# taz.de -- Vertrauen versus Misstrauen: Paranoide Störung
> Rechtsextremisten nutzen die epidemisch gewordene Missstimmung, um ihren
> Faschismus zu aktivieren. Und das stetig und mit wachsendem Erfolg.
IMG Bild: Gesundes Misstrauen und fantasievoller Widerstand gegen Faschisten ist angesagt
Eine meiner Eigenarten ist, dass ich die allermeisten Menschen nett finde,
von ihnen das Beste annehme und ihnen vertraue. Manche sagen, das sei eine
Macke, die mich leicht zum Opfer macht, von anderen ausgenutzt zu werden.
Aber ich mag meinen Charakterzug, weil ich mir einrede, so glücklicher
durchs Leben zu kommen. Umgekehrt wäre man ein argwöhnischer Miesepeter,
stets negativistisch und schlecht gelaunt. Misstrauen vergiftet doch die
Seele.
Sollten Sie das ähnlich sehen und mich folglich für ein seelisch
bewundernswert gesundes Individuum halten, darf ich sie beruhigen. Auch ich
habe den einen oder anderen Schuss an der Waffel. Ich neige etwa dazu,
jedes Problem als gigantisch und unlösbar anzusehen und den Kopf in den
Sand zu stecken, bevor ich es angehe. Meist lässt sich das Problem mit
einem Anruf aus der Welt schaffen. Ich nenne das meine kleine Angststörung.
Wir haben alle unsere Gestörtheiten, nur eben alle eine andere.
Da das Private ja bekanntlich politisch ist, sollte man die Augen nicht
davor verschließen, welche politischen Folgen es hat, wenn jemand ein
misstrauischer Charakter ist. Der zeitgenössische Faschismus, den man bis
vor Kurzem verharmlosend „Rechtspopulismus“ nannte, nutzt das Misstrauen
als politische Energie. Den Leuten wird eingeredet, dass ihnen Eliten,
Woke, Migranten, Juden, die ARD oder sonst wer nur das Übelste wollen: Sie
werden in eine paranoide Weltauffassung hineinagitiert.
In der Sozialpsychologie gibt es jahrzehntelange Debatten darüber,
inwiefern ein „autoritärer Charakter“ eine Voraussetzung dafür ist, von
faschistischen Bewegungen angesprochen zu werden. Oder ob eigentlich jede
Person potenziell in eine paranoide Störung getrieben werden kann, wenn sie
in die Fänge der Agitation gerät. Klar ist, dass es Charakterdispositionen
sind, die dafür empfänglicher machen, die aber in Folge zum Eskalieren
gebracht werden.
Die Unfähigkeit zu vertrauen, gehört heute zentral zu diesen
Charakterdispositionen. Sozialpsychologische Untersuchungen haben Indizien
dafür gefunden, dass die autoritären Charaktere der Gegenwart nicht wie die
Fascho-Mitläufer vor hundert Jahren durch autoritäre Erziehung und
Sozialisation in repressiv-hierarchischen Systemen geprägt sind, sondern
oftmals durch verweigerte Anerkennung als Kind und geringes Vertrauen in
andere Menschen. Kommt dann eine Abfolge von Verwundungen, Enttäuschungen
und seelischen Verletzungen hinzu, entsteht ein chronisch misstrauisches
Individuum.
## Grundlegendes Misstrauen schützt
Der Psychoanalytiker Hans-Jürgen Wirth unterstreicht, dass Menschen, die
von epistemischem Misstrauen geprägt sind, sich „in einer ständigen
Bereitschaft“ befinden, alles kritisch zu hinterfragen und misstrauisch
nach möglichen Fallstricken, versteckten unlauteren Interessen“ zu
durchleuchten. Eine solche Person wird „grundlegendes Misstrauen“ gegen
Informationen, Einschätzungen, Maßnahmen hegen.
Nun ist es mit dem Misstrauen eine ambivalente Sache. Misstrauen gehört
beispielsweise zur Demokratie dazu. [1][Eine Aufdeckerjournalistin, die
Behörden blind vertraut, wird einen schlechten Job machen.] Ein Jasager,
der leichtgläubig alles für bare Münze nimmt, was ein Bundeskanzler
erklärt, ist kein gutes Subjekt der Demokratie. Rebellinnen und Rebellen
bringen die Welt voran und zeichnen sich dadurch aus, dass sie an allem
zweifeln. „Die Demokratie wird sozusagen systematisch von Misstrauen
begleitet, ja sie bringt dieses Misstrauen selbst hervor“, schreiben
Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey in ihrem Theoriebestseller
[2][„Gekränkte Freiheit“.]
Andererseits wiederum funktionieren Demokratie und Zusammenleben in
anonymen Massengesellschaften nicht ohne ein Grundvertrauen. Wir sehen
also, dass es so etwas wie gesundes Misstrauen gibt, und das „destruktives
Misstrauen“ direkt in die Paranoia führt. Ersteres ist für die Demokratie
notwendig, Letzteres ein Krankheitssyndrom. Die Unfähigkeit zu vertrauen,
belastet nicht nur das Leben, eine Epidemie des Misstrauens wird jedes
menschliche, gesellschaftliche Zusammenleben verunmöglichen.
Misstrauen ist also ambivalent, aber doch ein vornehmlich „rechtes Gefühl“.
Die Bereitschaft, Verschwörungstheorien zu glauben, ja, bei jedem
Sachverhalt schnell in [3][Verschwörungsdenken zu verfallen], ist vor allem
im neuen Faschismus zentral. Klar gibt es das auch bei Teilen der Linken,
etwa als Antikapitalismus für dumme Kerle. Aber für den Rechtsextremismus
ist es fundamental. Verschwörungsideologien haben etwas Entlastendes, eine
konfuse Welt wird übersichtlich. Man weiß, wo die Schurken sitzen. Es gibt
dann Täter und Hintermänner, die die Fäden ziehen. Das macht
Verschwörungserzählungen und die Versimpelung der Welt attraktiv.
Die faschistische Propaganda zielt darauf ab, das [4][Krankheitsbild des
chronifizierten Misstrauens] bei ihren Anhängern stets zu aktivieren, indem
sie ihre Kernbotschaft trommelt, dass unsichtbare Mächte irgendwo im
Verborgenen säßen, die „nichts anderes in Sinn hätten, als unser aller
Untergang herbeizuführen und sich dabei ihren eigenen Vorteil zu sichern“
(Heidrun Deborah Kämper). Regelrechte Wahnideen wie die vom „großen
Austausch“ sind die Folge. Das faschistische Subjekt leidet nicht an
Paranoia. Es genießt sie geradezu.
Die Unfähigkeit zu vertrauen ist bis heute eine eher unterbelichtete Sache
in der Gesellschaftsanalyse. Die Rohheit, die unsere Gesellschaft
durchzieht, ist ohne den misstrauischen Charaktertypus nicht zu erklären.
Hypersensible Wachsamkeit, die ständige Bereitschaft, überall Feinde zu
wittern, den Betrug auszumachen, sie zeichnet diese unangenehmen
Zeitgenossen aus, denen bei der geringsten Gelegenheit schon die Hutschnur
reißt, diese aufbrausenden, rigiden, manchmal besserwisserischen, stets
konfrontativen Typen, die jeder Supermarktkassiererin das Leben schwer
machen.
4 Oct 2025
## LINKS
DIR [1] /Demokratiefoerderung-im-Koalitionsvertrag/!6077911
DIR [2] https://www.suhrkamp.de/buch/gekraenkte-freiheit-t-9783518430712?utm_source=google.com&utm_medium=ad&utm_campaign=pmax&gad_source=1&gad_campaignid=20199555726&gclid=EAIaIQobChMI9sWf_syAkAMVQqn9BR1XIwpZEAAYASAAEgKJLfD_BwE
DIR [3] /Comeback-von-Xavier-Naidoo/!6097176
DIR [4] /Historikerin-ueber-rechte-Koerperpolitik/!6110952
## AUTOREN
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