine Person in der Wohnung stürzt. Weder wird Orientierungs-
oder Hilflosigkeit unterbunden, noch wird den Ängsten der Betroffenen
begegnet. Eine „anlassbezogene“ Auswertung des Bildmaterials, wenn
beispielsweise die Betroffenen nicht ans Telefon gehen, oder der
Kontrollblick am Nachmittag, nützt nur den Beobachtenden. Ein Mensch, der
hilflos auf dem Boden liegt, wird immer erst im Nachhinein entdeckt werden.
Nichts, was nicht auch ein Pflegedienst, der zweimal am Tag die Medikamente
bringt, bewältigen würde. Auch eine wohlmeinende Videoüberwachung wird sich
auf die Beziehung der Beteiligten auswirken: Aus den demenzkranken Personen
und ihren Angehörigen werden Überwachte und Überwachende. Eine Begegnung
wird zumindest vorübergehend durch eine Beobachtung ersetzt. Es ist nicht
vorhersehbar, wie sich menschliches Verhalten im Laufe einer
Demenzerkrankung verändert.
## Das Gespräch kann die Kamera nicht ersetzen
Oft fordern eine verschobene Einordnung der Realität oder sogar wahnhafte
Überzeugungen der Betroffenen die Angehörigen stark heraus. Umso wichtiger
ist es, im Gespräch zu bleiben. Es hilft den Betroffenen, wenn sie ihr
Erleben und ihre Sorgen artikulieren und gemeinsam einordnen können. Nur so
werden die häufig entstehenden Missverständnisse beseitigt, können Ängste
eingefangen werden. Der Einsatz von Videotechnik deckt diese kommunikativen
Bedarfe nicht.
Er befördert Distanz, Befremden und auch Sprachlosigkeit dort, wo
eigentlich Nähe, Dialog und Körperkontakt gebraucht werden. Die
Videoüberwachung kann keinen nachhaltigen Beitrag zur Sicherheit oder der
Lebensqualität demenzkranker Menschen leisten. Möglicherweise trägt sie
dazu bei, ein diffuses schlechtes Gewissen oder Kontrollwünsche der
Betreuenden zu befrieden. Die Verletzung elementarer Persönlichkeitsrechte
lässt sich damit jedoch nicht rechtfertigen.
Angesichts des [4][Pflegenotstandes] ist in den letzten Jahren viel Geld
und Aufmerksamkeit in die Entwicklung von Assistenzsystemen, Robotern und
Ortungstechnik investiert worden. In der Altersmedizin werden
Sturzsensoren, Apps zur Ganganalyse und Roboter als Demenzbetreuer erprobt
– um nur einige Beispiele zu nennen. Es scheint aktuell wichtiger denn je,
zu prüfen, ob diese technologischen Entwicklungen tatsächlich unsere
menschlichen Probleme lösen.
Die Omnipräsenz von Sensoren und die schiere Möglichkeit der dauerhaften
Datenakquise sollte uns nicht vergessen lassen, zu hinterfragen, welchen
Preis wir hierfür zahlen. Da der Einsatz von Technologie häufig
Grundrechtseingriffe mit sich bringt, sollte er zukünftig in die
Patient:innen- und Betreuungsverfügungen integriert werden. So könnte
gewährleistet werden, dass problematische Themen wie ein GPS-Tracking, eine
Datensammlung oder sogar ein Kameraeinsatz frühzeitig mit den Betroffenen
kommuniziert und abgewogen werden.
28 Sep 2025
## LINKS
DIR [1] https://www.deutsche-alzheimer.de/fileadmin/Alz/pdf/factsheets/infoblatt1_haeufigkeit_demenzerkrankungen_dalzg.pdf
DIR [2] /Fachkraeftemangel-in-der-Pflege/!6000801
DIR [3] https://www.datenschutz.de/videoueberwachung-im-oeffentlichen-raum-zur-gefahrenabwehr/
DIR [4] /Pflegenotstand/!6073890
## AUTOREN
DIR Gabriele Brasse
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