URI: 
       # taz.de -- Gaza-Demo in Berlin: Und alle sind für Frieden
       
       > In Berlin demonstrieren Wagenknecht & Co. „gegen den Völkermord in Gaza“.
       > Der Versuch, Nahost mit der Ukraine zu verknüpfen, missglückt allerdings.
       
   IMG Bild: Sahra Wagenknecht nutzt die Bühne beim Pro-Palästina-Protest für eigene Publicity
       
       Olaf T., Rentner, ist extra aus Leipzig nach Berlin gereist, um zu
       demonstrieren. Er trägt ein Schild. „Opas für Frieden“ steht darauf. Die
       Stimmung in der Gesellschaft, sagt er, sei „kriegslüstern“. Deshalb steht
       er heute vor dem Brandenburger Tor in Berlin, um gegen „den Völkermord in
       Gaza“ zu demonstrieren. Er wäre allerdings auch gekommen, wenn es nicht um
       Gaza, sondern um Frieden an sich gehen würde.
       
       Ein paar tausend sind am Samstag zu der Kundgebung in Berlin gekommen, zu
       der BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht und prominente Mitstreiter wie der
       Komiker Dieter Hallervorden, der Musiker Peter Maffay und die Rapper Massiv
       und Bausa aufgerufen hatten. Laut Veranstaltern sind 20000 da, wie auf der
       Bühne stolz verkündet wird. Aber das ist eine sehr großzügige Schätzung.
       [1][Die Berliner Polizei spricht von 12.000. Weniger, als Wagenknecht & Co
       angemeldet hatten.]
       
       Die Demonstration am Brandenburger Tor steht unter dem Motto „Stoppt den
       Völkermord in Gaza“, aber auch der Krieg in der Ukraine ist Thema. Am Rand
       der Demo, fast schon im Tiergarten, skandieren ein paar PalästinenserInnen
       „Free Gaza“. Aber nur drei, viermal. Dann verstummen sie wieder.
       
       ## Mehr Friedens- als Palästinafahnen
       
       Vor der Bühne am Brandenburger Tor sind viele Friedensfahnen mit der weißen
       Taube auf blauen Grund zu sehen – mehr als die schwarz-weiß-rot-grünen
       Palästina-Flaggen. Dazwischen wehen ein paar BSW-Banner. „Wenn wir
       Hamassymbole sehen, werden wir das sofort melden“, sagt ein Ordner. Es gibt
       eine no-go-Liste von Symbolen, die alle Ordner bekommen haben. Allerdings
       sei es nicht einfach, sich die alle zu merken.
       
       Doch die Gefahr, dass IS- oder Hamas-Fahnen wehen, ist an diesem
       Samstagnachmittag eher gering. Die Demonstranten sind überwiegend
       nicht-migrantisch, überwiegend älter und stehen dem Bündnis Sahra
       Wagenknecht nahe. Die „junge Welt“ ist mit zwei Ständen vor Ort, auch die
       Marxistisch Leninistische Partei Deutschlands ist vertreten. Mehrere
       Gruppen nutzen die Gelegenheit, um Flyer für andere Kundgebungen zu
       verteilen – darunter auch eine Gruppe der Linkspartei, die in zwei Wochen
       in Berlins Mitte eine Großdemonstration zu Gaza plant.
       
       Eine palästinensisch-deutsche Familie ist extra aus Bielefeld gekommen. Der
       Vater, Palästinenser, sagt, er sei hier, weil er Verwandte in Gaza hat.
       „Die Deutschen interessieren sich für israelische Opfer“, sagt er, „aber
       nicht für palästinensische“. Das Wichtigste sei, dass Berlin keine Waffen
       mehr an Israel liefere und diplomatischen Druck mache.
       
       ## Auf der anderen Seite des Tores
       
       Die Demo verläuft friedlich. Am Pariser Platz, auf der anderen Seite des
       Brandenburger Tores, demonstrieren zwei Dutzend Pro-Israel-Aktivisten unter
       anderem von der „Zionist Antifa Berlin“ für die Freilassung der
       israelischen Geiseln. „Ihr seid Kindermörder“, ruft ein älterer deutscher
       Mann im Vorbeigehen. „Shame on you“, brüllen die Pro-Israel-Demonstranten
       zurück. Vier Polizisten beobachten die Szene und schauen eher gelangweilt
       drein. Keine Eskalation, nirgends.
       
       Einen Steinwurf weiter demonstrieren ein paar Dutzend Leute für einen
       freien Iran, daneben werben ein paar für Falun Gong, etwas weiter startet
       eine Fahrraddemo durch Berlin. Ein paar Touristen schauen sich das Treiben
       mit Interesse an. Ein ganz normaler Tag in Berlins Mitte.
       
       Auch auf der Wagenknecht-Demo fordert man die Freilassung der Geiseln aus
       den Händen der Hamas. Der TV-Moderator Daniel Aminati, Didi Hallervorden
       und Sahra Wagenknecht verurteilen die Hamas und ihren Terror. Aminati trägt
       ein schlagerhaftes Friedenslied vor, Hallervordens Gedicht „Gaza, Gaza“
       wird auf der Leinwand gezeigt. „Dieser Kinderfriedhof wird bleiben, als
       Alptraum für Generationen“, heißt es darin. „Und das soll kein Völkermord
       sein?“ Er singt eine deutsche Fassung von „Ciao, Bella, Ciao“ und ruft die
       Jugend zu „friedvollem Ungehorsam“ auf. Die Stimmung ist klassisch
       friedensbewegt.
       
       ## Roger Waters schlägt scharfe Töne an
       
       Eine weit schärfere Tonlage schlägt der Pink Floyd Gründer Roger Waters an.
       Er wird, wie der israelische Soziologe Moshe Zuckermann und der Ökonom
       Jeffrey Sachs, mit einer Videobotschaft zugeschaltet. Waters bezeichnet die
       Euromaidan-Proteste in Kiew 2014 als „Maidan-Putsch“. Wenig kenntnisreich
       wirkt auch sein Satz, die ukrainische Führung bestehe aus Anhängern des
       ukrainischen Faschisten Stephan Bandera. Dass in Kiew Nazis regieren, ist
       O-Ton Putin-Propaganda.
       
       Waters nennt Zionismus ein „unaussprechliches Verbrechen“ und sagt, das
       Gerede von Demokratie und Freiheit sei nur „Theater“. Nun gehe es darum,
       die Trumps, Netanjahus und Starmers dieser Welt zu schlagen. Putin erwähnt
       er nicht. Das scheint niemanden zu stören.
       
       Bejubelt wird die Scharfmacherei aber auch nicht besonders, dafür
       zuverlässig alles, was nach Frieden klingt. Der Star des Nachmittags ist
       wenig überraschend Sahra Wagenknecht. Sie geißelt „das vergiftete
       Meinungsklima“. Als Selbstkritik ist das nicht zu verstehen. Man erhebe die
       Stimme „gegen Politiker und Waffenlobbyisten, die uns mit ihren Lügen und
       ihrer Doppelmoral für dumm verkaufen wollen“.
       
       ## Wagenknecht warnt vor dem Atomkrieg
       
       Der Terror der Hamas rechtfertige nicht, zwei Millionen Menschen im
       Gazastreifen wahllos zu bombardieren, auszuhungern und zu vertreiben, sagt
       sie. Israels Vorgehen sei „Barbarei“ und ein „Vernichtungskrieg“. Die
       wichtigste Lehre aus der deutschen Geschichte sei „Nie wieder Krieg“. Viel
       Applaus. Aber auch die BSW-Gründerin schwenkt von Gaza schnell auf ihr
       Lieblingsthema Ukraine um.
       
       Sie bezweifelt, dass die russischen Drohnen über Polen eine Provokation von
       Putin gewesen seien. Weißrussland habe Polen vor den Drohnen gewarnt, sagt
       sie, und: „Wir glauben eure Lügen nicht“. Mehr Soldaten, Drohnen und Panzer
       würden gegen eine Atommacht sowieso nicht helfen, warnt sie.
       
       Doch die routinierte Warnung vor einem Atomkrieg verfängt hier nicht so
       richtig. Die Idee, das Unbehagen am Ukraine-Krieg mit dem Gaza-Protest zu
       verbinden, sie funktioniert nicht. Die verschiedenen Gruppen lassen sich
       nicht addieren. Wer gekommen ist, um gegen den Krieg in Gaza zu
       demonstrieren, interessiert sich nicht unbedingt für die Ukraine, und lässt
       sich auch von Wagenknecht nicht agitieren.
       
       Den versöhnlichen Schlusspunkt setzt der deutsch-palästinensische Rapper
       Massiv. Er habe versucht, Hilfsgüter nach Gaza zu bringen, und früher Busse
       organisiert, um ukrainischen Flüchtlingen zu helfen, sagt er. Er verstehe,
       dass Deutschlands besondere Beziehung zu Israel hat. Aber ein echter Freund
       verhalte sich anders. „Blinde Solidarität lässt uns zum Mittäter werden.“
       Ein „braunes Leben“ scheine weniger wert zu sein als ein „weißes Leben“.
       „Nie wieder“ müsse „für alle“ gelten.
       
       Aber da sind viele schon auf dem Heimweg.
       
       13 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/aussenpolitik/id_100912762/berlin-12000-menschen-bei-gaza-demo-von-wagenknecht-und-hallervorden.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Bax
   DIR Stefan Reinecke
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Nahost-Konflikt
   DIR Berlin
   DIR Demonstration
   DIR Reden wir darüber
   DIR Social-Auswahl
   DIR Nahost-Debatten
   DIR Reden wir darüber
   DIR Die Linke
   DIR Restaurant
   DIR Demo
   DIR Benjamin Netanjahu
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Protest gegen Israels Vorgehen in Gaza: Der linke Mainstream demonstriert
       
       Eine Studie zeigt, wer zuletzt auf Gaza-Demos ging. Viele sind jung, kommen
       aus Akademikerhaushalten und wählen links. Antisemitismus lehnen sie ab.
       
   DIR Möglicher Frieden für Gaza: Diplomatischer Druck ist weiter nötig
       
       Eine Waffenruhe gab es schon mal, doch sie endete schnell. Es wird jetzt um
       die entscheidenden weiteren Schritte gehen.
       
   DIR Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen: Kein Bock auf Sahra
       
       Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist bei den NRW-Kommunalwahlen
       abgeschmiert. Die Linkspartei holt hingegen ihr bestes Ergebnis an Rhein
       und Ruhr.
       
   DIR Humanitäre Lage in Gaza: Auch wo es Nutella gibt, hungern Menschen
       
       Im Gazastreifen gibt es auch im Krieg weiter Restaurants und Cafés.
       Mohammed Aref betreibt eines in Gaza-Stadt. Wie passt das mit Hunger
       zusammen?
       
   DIR Polizeieinsatz bei Anti-Kriegs-Demo: Innenministerium räumt Versäumnisse ein
       
       Bei der Demo in Köln mit 3.000 Teilnehmern eskalierte die Situation mit der
       Polizei. Dabei kam es laut Bericht des Innenministeriums zu „Fehlern“.
       
   DIR Nach Luftangriff in Katar: Israel erhöht den Druck
       
       Nach dem Angriff in Katar fordert Netanjahu die Ausweisung der
       Hamas-Führung und spricht von „Strandgrundstücken“ in Gaza. Doha reagiert
       scharf.