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       # taz.de -- Dresder Progrock-Band Wucan: Vom Osten in diverse Himmelsrichtungen blicken
       
       > Die Band Wucan aus Dresden macht traditionsbewussten Progrock mit
       > erkennbar östlichem Einschlag. Sie hat sich eine treue Fangemeinde
       > erspielt.
       
   IMG Bild: Progressive Sachsen: die Band Wucan
       
       Sachsen war 2014 das erste deutsche Bundesland, in dem die AfD in den
       Landtag einziehen konnte. Wären am Sonntag Landtagswahlen, würde die Partei
       mit 35 Prozent die mit Abstand stärkste Kraft werden. Doch statt den
       Freistaat als blaubraunes Tal der Ahnungslosen abzuschreiben, in dem alles
       hoffnungslos verhärmt und erbarmungslos verpanzert ist, sollte man genauer
       hinsehen und lieber die guten Stimmen unterstützen.
       
       In Leipzig protestierten bereits 1965 Jugendliche gegen das staatliche
       DDR-Verbot von Beatmusik, [1][bis heute ist die Stadt eine Hochburg der
       Punk- und Gothicszene]. [2][Chemnitz hat mit Kraftklub und Konsorten
       kämpferisch unorthodoxen Indierock hervorgebracht]. Sogar aus Bautzen kommt
       [3][mit Silbermond eine Band], die sich immer wieder klar gegen Rassismus
       und Rechtsextremismus positioniert.
       
       Und Dresden? Dresden hat Wucan. Gerade ist „Axioms“, das vierte Album der
       Band, erschienen und aus dem Stand auf Platz 30 in die deutschen Charts
       eingestiegen. Das Quartett um Sängerin und Multiinstrumentalistin Francis
       Tobolsky gibt es seit 2011. Schon bald erzeugte die Band in der
       angloamerikanisch geprägten Retrorockszene Aufmerksamkeit. Wie die Berliner
       Kadavar und die Göteborger Graveyard sind auch Wucan vom Sound her
       felsenfest im frühen britischen und US-amerikanischen Hardrock verwurzelt.
       Und doch klingen sie ganz anders und sehr eigen.
       
       Das liegt zum einen an Tobolskys Querflöte, die immer wieder melodische
       Akzente setzt. Es liegt aber auch daran, dass Wucan gerne Einflüsse von
       östlich des Eisernen Vorhangs aufgreifen. Wer genau hinhört, spürt den
       Bluesrock der Klaus Renft Combo genauso wie den Ostblockprogrock von Omega
       und Skorpio aus Ungarn. Retro war noch nie eine Himmelsrichtung. Besonders
       deutlich wird das bei „Holz auf Holz“, dem einzigen deutsch gesungenen
       Stück auf „Axioms“, wenn Tobolsky mit einer Inbrunst singt, dass es so
       klingt, als würde sie ihre innere Nina Hagen channeln.
       
       Wucan sind per se keine politische Band, aber unpolitisch sind sie auch
       nicht. Immer wieder schimmert durch die Songtexte eine gewisse Wut – auf
       den Rechtsruck, die ungleiche Wohlstandsverteilung und die allgemein
       grassierende Niedertracht. Es ist eine Wut, die sich nicht aus der Lektüre
       akademischer Bücher und feuilletonistischer Diskurse speist, sondern aus
       konkreten Erfahrungen. „Ich komme aus der ostdeutschesten Familie, die man
       sich vorstellen kann“, erzählte Tobolsky kürzlich dem Metalmagazin Deaf
       Forever. „Absolut jedes Klischee, das es über Ostdeutsche gibt, in meiner
       Familie ist es vorhanden.“
       
       ## Fesseln legen wir uns selbst an
       
       Rassismus am Küchentisch, viel zu einfache Antworten auf komplexe Fragen,
       abfällige Bemerkungen über ihren eigenen Bildungsaufstieg – vieles, von dem
       die Künstlerin berichtet, dürfte anderen, die eine ähnliche Biografie
       haben, bekannt vorkommen. Hauptberuflich unterrichtet Tobolsky als Lehrerin
       an einem Gymnasium. Sie erlebt jeden Tag hautnah, wie Lebenswelten von
       Jugendlichen, aber auch ihrer Eltern, sich verändern. Die Rolle, die
       soziale Medien dabei spielen, reflektiert sie in der vorab veröffentlichten
       Single „KTNSAX“.
       
       „War to the huts/Peace in palaces“, heißt es darin in Abwandlung des
       bekannten Zitats von Georg Büchner. Krieg den Hütten, Friede in den
       Palästen. Kein Aufruf wie bei Büchner, sondern lediglich eine nüchterne
       Zustandsbeschreibung. Während wir einander die digitalen Schädel
       einschlagen, werden die Reichen reicher. Statt ihre Paläste zu stürmen,
       träumen wir davon, so zu werden wie sie. Die Fesseln, wir legen sie uns
       selbst an.
       
       Dazu passt, dass die plakative Antwort, die Tobolsky im Refrain des Songs
       liefert, keine ist. „KTNSAX“ ist kein geheimes Codewort, kein Akronym für
       eine schlüssige Analyse. Es ist nur ein Tag, das irgendjemand an die Wand
       des Proberaums der Band geschmiert hat. Gleich neben einem übergroßen
       Penis.
       
       Wucan wissen, wo sie herkommen, aber sie lassen sich dadurch nicht
       definieren. An Mauern hat man in Sachsen ja ohnehin negative Erinnerungen.
       Tobolsky erzählt gegenüber Deaf Forever auch von einem Onkel, einem
       Grenzsoldaten der NVA, der nach seiner Flucht in den Westen als Erstes nach
       Hannover gefahren ist, um die Scorpions live zu erleben. Rockmusik hat
       schon immer Grenzen überwunden. Und richtig verstanden, kann sie umgekehrt
       helfen, Grenzen zu überwinden.
       
       Das gilt auch für die Musik selbst, in der Discobeats und funky Basslines,
       Flötensolos und Synthesizer nebeneinanderstehen. Wucan spielen auf „Axioms“
       im besten Wortsinne progressive Rockmusik – auf musikalischer genauso wie
       auf inhaltlicher Ebene. Voller Zitate und doch keine Kopie. Retro im Sound,
       aber nicht im Kopf.
       
       24 Sep 2025
       
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