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       # taz.de -- Ästhetik der Sportsbar: Athletik nur zum Kuscheln
       
       > Ein ganz anderes Verständnis von Sport lässt sich da besichtigen, wo man
       > es nicht vermutet: auf der Architektur-Biennale in Venedig.
       
   IMG Bild: Sport ist da, wo man ihn erblickt: Carlo Ratti, Direktor der Architektur-Biennale 2025 in Venedig, auf einem Wasserfahrrad
       
       Mit einer Sportsbar auf dem Gelände der [1][Architektur-Biennale] haben
       wohl die wenigsten gerechnet, die sich in diesem Jahr auf den Weg nach
       Venedig gemacht haben. Beim Betreten der Bar blickten einige der braven
       Leute doch recht verdutzt drein. Sie mögen sich zuvor über nachhaltige
       Bauprojekte in Spanien informiert haben. Oder sie sind im deutschen
       Pavillon angesichts der dort ausgestellten Extremhitze in Klimapanik
       geraten. Vielleicht haben sie noch ein wenig nachgedacht über das
       Karl-Popper-Zitat, das über den ägyptischen Visionen für ein Leben von Wind
       und Wasser angebracht war: „Die Zukunft ist weit offen. Sie hängt von uns
       ab. Von uns allen.“
       
       Nun standen sie im lila ausgeschlagenen Pavillon der Niederlande vor einem
       riesigen, Kurven schlagenden [2][Tischkickergerät] für mindestens zehn
       Spieler und Spielerinnen, die alle auf einer Seite stehen. Sie konnten sich
       auf Barhocker setzen und Aufzeichnungen von Sportereignissen verfolgen, die
       über die darüber angebrachten Bildschirme liefen. Man konnte auch zu einer
       Zeitung greifen, in der Ideen für einen solidarischen Sport vorgestellt
       werden. Signierte Trikots und Schals an den Wänden gibt es in der Sportsbar
       zu bewundern und die Besucher können sich über ausgestellte Pokale aus
       Schaumgummi wundern. Keine kalten Metallpokale für Sieger sind da zu sehen,
       sondern weiche Auszeichnungen zum Kuscheln – für den „orientierungslosen
       Fänger“ etwa.
       
       Ein wahrhaft anderer Sport wird da präsentiert, ein diverser, ein
       inklusiver. „[3][Sidelined]“ heißt das Projekt von Kuratorin Amanda Pinatih
       und dem Designer Gabriel Fontana, der drei Sportspiele entwickelt hat, die
       das starre Mannschaftsgefüge der bekannten Disziplinen aufbrechen sollen.
       „[4][Anonymous Allyship]“ heißt eines dieser Spiele, bei der Teilnehmende
       jeden Alters alle das gleiche Trikot tragen und auf versteckte Hinweise
       achten müssen, um herauszufinden, mit wem sie wohl in einem Team spielen.
       Ziel sei es, Inklusion und Exklusion spürbar zu machen, die Auswirkungen
       sozialer Bindungen oder Entfremdung in der Gesellschaft aufzuzeigen. Als er
       das Spiel während der Olympischen Spiele in [5][Paris] im vergangenen Jahr
       auf der großen Bühne vor dem Rathaus vorstellte, haben die Menschen doch
       recht ratlos auf die Performance reagiert.
       
       ## Im bösen Teil des Netzes wurde sie zur Lachnummer
       
       Sie waren ja gekommen, um auf den großen Bildschirmen klassischen Sport zu
       verfolgen, Sieger zu feiern und sich selbst dafür, dass sie aus demselben
       Land wie die Sieger kommen. Vielleicht sind sie ja dort in Paris Zeugen
       geworden, wie die australische [6][Breakdance]-Athletin Rachel Dunn eine
       denkwürdige Performance abgeliefert hat. Keinen einzigen Punkt bekam sie
       von Kampfrichterinnen für ihre Vorstellung, in der sie Kängurusprünge
       nachgeahmt hatte und wie eine Krabbe gekrochen war.
       
       Im bösen Teil des Netzes war sie damit zur Lachnummer geworden. Ihre
       Reaktion darauf zeugt von einem Sportbild, wie es durchaus seinen Platz
       haben könnte in der niederländischen Vision einer Sportsbar, wie sie noch
       bis zum 23. November in Venedig zu sehen ist. „Beim Breaking geht es vor
       allem um Positivität“, hat sie nach dem Shitstorm, in den sie geraten war,
       gesagt. „Wir richten einander auf. Ich weiß, dass es für die Leute auf X
       schwer ist, eine Welt zu verstehen, in der man nicht versucht, sich
       gegenseitig runterzumachen.“
       
       In den USA spüren gerade trans Athlet:innen, wie es ist, von höchster
       staatlicher Stelle runtergemacht zu werden. Der durch und durch positive
       Ansatz der Sportsbar auf der Biennale ist im Gegensatz dazu wohltuend
       human. Queerpositiv ist er ohnehin. Er ist mehr als eine nette Spielerei.
       Er ist ein Gegenentwurf, den man ernst nehmen sollte.
       
       8 Oct 2025
       
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   DIR [4] https://www.gabrielfontana.com/en/projects/anonymous-allyship
   DIR [5] https://de.wikipedia.org/wiki/Olympische_Sommerspiele_2024
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   DIR Andreas Rüttenauer
       
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