# taz.de -- Iran nach dem Krieg mit Israel: Halbherziger Wettlauf gegen den „Snapback“
> Sollte sich Iran nicht wieder an den Verhandlungstisch setzen, drohen
> neue UN-Sanktionen. Warum sich Teheran davon bisher nicht beeindruckt
> zeigt.
IMG Bild: Straßenszene in Teheran im Sommer 2025
Berlin taz | Das iranische Regime lebt seit seiner Gründung von
Drohkulissen: seinen Proxy-Milizen in der ganzen Region, dem Atomprogramm,
den ewigen „Tod Amerika“- und „Tod Israel“-Slogans. Das sollte Stärke nach
innen signalisieren und Abschreckung nach außen.
Vieles an dieser Drohkulisse ist in den letzten Monaten implodiert wie ein
Kartenhaus: Die sogenannte Achse des Widerstands – das Netzwerk aus
Teheran-hörigen Milizen – ist ein Schatten seiner selbst, das Atomprogramm
liegt weitgehend in Trümmern. Bleiben nur noch die Slogans. Und eine
verbliebene Menge beinahe atomwaffentaugliches Uran, das Iran laut
[1][Internationaler Atomenergiebehörde (IAEA)] noch besitzen soll, etwa 440
Kilogramm. Doch kaum einer weiß, wo sich das genau befindet. Denn die
iranische Regierung hat die Zusammenarbeit mit der IAEA nach dem Krieg mit
Israel im Juni weitgehend stillgelegt und die Behörde nur noch ein einziges
Atomkraftwerk im Land inspizieren lassen.
Aber auch Europa setzt auf Drohkulissen. Die wichtigste davon ist aktuell
die mögliche Wiedereinführung der UN-Sanktionen, die 2015 im Rahmen des
Atomdeals aufgehoben wurden. Ende August beschlossen Großbritannien,
Frankreich und Deutschland – auch als E3 bekannt – den sogenannten
Snapback-Mechanismus zu aktivieren. Diese Regelung erlaubt es den UN, die
Sanktionen gegen Iran wieder einzusetzen, sollte die Regierung sich nicht
an die Verpflichtungen jenes Atomvertrags halten, aus dem die USA unter
Trump bereits im Jahr 2018 ausgestiegen sind. Nach der Aktivierung des
Snapback hat Iran 30 Tage Zeit, im Atomstreit eine Einigung mit der
internationalen Gemeinschaft zu erzielen.
Doch bislang scheint die Drohung ihre Wirkung zu verfehlen. „Das
Zeitfenster für eine diplomatische Lösung der iranischen Atomfrage schließt
sich sehr schnell“, warnte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas in einer
Erklärung jüngst. „Iran müsse „glaubwürdige Schritte“ unternehmen. Das
bedeute, „uneingeschränkt mit der Internationalen Atomenergiebehörde
zusammenzuarbeiten und unverzüglich Inspektionen aller Nuklearstandorte
zuzulassen“.
## China und Russland sind gegen die Sanktionen
Wie ernsthaft man sich in Teheran überhaupt Gedanken über neue
UN-Sanktionen macht, ist aus mehreren Gründen fraglich. Das Atomabkommen
hatte ohne die USA für das iranische Regime ohnehin nur noch einen
Bruchteil seines ursprünglichen Werts. Die schmerzvollsten Sanktionen sind
nicht diejenigen, die von der UN nach Ablauf der Snapback-Deadline
wiedereingesetzt würden, sondern die Sanktionen, die die USA bereits seit
2018 im Rahmen der „Kampagne des maximalen Drucks“ aktiviert haben.
[2][China und Russland haben eine Wiedereinführung der UN-Sanktionen gegen
Iran bereits entschieden abgelehnt]. Ohne diese Staaten wird es aber kaum
möglich sein, nach Ablauf des Snapbacks neue UN-Sanktionen effektiv
durchzuführen. Es wird also bei neuen Sanktionen einzelner europäischer
Staaten bleiben.
Man sieht: Die unmittelbaren praktischen Auswirkungen des Snapbacks und
einem darauffolgenden offiziellen Endes des UN-Atomabkommens mit Iran
halten sich in Grenzen. Iran hat sich aufgrund der US-Sanktionen seit 2018
ohnehin längst anderen politischen und wirtschaftlichen Partnern
zugewendet, insbesondere Russland und China, aber auch den Vereinigten
Arabischen Emiraten – das mutmaßlich dabei behilflich ist, iranisches Öl
trotz Sanktionen nach China, Russland und Venezuela zu verschiffen.
Die Reaktionen aus Teheran klingen also aktuell eher nach statt
Beschwichtigung. Das iranische Parlament plant momentan ein Gesetz, das
einen raschen Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag ermöglichen soll.
Dieser verbietet es Ländern ohne Nukleararsenal, an Atomwaffen zu
gelangen.
## Ist eine neue Eskalation unausweichlich?
Auch das dürfte mehr Drohgebärde als konkrete Drohung sein. Dennoch wären
die indirekten Folgen eines offiziellen Endes des Atomdeals für das
iranische Regime von großer Tragweite. Nicht aufgrund von neuen Sanktionen
oder weil Iran von heute auf morgen die Bombe hätte, sondern weil ein
endgültiger Bruch mit dem Westen Iran noch stärker von China und Russland
abhängig machen würde, als es jetzt schon ist.
Und was für Teheran noch weitaus schlimmer wäre: Ein letzter gescheiterter
diplomatischer Lösungsversuch könnte als Legitimation für neue militärische
Schläge seitens Israels dienen – diesmal auch mit Unterstützung aus Europa.
Dass er dafür Sympathie empfindet, hat Bundeskanzler Friedrich Merz mit
seiner Aussage, Israel würde für uns „die Drecksarbeit“ erledigen, schon
klargemacht.
Eine neue Eskalation zwischen Israel und Iran scheint schon deshalb
unausweichlich, [3][weil das iranische Atomprogramm zwar beschädigt, aber
nicht endgültig zerstört ist.] Solange die Islamische Republik im Besitz
von beinahe atomwaffentauglichem Material ist und die Anreicherung von Uran
nicht offiziell aufgibt, wird die israelische Führung weitere Luftschläge
gegen Iran als notwendig erachten.
Dass iranische Politiker aus dem Lager der sogenannten Reformer im August
erstmals die freiwillige Aussetzung des Atomprogramms forderten, liegt
daran, dass pragmatische Elemente innerhalb des iranischen Establishments
einen weiteren Krieg mit Israel unbedingt verhindern wollen. Im Gegensatz
zur Drohgebärde europäischer Sanktionen wäre ein Krieg gegen Israel eine
ganz reale, existenzielle Bedrohung.
18 Sep 2025
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## AUTOREN
DIR Kourosh Ardestani
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