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       # taz.de -- Tätlicher Angriff auf Polizeibeamtin: Zu viel Widerstand geleistet
       
       > Eine Demonstrantin wird zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie eine
       > Polizistin getreten hat. Ein Video davon hat die Richterin sich nicht mal
       > angesehen.
       
   IMG Bild: Wer denen wehtut, kann hart bestraft werden: Beamte in Montur vor einer Sitzblockade gegen Nazis in Aachen im Januar
       
       Hannover taz | In Hannover musste sich am Mittwoch eine junge Frau vor dem
       Amtsgericht verantworten, weil sie am Rande einer Demo heftigen Widerstand
       gegen Polizeibeamte geleistet und dabei eine Polizistin getreten hatte.
       
       [1][Dass solche Fälle überhaupt vor Gericht landen], ist eher selten: Meist
       werden sie mit einem Strafbefehl erledigt. Das hatte die zuständige
       Richterin auch in diesem Fall vor. Doch die junge Frau legte über ihre
       Rechtsanwältin Einspruch ein, weil ihr der Tagessatz, zu dem sie verurteilt
       wurde, zu hoch erschien. 120 Tagessätze über 80 Euro, also insgesamt 9.600
       Euro sind eine Menge Geld für jemanden, der gerade erst eine Ausbildung in
       der Pflege begonnen hat.
       
       Die kurze Verhandlung wirft allerdings auch ein interessantes Schlaglicht
       darauf, wie rasch und oberflächlich solche Fälle sonst abgehandelt werden.
       Den Grundvorwurf hat die Angeklagte dabei gar nicht bestritten. Es geschah
       am Rande der Demo z[2][um Gedenken an Halim Dener], der 1994 in Hannover
       von einem Polizisten erschossen wurde, nachdem der ihn beim Plakate kleben,
       für eine Unterorganisation der verbotenen PKK erwischt hatte.
       
       Die 22-Jährige – so schildert es der Staatsanwalt – soll sich dabei einer
       Polizeikette von hinten genähert haben. Ein Polizist soll sie daraufhin
       aufgefordert haben, zu den anderen Demonstranten auf die Limmerstraße
       zurückzukehren und sie in diese Richtung geschoben haben. Sie weigert sich,
       weicht aus, will weiter in die andere Richtung laufen.
       
       ## Straftaten gegen die Polizei werden härter bestraft
       
       Ein zweiter Beamter kommt hinzu und hilft nach, die junge Frau stolpert und
       fällt einer weiteren Beamtin in den Rücken. Daraufhin entspinnt sich ein
       Gerangel, bei dem die Beamten versuchen, sie am Boden zu fixieren, während
       sie um sich tritt und dabei mehrfach die Polizeibeamtin trifft, der sie
       auch schon in den Rücken gefallen ist. Die habe sogar noch versucht, sie zu
       beschwichtigen, vergebens. Auch wenn es dabei zu keinen schlimmeren
       Verletzungen kam, ist so etwas ein tätlicher Angriff.
       
       Der entsprechende Paragraf ist in den vergangenen Jahren zweimal verschärft
       worden, 2011 und 2017. Beide Male ging dem [3][eine längere politische
       Debatte über die steigende Anzahl] an Angriffen auf Polizeibeamte und
       andere Einsatzkräfte voraus – die übrigens auch nach der Strafverschärfung
       nicht gesunken ist.
       
       Der aktuelle Strafrahmen sieht eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu
       fünf Jahren vor. Im Einzelfall können auch Geldstrafen verhängt werden. Die
       liegen dann aber über 90 Tagessätzen, was bedeutet, dass man vorbestraft
       ist.
       
       Umstritten ist diese Regelung vor allem, weil hier oft eine Aussage gegen
       Aussage-Konstellation vorliegt, die nur deshalb regelmäßig zu
       Verurteilungen führt, weil Gerichte den [4][Aussagen der Polizeibeamten
       grundsätzlich mehr Glauben schenken] als anderen Zeugen oder Beweismitteln.
       So scheint es auch hier gewesen zu sein: Nein, bekennt die Amtsrichterin in
       der Verhandlung freimütig, das Video von dem Vorfall habe sie sich gar
       nicht angesehen – weder bevor sie den Strafbefehl erlassen hat, noch vor
       dieser Verhandlung.
       
       ## Richterin bestellte der Schwarzen Deutschen Dolmetschung
       
       Wenn sie das getan hätte, bemerkt die Anwältin der Beschuldigten spitz,
       hätte sie sich unter Umständen einen peinlichen Fauxpas erspart. Das
       Gericht hatte nämlich eine Französischdolmetscherin bestellt, obwohl es mit
       einem Blick in die Akte hätte feststellen können, dass die junge Schwarze
       Frau in Deutschland geboren wurde und die deutsche Staatsangehörigkeit
       besitzt. Auf dem Video soll außerdem zu hören sein, dass sie fließend
       Deutsch spricht. „Ich habe nur auf den Aktendeckel geguckt und da stand
       Togo“, erklärt die Richterin achselzuckend.
       
       Den tätlichen Angriff erklärt die Anwältin im Übrigen mit der Überforderung
       ihrer Mandantin. Kurz zuvor hätte ein Polizeibeamter sie genau in die
       entgegen gesetzte Richtung geschickt, die junge Frau sei Autistin und mit
       der lärmigen, unübersichtlichen Gesamtsituation und den körperlichen
       Berührungen nicht klargekommen. Auch im Gerichtssaal wirkt sie äußerst
       angespannt, ihre Beine zittern, auf die Anwesenheit der als Zeugen
       geladenen Polizeibeamten reagiert sie mit Tränen.
       
       Zudem macht ihre Anwältin geltend, sei die Strafe schon deshalb viel zu
       hoch angesetzt, weil ihr von ihrem schmalen Azubi-Lohn nach Abzug der Miete
       kaum mehr als das Existenzminimum bliebe. Man solle sich eher an dem
       Tagessatz orientieren, der bei Bürgergeldempfängern üblich wäre. Ganz so
       weit heruntergehen wollte die Richterin dann aber nicht. Sie folgte mit
       ihrem Urteil dem Antrag der Staatsanwaltschaft, den Tagessatz auf 30 Euro
       festzulegen. Damit muss die 22-Jährige nun nur noch 3.600 Euro aufbringen.
       
       2 Oct 2025
       
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