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       # taz.de -- „Heimatland“ von Güner Balci: Nicht Klartext, sondern Kulturkampf
       
       > Neuköllns Integrationbeauftragte Güner Balci warnt in „Heimatland“ vor
       > einer „Islamisierungswelle“ – und stärkt darin unbeabsichtigt rechte
       > Narrative.
       
   IMG Bild: Güner Balci vertritt in ihrem Buch „Heimatland“ streitbare Thesen
       
       Berlin taz | Verschleierte Frauen sind unterdrückt, muslimische Männer
       Sexisten und die „Woken“ juckt’s nicht, weil die mit sich selbst
       beschäftigt sind. Endlich sagt’s mal jemand! Überraschung: Es ist weder
       [1][Thilo Sarrazin] noch Alice Schwarzer. Diese Thesen stammen aus dem im
       August erschienen Buch „Heimatland“ der Integrationsbeauftragten für
       Neukölln, Güner Yasemin Balci.
       
       Die Sozialarbeiterin und Filmemacherin wurde 1975 in Berlin geboren und ist
       im Rollbergkiez in Neukölln aufgewachsen. In ihrer Autobiografie erzählt
       die Tochter alevitischer Türken, wie ihre Familie in Deutschland Fuß fasste
       und ihre Eltern sich für die Integration ihrer Kinder engagierten.
       Gleichzeitig warnt Balci vor einer abgeschotteten reaktionären islamischen
       Parallelgesellschaft, die sich dort zunehmend ausbreite.
       
       Sie berichtet von türkischen, arabischen oder albanischen Vätern, die sich
       als patriarchale Autoritäten inszenieren, sowie Salafisten und Imamen, die
       sich selbst zu Familienrichtern ernennen und nach Scharia-Regeln handeln:
       Mädchen zu Hause einsperren und zwangsverheiraten.
       
       Balci benennt damit Probleme, die mit Migration einhergehen. So weit, so
       berechtigt. Das Problem: Die Pauschalisierungen. Nicht jede arabische
       Familie ist patriarchal und nicht jede verschleierte muslimische Frau ist
       unterdrückt.
       
       ## Stereotypen über Migrant*innen werden verstärkt
       
       Für Balci schon: Das Kopftuch sei ein Symbol der Unterdrückung und linke
       Feminist*innen, die Kopftücher befürworten, seien „Wohlstandsverwahrloste“,
       sagte sie der Neuen Zürcher Zeitung. Das zu behaupten ist ignorant und
       blendet die komplexen vielfältigen Lebensrealitäten muslimischer Frauen
       aus.
       
       Balci verstärkt durch ihre Generalisierungen bestehende Stereotypen über
       Migrant*innen, den Islam und gewalttätige Ausländer. So plädiert sie etwa
       dafür, statt von „Femiziden“ von „Ehrenmorden“ zu sprechen, da die Täter
       angeblich überwiegend migrantisch seien und aus dem Motiv der
       „Familienehre“ handelten. Das entspricht nicht der Realität: Der Anteil der
       Täter mit Migrationshintergrund ist nicht höher als ihr Anteil in der
       Bevölkerung.
       
       Die Integrationsbeauftragte Balci [2][inszeniert sich als jemand, die
       Klartext spricht und keinen Kulturkampf betreibt] – doch ihre Argumentation
       trägt genau dazu bei. Die „Woken“ und die Medien würden sich nicht für das
       Recht auf Selbstbestimmung von muslimischen Mädchen interessieren, schreibt
       sie. „Stattdessen wird die Frage diskutiert, ob es so etwas wie das
       biologische Geschlecht gibt.“ Whatabout: Das eine hat mit dem anderen
       nichts zu tun und beide Themen verdienen Aufmerksamkeit – nicht Konkurrenz.
       
       Doch anstatt die Gleichzeitigkeit auszuhalten, beißt Balci sich fest an den
       „Moralaposteln einer postmigrantischen Generation von woken
       Identitätspolitikern“, die [3][jeden, der Probleme in der
       Einwanderer-Community anspricht, sofort als „Rassisten“ brandmarken]. Sie
       hat recht: Diese Probleme müssen angesprochen werden können – aber
       differenziert. Andernfalls stärken sie unbeabsichtigt rechte Narrative.
       
       ## AfD befürwortet Balcis Thesen
       
       So wie Balcis Warnungen vor der „Islamisierungswelle“, bei der
       Fehlverhalten fast ausschließlich kulturell-religiös erklärt wird und die
       sozialen Realitäten der Betroffenen kaum berücksichtigt werden. So
       beglückwünschte sie etwa die AfD, als sie 2020 Integrationsbeauftragte
       wurde, während Linke und Grüne dagegen demonstrierten: „Wir wünschen Frau
       Balci viel Erfolg für ihre Arbeit und gute Nerven, die sie bei den sicher
       nicht weniger werdenden Angriffen vonseiten linker Ideologen ganz bestimmt
       brauchen wird“, schrieb die AfD.
       
       Es zeigt sich: Balci erreicht mit ihren pauschalen Thesen nicht das, was
       ihre Aufgabe als Integrationsbeauftragte ist. Wer Thesen von Sarrazin
       zustimmt, muss damit rechnen, von den Rechten gefeiert zu werden. Dass sie
       sich in ihrem Buch für ein Verbot der AfD ausspricht, ändert an dem
       Grundproblem nichts.
       
       Veranstaltungshinweis: Am Mittwoch, den 1. Oktober, liest Güner Balci um
       19.20 Uhr im Restaurant Bajszel in der Emser Straße 8/9 in Neukölln aus
       ihrem Buch „Heimatland“.
       
       30 Sep 2025
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Lilly Schröder
       
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