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       # taz.de -- Hamburger Unterkunft für Geflüchtete: Hier gehen Träume verloren
       
       > Eine Woche nach einem Vorfall in einer Hamburger Geflüchteten-Unterkunft
       > haben Bewohner*innen eine Demo organisiert. Sie fordern die
       > Schließung des Camps.
       
   IMG Bild: Erfordert Mut: Bewohner*innen der Unterkunft protestieren immer wieder gegen Zustände, hier am 12. Oktober 2025
       
       Hamburg taz | Khaled Agha hat eine starke Stimme. „We are not asking for
       luxury“, sagt er in ein Mikrofon vor dem Eingang des S-Bahnhofs
       Harburg-Rathaus im Hamburger Süden und macht eine Pause. „We only want
       dignity.“ Alles, was sie wollen, sei Würde, sagt Agha, der seit acht
       Monaten in einem ehemaligen Großmarkt in Harburg wohnt, einer [1][als
       Erstaufnahmeeinrichtung genutzten Unterkunft für Geflüchtete] in der
       Schlachthofstraße, mit rund 450 anderen.
       
       Rund einhundert Menschen hören ihm an diesem Sonntagmittag zu. Einige sind
       aus der Hamburger Innenstadt gekommen, andere wie Agha aus der Unterkunft.
       Die Bewohner*innen haben die Demo unter dem Motto „Let’s resist
       together: Abolish the camp“ (Lasst uns gemeinsam Widerstand leisten:
       Schafft die Unterkunft ab) selbst organisiert, gemeinsam mit
       antirassistischen Initiativen. Vor einer Woche hatte ein leitender
       Mitarbeiter der Sicherheitsfirma Elb Security fünfzehn Bewohner über Nacht
       rausgeschmissen und ein Hausverbot gegen sie verhängt. Die Männer
       verbrachten die Nacht auf dem Gehweg.
       
       Zuvor hatten rund 200 Bewohner*innen vor der Unterkunft gegen die
       menschenunwürdigen Lebensbedingungen im Camp protestiert, darunter auch die
       Menschen, die später rausgeschmissen wurden. [2][Die taz und lokale Medien
       berichteten].
       
       Der Mitarbeiter, dem Bewohner*innen seit Monaten Willkür und Rassismus
       vorwarfen, arbeitet mittlerweile nicht mehr in der Unterkunft. Er ist schon
       am auf den Vorfall folgenden Montag versetzt worden, teilt der Träger
       Fördern & Wohnen (F&W) auf taz-Anfrage mit. Anzeichen für ein Fehlverhalten
       seinerseits, schrieb F&W kurz nach dem Vorfall, gebe es aber nicht.
       
       ## Wie konnte es zu nächtlichen Hausverboten kommen?
       
       F&W ist als Anstalt öffentlichen Rechts ein städtisches Unternehmen und für
       [3][die Unterbringung von Geflüchteten in ganz Hamburg] zuständig. Den
       Standort in der Schlachthofstraße betreibt das Deutsche Rote Kreuz im
       Auftrag von F&W – eine Zusammenarbeit, die in Hamburg wie an vielen Orten
       Praxis ist, seit 2015 viel mehr Menschen in Hamburg ankamen, als die Stadt
       Kapazitäten hatte, sie zu versorgen.
       
       Als Träger ist F&W zwar nicht dauerhaft vor Ort wie das DRK, trägt aber die
       Verantwortung, wenn so was passiert wie die nächtlichen Hausverbote
       vergangene Woche. Bis F&W der taz bestätigte, dass Menschen nachts der
       Unterkunft verwiesen wurden, brauchte es ein paar Tage und mehrere
       Nachfragen. „Künftig werden Wegweisungen für maximal zwei Stunden am Stück
       ausgesprochen“, schreibt eine Sprecherin schließlich auf die Frage, welche
       Konsequenzen aus dem Vorfall gezogen werden.
       
       Wie es aber überhaupt passieren konnte, dass fünfzehn Menschen die Nacht
       draußen verbringen mussten, ist weiter offen. Es müsse aufgeklärt werden,
       durch „eine unabhängige und transparente Untersuchung unter Beteiligung
       neutraler Organisationen – nicht nur durch die Camp-Verwaltung selbst“,
       fordern die Bewohner*innen im Aufruf zur Demo.
       
       Ahmad Alhussein ist einer der fünfzehn Bewohner, die über Nacht der
       Unterkunft verwiesen wurden. Er hatte eine schlechte Woche, erzählt er der
       taz am Anfang der Demonstration am Sonntag. Er sei krank geworden nach der
       Nacht auf der Straße: „I could not go to school the whole week.“ Alhussein
       läuft mit durch Harburg bis vor die Unterkunft. Vor dem Tor angekommen hält
       er ein Banner, das [4][Bewegungsfreiheit als Menschenrecht] einfordert.
       
       ## Geflüchtete wohnten bis vor kurzem auch in Zelten
       
       Wie er zu demonstrieren ist nicht selbstverständlich. Viele
       Bewohner*innen hätten sich nach dem, was vergangene Woche passiert ist,
       nicht getraut zu kommen, sagt Alhussein. Sie hätten Angst, dass sie für
       ihre Teilnahme an der Demo Stress bekommen könnten.
       
       Die Zustände in der Einrichtung stehen schon seit Jahren in der Kritik. Die
       Unterkunft ist eigentlich ein Notstandort. Trotzdem wird sie seit 2022, als
       viele Menschen aus der Ukraine in Hamburg ankamen, durchgehend betrieben.
       Einige Menschen wohnen seit mehr als zwei Jahren hier.
       
       Nach Khaled Agha spricht am Sonntag eine Bewohnerin, die anonym bleiben
       möchte, von ihrer Erfahrung in der Unterkunft. „Nach sieben Monaten hatte
       ich einen Nervenzusammenbruch“, sagt sie. Als sie nach ihrer Rede das Mikro
       abgibt, beginnt sie zu weinen.
       
       Vor einem halben Jahr wohnten rund 1.200 Menschen in der Schlachthofstraße.
       Jetzt sind es weniger als halb so viele. Bis Ende September noch wohnten
       hier Menschen in Zelten für jeweils acht Personen auf dem Parkplatz. Jetzt
       wohnen alle verbliebenen Bewohner*innen in einer Halle, in sogenannten
       „Compartments“. Das sind mit dünnen Pappwänden abgetrennte und oben offene
       Räume. Die Toiletten und Duschen befinden sich draußen in überdachten,
       teils ungeheizten Containern. Das ist besonders im Winter und besonders für
       Frauen und Kinder schwer aushaltbar.
       
       ## Bewohner*innen traten erfolglos in Hungerstreik
       
       Das wissen sogar die für die Erstaufnahme zuständige Innenbehörde, die für
       die Folgeunterbringung zuständige Sozialbehörde und der Träger Fördern &
       Wohnen. „Allen Beteiligten“ sei bewusst, dass die Bewohner*innen an
       Notstandorten „einer herausfordernden Situation ausgesetzt“ sind. „Wir
       wollen am liebsten solche Standorte so schnell wie möglich schließen“, sagt
       die F&W-Sprecherin Susanne Schwendtke der taz. „Aber es ist momentan noch
       nicht möglich, weil einfach Plätze fehlen.“
       
       So argumentieren auch die Sozial- und Innenbehörde. Obwohl die Zahl der in
       Hamburg ankommenden Asylsuchenden sinkt, sei das System „weiterhin stark
       ausgelastet“, Stand 17. Oktober zu 95,8 Prozent. „Daher sind die
       zuständigen Behörden weiterhin auf Notstandorte wie den an der
       Schlachthofstraße angewiesen“, schreibt der Sprecher der Innenbehörde.
       Außer der Schlachthofstraße wird in Hamburg nur noch ein anderer
       Notstandort weiterhin als Unterkunft genutzt, in der Stengelestraße 38 mit
       derzeit 69 Bewohner*innen.
       
       Die Unterkunft in der Schlachthofstraße soll, sobald die Lage der
       öffentlichen Unterbringung in Hamburg es zulasse, „in der Belegung
       reduziert bzw. perspektivisch auch leergezogen werden“. Ganz aufgeben
       wollen die Behörden die Unterkunft nicht, sie „soll weiter als
       Reservestandort vorgehalten werden“.
       
       Derweil protestieren die Bewohner*innen weiter gegen die unhaltbaren
       Zustände – wie seit Jahren. Im Februar waren einige von ihnen in einen
       Hungerstreik getreten. Geändert hat sich an den Zuständen nichts. Sie gaben
       den Hungerstreik auf.
       
       Unter ihnen war auch Khaled Agha. „Its a place where people lose their
       health and their dreams“, sagt Agha am Sonntag auf der Demo in Harburg. An
       diesem Ort verlören Menschen nicht nur ihre Gesundheit, sondern auch ihre
       Träume. Eigentlich, sagt Agha der taz vor seiner Rede auf der Demo, hätten
       sie alle keine Hoffnung mehr. „But we have to have hope.“
       
       19 Oct 2025
       
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