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       # taz.de -- Zwangsverheiratung in Berlin: Viel Wissen, wenig Ressourcen
       
       > Es braucht nicht noch eine Studie zu Zwangsverheiratungen – findet Bahar
       > Haghanipour von den Grünen. Die Hilfsprojekte bräuchten aber mehr Geld.
       
   IMG Bild: Zwangsverheiratungen beginnen meist mit einer Flugreise ins Heimatland der Eltern. Die Hilfe muss lange vorher einstzen
       
       Berlin taz | Sie werden am Flughafen von der Familie weggeführt und ins
       Flugzeug gesetzt – für einige junge Frauen in Berlin beginnt so das Leben
       in einer Zwangsverheiratung. Das Problem ist weiterhin gravierend. Das geht
       aus der Antwort des schwarz-roten Senats auf eine schriftliche Anfrage der
       frauenpolitischen Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Bahar
       Haghanipour, hervor. Demnach wurden zwischen 2017 und 2024 insgesamt 69
       Fälle von versuchter oder erfolgter Zwangsverheiratung polizeilich
       registriert. Fast die Hälfte der Opfer war minderjährig.
       
       Die Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik bilden dabei jedoch nur
       einen Bruchteil der Realität ab. Abfragen des Berliner Arbeitskreises gegen
       Zwangsverheiratung verzeichneten für 2017 insgesamt 570 bekannte Fälle und
       für 2022 496 Fälle von versuchter oder erfolgter Zwangsverheiratung.
       Befragt wurden dazu über 1.000 Einrichtungen aus Jugendhilfe,
       Frauenprojekten, Polizei, Bildungseinrichtungen und
       Flüchtlingsunterkünften.
       
       Berlin verfügt über ein breites Netz an Hilfs- und Beratungsangeboten. Dazu
       gehören die senatsgeförderte Kriseneinrichtung Papatya, die jungen Frauen
       in akuter Gefahr anonymen Schutz bietet, sowie deren Onlineberatung Sibel.
       Ergänzend gibt es Projekte wie die Beratungsstellen von Elişi Evi e. V.,
       TIO e. V. oder HÎNBÛN, die insbesondere Frauen mit Migrationsgeschichte
       unterstützen. Seit 2024 existiert zudem eine spezialisierte
       Fachberatungsstelle zu Menschenhandel und Ausbeutung von Minderjährigen
       sowie ein Ergänzungsblatt zum Thema Zwangsverheiratung in den Notfallplänen
       für Berliner Schulen.
       
       Nun hat der Senat im Juni zudem eine Studie zur Erfassung von
       Zwangsverheiratungen in Berlin in Auftrag gegeben. Ziel ist es, ein
       klareres Bild vom Ausmaß und den Ursachen des Problems zu gewinnen und
       Maßnahmen zu entwickeln, um Betroffene besser zu schützen. Für die Studie
       wird ein Budget in Höhe von maximal 75.000 Euro veranschlagt.
       
       ## Präventionsarbeit braucht mehr Geld
       
       Bahar Haghanipour hält das für falsch investiertes Geld: „Wir haben bereits
       viel Wissen und Erfahrung zu Ausmaß und Verhinderungsmöglichkeiten von
       Zwangsverheiratung“, sagt sie. „Die Projekte wissen, was sie zu tun haben.
       Sie scheitern in ihrer Arbeit zu oft an fehlenden Ressourcen.“
       
       Das unterstreicht auch Ayse Köse von Elişi Evi e. V.: „Wir sind die
       Expertinnen, wir wissen, mit welchen Maßnahmen wir Betroffenen helfen
       können. Aber uns wird das Geld gekürzt“, sagt sie. Im neuen Doppelhaushalt
       sinkt ihre Fördersumme um zwei Prozent. Da die Mittel zweckgebunden sind,
       bleibt nur, beim Personal zu sparen.
       
       Auch Projekte wie Papatya bräuchten mehr Kapazitäten, um in die Schulen zu
       gehen und Betroffene zu begleiten, meint Bahar Haghanipour. Angesichts des
       Kürzungshaushalts könnten die Projekte jedoch nicht mit mehr Geld rechnen.
       Deshalb wäre das Budget der Studie besser in der Präventionsarbeit
       investiert, meint die frauenpolitische Sprecherin. Für sie steht fest: „Wir
       haben kein Wissensproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.“
       
       18 Sep 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lilly Schröder
       
       ## TAGS
       
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