URI: 
       # taz.de -- Sparpolitik in Frankreich: Ungebrochene Wut
       
       > Der Streikaufruf der Gewerkschaften wird größtenteils befolgt, Busse und
       > Bahnen stehen still. Das ist auch eine Warnung an den neuen Premier
       > Lecornu.
       
   IMG Bild: Gewerkschaften haben in Marseille zum Protest aufgerufen
       
       Paris taz | „Kein Bus auf dieser Linie“ ist auf dem elektronischen
       Bildschirm einer Bushaltestelle unweit des Invalidendoms in Paris zu lesen.
       Danach gibt es Informationen, dass auf den meisten Metrolinien ebenfalls
       der Verkehr mindestens bis Ende Nachmittag still stehe.
       
       Auf der Straße sind entsprechend mehr Radfahrer zu sehen. Ein paar
       Geschäfte im Viertel Ecole militaire sind geschlossen, weil ein Teil des
       Personals wegen der Streiks im öffentlichen Nahverkehr nicht von den
       Vororten ins Zentrum gelangen konnte.
       
       Vor der Bäckerei in der Rue Cler stehen ungewöhnlich viele Kunden an, weil
       statt normalerweise vier Bedienende, nur die Inhaberin und eine Angestellte
       die Croissants und Baguettes verkaufen. Das mutet allerdings fast idyllisch
       im Vergleich zu den endlosen Verkehrsstaus rund um die Städte.
       
       Diese sind einerseits wegen der ausfallenden öffentlichen Busse und Bahnen,
       aber häufig auch wegen Störaktionen und Barrikaden entstanden. In den mehr
       als 250 Städten waren Kundgebungen angekündigt, bei denen die Behörden mit
       insgesamt 900.000 Teilnehmenden rechneten.
       
       ## Warnung vor Provokationen
       
       Innenminister Bruno Retailleau hatte schon im Voraus gewarnt, er erwarte,
       dass „8000 bis 10000 professionelle Casseurs“ (Randalierer) sich in die
       Umzüge mischen würden, um Zusammenstöße zu provozieren. Das Aufgebot von
       80000 Ordnungskräften werde aber „mit Entschlossenheit“ durchgreifen.
       
       Schon am frühen Donnerstagvormittag räumte die Polizei Barrikaden vor
       Mittelschulen, an strategischen Verkehrsknoten sowie Autobahnzufahrten oder
       vor dem Grossistenmarkt Rungis bei Paris. Doch überall konnten die
       Ordnungskräfte nicht sein, die Auswirkungen der vielfältigen Aktionen waren
       daher immer noch beträchtlich.
       
       Was der Protestbewegung „Bloquons tout!“ („legen wir alles lahm“) am 10.
       September nicht wirklich gelungen war, haben acht Tage später die
       Gewerkschaften, unterstützt von Studierenden und Mittelschülern, weitgehend
       fertiggebracht. Der einheitliche Streikaufruf aller großen
       Gewerkschaftsverbände wurde am Donnerstag vor allem im öffentlichen Sektor
       massiv befolgt.
       
       Wie in Paris, wo fast alle Metro- und Buslinien ganz unterbrochen oder
       erheblich gestört waren, waren vielerorts die städtischen
       Verkehrsunternehmen durch Streik ebenfalls quasi lahm gelegt. Nur die
       internationalen TGV-Züge fuhren fast normal nach Fahrplan.
       
       ## Auch Apotheker und Physiotherapeuten dabei
       
       Im Erziehungswesen streikten laut den Gewerkschaften 30 bis 40 Prozent des
       Personals, was selbst für Frankreich sehr viel ist. Bestreikt wurden auch
       die Verwaltung und der Gesundheitssektor, aber auch die Pharma-, Chemie-
       und Erdölindustrie sowie große Energieunternehmen.
       
       Hinzu gesellten sich ziemlich ungewohnte Streiks der auch Apotheker oder
       Physiotherapeuten taren in den Ausstand, was in Frankreich eher
       ungewöhnlich ist. Die besonders starke Mobilisierung im öffentlichen Dienst
       erklärt sich vor allem mit der für die Staatsangestellten bedrohlichen
       Perspektive, dass mit einer Sparpolitik die Ausgaben für diese
       Dienstleistungen und die Zahl der Beamten verringert werden sollen.
       
       Der Abgang von Premierminister François Bayrou (eine Mehrheit der
       Abgeordneten hatte ihm bei einer Abstimmung am 8. September das Vertrauen
       verweigert) hat den „Ras-le-bol“, die zornige Ablehnung der [1][geplanten
       Sparmaßnahmen im Staatshaushalt], nicht besänftigt.
       
       Bayrous designierter Nachfolger, [2][Sébastien Lecornu], erhält mit diesem
       Generalstreik eine eindrückliche Warnung, noch bevor er sein neues
       Ministerkabinett bilden konnte. Er musste unter dem Druck der Straße
       bereits darauf verzichten, zwei Feiertage zu streichen, wie dies Bayrou
       vorgehabt hatte.
       
       Der Generalstreik und die Demonstrationen, an denen sich nicht nur
       Gewerkschaftsmitglieder, sondern auch die Linksparteien, Ehemalige der
       „Gelbwesten“-Bewegung in der Provinz sowie Unorganisierte der neuen
       Bewegung „Bloquons tout“ beteiligten, richtet sich vorrangig gegen die
       Sparpolitik. Gefordert werden mehr „Steuergerechtigkeit“ mit der Einführung
       einer neuen Abgabe für die Reichsten, aber auch der Rücktritt von
       Staatspräsident Emmanuel Macron.
       
       18 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Proteste-in-Frankreich/!6113271
   DIR [2] /Proteste-in-Frankreich/!6113507
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Balmer
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Frankreich
   DIR Generalstreik
   DIR Sparpolitik
   DIR Social-Auswahl
   DIR Sébastien Lecornu
   DIR Schwerpunkt Frankreich
   DIR Schwerpunkt Emmanuel Macron
   DIR Schwerpunkt Emmanuel Macron
   DIR Schwerpunkt Emmanuel Macron
   DIR Schwerpunkt Frankreich
   DIR Schwerpunkt Frankreich
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Premierminister Lecornu tritt zurück: Frankreich ist reif für eine Revolution
       
       Macron ist verantwortlich für das Regierungschaos in Paris. Allein sein
       Rücktritt würde das Problem aber nicht lösen, es braucht einen
       Systemwandel.
       
   DIR Frankreichs Premier Lecornu tritt zurück: Der nächste bitte
       
       Nur wenige Stunden nach der Vorstellung seines Kabinetts reicht Frankreichs
       Premier Sébastien Lecornu seinen Rücktritt ein. Die Krise geht weiter.
       
   DIR Neue Regierung in Frankreich: Ein neues Kabinett der bekannten Gesichter
       
       Auffallend an der neuen französischen Regierung sind die vielen Bisherigen.
       Experimente kann und will sich Premierminister Lecornu nicht leisten.
       
   DIR Generalstreik in Frankreich: Eine neue Republik muss her!
       
       Blockiert sind in Frankreich nicht nur Züge und Straßen, sondern das
       politische System. Vielleicht braucht es einfach ein neues.
       
   DIR Regierungskrise in Frankreich: Versagen mit Ansage
       
       Dass Bayrou bei der Vertrauensabstimmung fallen würde, ist wenig
       überraschend. Was Frankreich jetzt braucht, ist eine Reform der
       Institutionen.
       
   DIR Frankreich vor der Regierungskrise: Mit wehenden Trikoloren in den Abgrund
       
       Die Regierung von Premier Bayrou wird nächste Woche über eine
       Vertrauensabstimmung stürzen. Zugleich drohen neue Proteste im Stil der
       Gelbwesten.
       
   DIR Heißer Herbst in Frankreich: Bayrou geht volles Risiko
       
       Frankreichs Regierungschef François Bayrou stellt am 8. September im
       Parlament die Vertrauensfrage. Ein Generalstreik bringt ihn in Zugzwang.