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       # taz.de -- „The Rocky Horror Drag Show“ in Berlin: Sie feiern sich, wie sie sind
       
       > „The Rocky Horror Drag Show“ heißt der neue Hit des RambaZamba Theaters.
       > Dieser aktualisiert, verfremdet und queert – im besten Sinne – die
       > Vorlage.
       
   IMG Bild: Rocky und Frank N. Furter: Vorlage und Inszenierung, Drag-Performance und Geschlechterrollen, alles verschwimmt
       
       Berlin taz | Mit der Dunkelheit senkt sich auch die Leinwand im Saal des
       RambaZamba Theaters, in dem das Publikum um einen Catwalk herum Platz
       genommen hat. Statt Patricia Quinns legendären roten Lippen erscheint hier
       ein anderer, leicht glitzernder Kirschmund auf dem Schwarz der Projektion.
       Im Verlauf des Abends wird er sich als der der Dragqueen Judy LaDivina
       herausstellen, zu dem sich die Lippen von weiteren Darsteller*innen
       gesellen werden.
       
       Und die werden gemeinsam „Science Fiction Double Feature“ lip-syncen,
       während visuell ganz nah am Originalvorspann die Credits des folgenden
       Abends über die Saalwand flimmern: Die „Rocky Horror Drag Show“ hat
       begonnen und wird sich im Verlauf des Abends immer mehr von der prominenten
       Vorlage entfernen, diese aktualisieren, verfremden, im besten Sinne queeren
       – denn ja, auch das geht.
       
       Ursprünglich als Musical unter dem Namen „The Rocky Horror Show“ 1973 von
       Richard O’Brian im Londoner Royal Court Theater uraufgeführt, [1][wurde die
       1975 erstmals vorgeführte Kinovariante mit später prominenter Besetzung
       (unvergessen Susan Sarandon im Unterrock) nach anfänglichem Kassenflopp
       schnell zu einem internationalen Underground-Kulturhit], bei welchem häufig
       das gesamte Publikum in einer Art Laiendarsteller*innen-Performance
       mitmachte.
       
       ## Bernd und Janet
       
       Nur logisch, dass auch im [2][RambaZamba Theater] erst mal der
       Tanzklassiker „Time Warp“ zum gleichnamigen Song erklärt wird – und – bis
       auf den eifrig schreibenden Kritiker in der zweiten Reihe – bei der
       Premiere tatsächlich nach dem üblichen anfänglichen Zögern, das jedwede Art
       theatralischer Partizipation begleitet, alle mitmachen, die körperlich dazu
       in der Lage sind.
       
       Doch zuvor wird geheiratet, denn auf der Hochzeit verloben sich die
       konservativen Verliebten Brad (in diesem Fall Bernd) und Janet. Auch im
       Theater geschieht das auf einer Filmaufnahme, hier allerdings – sehr lustig
       – mithilfe von amateurhafter Animation.
       
       Statt Reis wird erst mal Shade (wie die öffentlichen Sticheleien in der
       Ballroom-Szene heißen) gestreut, wenn Dragqueen Bibingka in der Rolle der
       Magenta das Publikum begrüßt: „Wie schön, dass alle so schön gekommen sind.
       Judging by your outfits it looks like you’re familiar with the genre of
       horror.“
       
       ## Aus Biesenthal nach Berlin
       
       Und dann geht es los. Bernd und Janet verirren sich aus Biesenthal kommend
       im lauten Berlin auf der Suche nach ihrem Freund und ehemaligen Professor
       Doctor Scott ins Schloss von Dr. Frank N. Furter, gespielt von der Berliner
       Drag-Legende Judy LaDivina. Dort feiert eine hedonistische Truppe
       Außerirdischer vom Planeten Transsexual in der Galaxie Transylvania ein
       rauschendes Fest.
       
       Frank begrüßt die beiden, die verstört doch eigentlich nur telefonieren
       wollen. Insbesondere die eher zart besaitete Janet ist zunächst verschreckt
       von der eingeschworenen Gemeinde Andersartiger, jedoch später auch
       offensichtlich beeindruckt von Rocky, dem perfekten Menschen (der ihr einen
       wirklich meisterhaft gespielten Orgasmus verschaffen wird), erschaffen von
       Dr. Furter.
       
       Der beherrscht ganz wie im Original den Abend, das Schloss, seine Kreaturen
       und das Publikum, während die Grenzen zwischen Vorlage und Inszenierung,
       Drag-Performance („You can call me Mother“), Schauspielervorbild,
       irgendwelchen vierten Wänden, Geschlechterrollen, Normativem,
       Körperbildern, Realität und diversen Ebenen der Fiktion verschwimmen – der
       ausgeschenkte Schnaps, der für die Volljährigkeits-Altersgrenze der
       Veranstaltung verantwortlich ist, trägt sein Übriges dazu bei.
       
       ## Weiche Gefühle im Magen
       
       Während man also zuschaut und mitmacht, mitlacht, mitleidet und so ganz in
       diesem wilden, glitzernden, glamourösen Abend versinkt, der durchbrochen
       von neuen Elementen wie Voguing-Contests, Songs von Gloria Gaynor, Sia,
       Cobrah und anderem später doch anders enden wird, als man es aus dem
       Original erwartet, machen sich ein paar weiche, diffuse Gefühle im Magen
       breit. Da ist in dieser Inszenierung von Jakob Höhne eine ganz rohe, im
       wörtlichsten Sinne liebevolle Form der Anrührung, über diese Bereitschaft
       der Gemeinschaft, sich zu feiern, genauso wie man ist.
       
       Eine bedrückende, kloßige Trauer über die Erkenntnis, dass die Vorlage
       dieses Stückes schon seit 50 Jahren zum popkulturellen Gedächtnis unserer
       Zeit gehört, und darüber, wie wenig sich eigentlich seitdem geändert hat –
       oder wie es sich zumindest gerade so anfühlt. Und eine perfide aufkeimende
       Angst vor den trans- und homophoben, den ableistischen und misogynen
       Tendenzen dieser Zeit und davor, dass diese fantastischen Räume der
       grenzenlosen Freiheit vielleicht irgendwann weniger frei sein könnten.
       
       Doch dann reißt einen der frenetische Applaus aus den Gedanken, als Rocky
       die Schlussworte spricht: „Jetzt bin ich Chefin: ich bin erst zwei Stunden
       alt. Ich vertraue nur auf mich selbst und meinen Orgasmus.“ So soll es
       sein.
       
       2 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Hilka Dirks
       
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