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       # taz.de -- Neue Arbeitskampfstudie des WSI: Weniger Streiktage, aber größere Beteiligung
       
       > Die Zahl der Arbeitskämpfe ging 2024 im Vergleich zum Vorjahr leicht
       > zurück. Mehr Beschäftigte streikten für eine kürzere Zeit.
       
   IMG Bild: Beim Roten Kreuz wurde im Juli in mehreren Städten für einen höheren Lohn gewarnstreikt
       
       Berlin taz | Auch im Jahr 2024 waren Arbeitskämpfe in Deutschland weit
       verbreitet – wenn auch mit rückläufiger Intensität im Vergleich zu 2023.
       Das zeigt die aktuelle Arbeitskampfbilanz des Wirtschafts- und
       Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen
       Hans-Böckler-Stiftung. Demnach standen viele Auseinandersetzungen weiterhin
       im Zeichen der Reallohnverluste durch die zurückliegende Inflationswelle.
       
       Die Forscher Thilo Janssen, Heiner Dribbusch und Thorsten Schulten zählten
       im vergangenen Jahr 286 Arbeitskämpfe – 26 weniger als 2023. An den
       Aktionen nahmen rund 912.000 Beschäftigte teil, etwa 55.000 mehr als im
       Vorjahr. Die Zahl der streikbedingt ausgefallenen Arbeitstage sank jedoch
       deutlich von 1,5 Millionen auf 946.000. Der Grund: Die
       Arbeitsniederlegungen dauerten kürzer, vor allem in Form breit angelegter
       Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie. Insgesamt lag das
       Arbeitskampfvolumen dennoch über dem Durchschnitt der vergangenen zehn
       Jahre.
       
       „Das Arbeitskampfjahr 2024 war weiterhin geprägt von dem Versuch der
       Gewerkschaften, die teils massiven Reallohnverluste während der
       Inflationskrise auszugleichen“, schreiben die Studienautoren. Besonders
       sichtbar wurde dies im Bauhauptgewerbe: Dort kam es erstmals seit zwei
       Jahrzehnten zu einer größeren Streikbewegung, nachdem die [1][Arbeitgeber
       einen Schlichterspruch abgelehnt] hatten. „Oft sind es vor allem die
       Arbeitgeber, die keine kompromissfähigen Angebote vorlegen und damit der
       Gewerkschaftsseite keine Handlungsalternative lassen“, konstatieren die
       Forscher.
       
       Doch nicht immer stand Geld im Vordergrund. Laut WSI gewinnen
       „Transformationskonflikte“ an Bedeutung – etwa bei Volkswagen, wo
       Standortschließungen und Kündigungen drohten. Nach Warnstreiks und langen
       Verhandlungen konnten diese [2][Pläne zumindest vorerst abgewendet] werden.
       Auch Arbeitsbedingungen spielten häufig eine Rolle, etwa beim Streit über
       Mindestwendezeiten für Fahrpersonal bei den Berliner Verkehrsbetrieben.
       
       ## Arbeitgeber ziehen häufiger vor Gericht
       
       Die meisten Auseinandersetzungen fanden nicht in klassischen
       Flächentarifverhandlungen, sondern auf Unternehmens- oder Konzernebene
       statt. Viele Firmen hätten sich in den vergangenen Jahren aus
       Flächentarifen zurückgezogen, so die Forscher. Gewerkschaften versuchten
       daraufhin, Haustarifverträge durchzusetzen. Zwar sei dies oft gelungen,
       doch „Häuserkämpfe“ hätten nur begrenzte stabilisierende Wirkung auf das
       Tarifsystem.
       
       Nach Gewerkschaftszugehörigkeit entfielen 137 Arbeitskämpfe auf den
       Organisationsbereich von Verdi, 72 auf die IG Metall und 51 auf die
       verhältnismäßig kleine [3][Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG)].
       Fast immer handelte es sich um Warnstreiks, während unbefristete
       Erzwingungsstreiks mit Urabstimmung selten blieben. Erfolge blieben nicht
       garantiert: So endete [4][ein 180-tägiger Streik] bei der Recyclingfirma
       [5][SRW Metalfloat erfolglos], auch [6][bei Amazon] oder Zalando blieben
       Tarifkonflikte weiterhin ungelöst.
       
       Die Studienautoren verweisen zudem auf eine wachsende Tendenz, dass
       Arbeitgeber Streiks juristisch bekämpfen. Dafür würden Unternehmen häufig
       spezialisierte Großkanzleien beauftragen. Das binde auf der Seite der
       Gewerkschaften zum einen Ressourcen und mache zum anderen den Einsatz des
       Druckmittels Streik in manchen Fällen riskant. Denn durch das im Grundsatz
       restriktive, in vieler Hinsicht aber nicht detailliert ausbuchstabierte
       deutsche Streikrecht bestehe die Gefahr, dass ein Streik für unzulässig
       erklärt wird und die Arbeitgeber hohen Schadenersatz fordern, so Janssen,
       Dribbusch und Schulten.
       
       Im internationalen Vergleich bleibt Deutschland ein Land mit moderater
       Streikintensität. Zwischen 2014 und 2023 fielen hierzulande jährlich
       durchschnittlich 21 Arbeitstage pro 1.000 Beschäftigte aus. Kanada (108
       Tage), Belgien (107) und Frankreich (102 Tage alleine im Privatsektor)
       führen die Rangliste an. Deutlich niedriger liegen Länder wie Österreich,
       Ungarn, die Schweiz oder Schweden, wo die Werte zwischen vier und null
       Tagen im Jahresdurchschnitt lagen.
       
       Die WSI-Arbeitskampfbilanz wird seit 2008 jährlich erstellt. Grundlage sind
       Gewerkschaftsangaben, Pressemeldungen und Recherchen. Offizielle Daten der
       Bundesagentur für Arbeit weisen in der Regel niedrigere Zahlen aus, da sie
       auf Arbeitgebermeldungen basieren, die oft unvollständig sind.
       
       11 Sep 2025
       
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