URI: 
       # taz.de -- Film „Escape From the 21st Century“: Sie niesen sich durch die Zeit
       
       > Der chinesische Science-Fiction-Film „Escape From the 21st Century“
       > schickt drei Teenager der Neunziger in die Zukunft. Begeistert sind sie
       > nicht.
       
   IMG Bild: Die Zukunft haben sich Pao Pao, Zha und Chengyong anders vorgestellt
       
       Berlin taz | Kepler heißt der Planet, aber er sieht der Erde doch reichlich
       ähnlich. Hier und da hängt ein Zusatzmond oder -Planet am Himmel,
       aufwändigere Science-Fiction-Worldbuilding-Maßnahmen betreibt „Escape From
       the 21st Century“ aber erst mal noch nicht. Die Wahl des Genres soll nicht
       zuletzt der Zensur was bedeuten: Im China von heute spielt dieser Film
       nicht. Tut er, auf seine zugegeben sehr durchgeknallte Art, am Ende
       natürlich sehr wohl.
       
       Am Anfang aber noch nicht. Denn da gabelt er drei Jungs auf, Pao Pao, Zha
       und Chengyong, die Zeittafel sagt: Es ist das Jahr 1999 auf Kepler
       beziehungsweise im eher ländlichen China. Die Jungs gehen zur Schule,
       treiben allerlei Unfug, Kämpfe mit gegnerischen Banden, ein Mädchen, Yang
       Yi, wird von allen begehrt, alles so ziemlich „Stand By Me“, wenn auch auf
       Speed.
       
       Rasant erzählt und geschnitten ist das, zwischen allerlei kaum zu
       überblickendem Dies und nur mit Mühe nachzuverfolgendem Das stürzen die
       drei in ein psychedelisch buntes Wasser. Das ist ihr
       Spinnen-Superheld-Biss. Fortan springen sie in der Zeit, und zwar wenn sie
       niesen. Bei jedem Niesen, Pusteblumen sind hilfreich, geht es 20 Jahre in
       die Zukunft, beim nächsten wieder 20 Jahre zurück.
       
       Es kommt in den nächsten anderthalb Stunden zu beträchtlichem
       Zeitreiseverkehr. Die Jungs staunen nicht schlecht über die Männer, denen
       sie in der Zukunft begegnen und die sie selbst sind.
       
       ## „Ich hasse das Geräusch weinender Männer“
       
       Der in seiner Jugendzeit dicke Pao Pao ist nun schlank und hat die von
       allen begehrte Yang Yi abbekommen, die allerdings drogenabhängig ist.
       Chengyong ist ein recht übler Gangster, der auf die Info, dass Wang nun mit
       Yang Yi zusammen ist, gar nicht gut reagiert. Und Zha verbündet sich mit
       einer sehr kampfstarken Journalistin, die sich vor den
       [1][Martial-Arts-Szenen] die Ohren verstopft: „Ich hasse das Geräusch
       weinender Männer.“
       
       Die Zukunft des Jahres 2019 ist, das wird schnell klar: gänzlich
       dystopisch. Finstere Mächte allerorten, die drei Männer plus Journalistin
       in ständigen Kämpfen, meistens in Blitz-Nacht-Hell/Dunkel, alles immer
       rasantest geschnitten, oft auf Superhelden-Unverwundbarkeits-Level.
       
       Auf Realismus, Logik und Konsistenz wird dabei sehr laut gepfiffen. Immer
       wieder hat das Drehbuch noch ’ne Idee, immer wieder rutscht das Realbild
       kurz halb oder ganz in die Manga-Animation, ständig wechseln die
       Bildformate.
       
       ## Ernüchtert von sich selbst
       
       Die Einstellungen sind übervoll mit Stunts und Dynamik, mit Special
       Effects, mit Informationen, mit Musik (von westlichen Popsongs bis zu
       Ravels „Bolero“), mit Anspielungen und gar nicht zuletzt mit absurden
       Pointen. Zum Endkampf trägt einer der Männer nicht weiter kommentiert ein
       [2][Nirvana-Band-T-Shirt mit „Smells Like Teen Spirit“-Schriftzug].
       
       „Escape From the 21st Century“ ist Buddy-Movie, Sci-Fi, Superheldenfilm
       oder -parodie, absurde Comedy, Liebesgeschichte und Drama. Insgesamt uff.
       Der Film räumt mit einigem auf, vor allem aber mit der Vorstellung, man
       dürfe sich von der Zukunft etwas erhoffen. Tödlich ernüchtert sind die drei
       Männer von der Begegnung mit ihrem 20 Jahre älteren Selbst.
       
       Entsetzt sind sie von der Corporate-Murder-Welt, in die sie geraten, als
       die, wie auch immer verzerrt und verrückt, der Film unsere und ganz
       besonders die chinesische Gegenwart zeichnet.
       
       Am Ende wollen sie nur noch zurück. In eine Vergangenheit, die keine
       bessere Zukunft verspricht. Selbst die aus dem Genre vertrauten
       Zeitrückreisetricks zur Verhinderung schlimmer Dinge haben sich, wenn auch
       auf sehr komische Weise, als sinnlos erwiesen.
       
       „Escape from the 21st Century“ entlässt einen, so übervoll und hyperaktiv
       er selbst die ganze Zeit ist, mit leeren Händen. Es ist wirklich
       erstaunlich, dass die chinesische Zensur diese hoffnungslose Düsternis
       durchgehen lässt.
       
       17 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kung-Fu-Film-aus-Italien/!6109243
   DIR [2] /Jubilaeum-von-Nirvanas-Nevermind/!5802940
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ekkehard Knörer
       
       ## TAGS
       
   DIR Film
   DIR China
   DIR Science-Fiction
   DIR Zeit
   DIR Dystopie
   DIR Superhelden
   DIR Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig
   DIR Science-Fiction
   DIR Französischer Film
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Filmfestspiele Venedig: Auch Stars sind am Ende Aliens
       
       Lidokino 3: Schauspielprominenz, zerrissenes jüdisches Leben im
       sozialistischen Ungarn und Besuch von Aliens bei den Filmfestspielen von
       Venedig.
       
   DIR SciFi-Parodie „Das Imperium“ im Kino: Aliens im Fischerdorf
       
       Bruno Dumont lässt in seiner Science-Fiction-Parodie „Das Imperium“ das
       Gute gegen das Böse kämpfen. Gedreht wurde in der französischen Provinz.
       
   DIR Sci-Fi-Film „The Beast“ mit Léa Seydoux: Wo Unvernunft vernünftig ist
       
       In Bertrand Bonellos Sci-Fi-Drama „The Beast“ will künstliche Intelligenz
       den Menschen die Gefühle abtrainieren. Liebe passt da nicht.