URI: 
       # taz.de -- Schadstoffe im Abwasser: Wie viele Pillen verträgt ein Fluss?
       
       > Chemikalien aus Industrie und Pharmazie verschmutzen die Wasserreserven –
       > die ohnehin belastet sind. Die EU arbeitet an einer neuen Richtlinie.
       
   IMG Bild: Wie schön wäre es, wenn der Sprung ins kühle Nass nicht von Sorgen über verschmutztes Wasser getrübt würde
       
       Berlin taz | Für kleine gesundheitliche Leiden sind rezeptfreie Medikamente
       praktisch. Wer vorübergehend Kopf- oder Regelschmerzen, einen grippalen
       Infekt oder einen steifen Nacken hat, wirft sich eine Ibu ein oder schmiert
       Voltaren auf die betroffene Stelle. Ob die Mittel sinnvoll sind und
       tatsächlich die Wirkung entfalten, die sie sollen, sei dahingestellt.
       
       In der Umwelt wirken sie auf jeden Fall: Ibuprofen und der
       Voltaren-Wirkstoff Diclofenac zum Beispiel belasten Gewässer und schädigen
       Wasserorganismen wie Algen und Fische. Dabei ist der Wasserkreislauf
       weltweit ohnehin unter Druck, beispielsweise durch zunehmende
       Extremwetterereignisse.
       
       Und die beiden Schmerzmittelwirkstoffe sind nur 2 von rund 1.300
       Humanarzneimittelsubstanzen, denen das Umweltbundesamt eine „mögliche
       Umweltrelevanz“ zuspricht. Genauso problematisch für die Umwelt können
       Antibiotika, Antidepressiva und hormonwirksame Arzneimittel wie die Pille
       werden.
       
       Das Problem dieser „Spurenstoffe“, die über das Abwasser in Flüsse, Seen
       und schließlich in das Grundwasser gelangen, ist lange bekannt. Den großen
       gesetzlichen Rahmen, um Gewässer in der EU zu überwachen und zu schützen,
       bildet die Wasserrahmenrichtlinie WRR.
       
       ## Pharma-, Kosmetik- und Chemieindustrie
       
       Die EU überarbeitet die WWR seit Jahren und will das entsprechende
       Trilogverfahren – in dem Kommission, der Rat der Mitgliedsländer und
       Parlament miteinander verhandeln – dazu am Dienstag abschließen. Ergebnis
       wäre eine neue Grundlage für den Schutz des Süßwassers in Europa vor
       Verschmutzung durch Chemikalien der Pharma-, aber auch der Kosmetik- und
       Chemieindustrie. [1][Es geht also nicht nur um Medikamente, sondern auch um
       Industriechemikalien wie PFAS, Silber oder Pestizide.]
       
       Gemäß den Daten, die die Mitgliedstaaten der EU auf Basis der bisherigen
       Wasserrahmenrichtlichtlinie liefern mussten, waren 2021 nur 29 Prozent der
       Seen und Flüsse in der EU in einem guten chemischen Zustand, 77 Prozent der
       sogenannten Grundwasserkörper. [2][Das Ziel, dass schon 2015 alle Gewässer
       in einem guten Zustand sein sollten, wurde also verfehlt.] Auch das neue –
       ein guter Zustand aller Gewässer bis 2027 – scheint kaum erreichbar.
       
       Im Trilog geht es nun darum, welche Stoffe künftig als in Gewässern
       schädlich gelten sollen und überwacht werden müssen, mit welchen Methoden
       diese Stoffe beurteilt werden sollen – und wer dafür zuständig sein soll.
       Wie immer finden diese Verhandlungen zwischen Kommission, Rat und Parlament
       in einer Art Black Box statt. Die Erwartungen an die Ergebnisse sind
       allerdings hoch.
       
       „Es ist gut, dass sich die EU endlich auf neue Regeln zum Gewässerschutz
       zubewegt“, sagt ein Sprecher des Verbands der Kommunalen Unternehmen, VKU.
       „Unsere Wasserressourcen sind durch den Klimawandel schon stark unter
       Druck.“ Wichtig seien klare und wirksame Vorgaben. Diese dürften aber nicht
       allein zu kosten- und energieintensiven Nachrüstungen bei Kläranlagen
       führen, so der VKU-Sprecher.
       
       Genau das droht, weil sich mögliche erweiterte Listen gefährlicher Stoffe
       plus enger gefasster Konzentrationswerte der Wasserrahmenrichtlinie auf
       eine andere, erst vergangenes Jahr beschlossene EU-Gesetzgebung auswirken:
       die Kommunale Abwasserrichtlinie. Sie könnte dazu führen, dass bei neuen
       und strengeren Konzentrationswerten für Ibuprofen oder Diclofenac die
       Kommunen ihre Kläranlagen aufrüsten müssten. Geschätzte Kosten nächsten 20
       Jahren: zwischen 10 und 20 Milliarden Euro.
       
       ## Kommunale Abwasserrichtlinie lässt Hersteller zalen
       
       Die Kommunale Abwasserrichtlinie überträgt diese Kosten zum Teil den
       Herstellern. Sieben Unternehmen sowie der Verband Pharma Deutschland klagen
       deswegen bereits. „Wir sehen in der Richtlinie Verstöße gegen EU-Recht und
       eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort und die Versorgung mit
       Human-Arzneimitteln in Deutschland und Europa“, begründet Dorothee
       Brakmann, Hauptgeschäftsführerin von Pharma Deutschland. Ein Urteil wird
       noch in diesem Jahr erwartet.
       
       „Die Wasserwirtschaft setzt bei der Umsetzung des Verursacherprinzips auch
       auf eine Lenkungswirkung“, sagt Stefan Bröker, Sprecher der Deutschen
       Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall. „Wenn die Industrie
       mit den Kosten konfrontiert wird, die sie verursacht, hat sie auch
       wirtschaftliche Anreize, Umweltaspekte beim Produktdesign zu
       berücksichtigen.“
       
       So wird Diclofenac zu großen Teilen verstoffwechselt, wenn es als Tablette
       eingenommen wird. Problematisch wird es, wenn es als Salbe auf der Haut
       aufgetragen ist: Von dort kann der Wirkstoff beim Duschen oder Händewaschen
       abgespült werden und landet erst im Abwasser und dann im See.
       
       Auch Jutta Paulus, die für die Grünen im EU-Parlament sitzt, setzt auf die
       erweiterte Herstellerverantwortung für die Abwasserentsorgung und ein
       breiteres Monitoring. So müssten [3][nicht nur PFAS auf die Liste der
       Stoffe gesetzt werden, sondern auch deren Zerfallsprodukt TFA,] weil das
       besonders gewässerschädlich sei. Das Hauptproblem der WRR sei allerdings
       nicht der Gesetzestext, der jetzt verhandelt werde, sondern dass die
       bislang schon vorhandenen Regeln nur unzureichend umgesetzt würden.
       
       21 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Wirtschaft-treibt-Umweltpolitik/!6079123
   DIR [2] /Quecksilber-in-Seen-Fluessen-und-Baechen/!6067538
   DIR [3] /Pestizide-im-Grundwasser/!6034501
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heike Holdinghausen
       
       ## TAGS
       
   DIR Chemikalien
   DIR Abwasser
   DIR Gewässerschutz
   DIR Pharmaindustrie
   DIR Europäische Union
   DIR Social-Auswahl
   DIR Abwasser
   DIR Gewässerschutz
   DIR Schwerpunkt Pestizide
   DIR Spree
   DIR Hildesheim
   DIR Wassermangel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Abwasser in Berlin: Sauberes Wasser, KARL sei Dank
       
       Die Berliner Wasserbetriebe haben mit dem Bau der „4. Reinigungsstufe“ in
       ihren Klärwerken begonnen. Sie folgen damit neuen Vorgaben der EU.
       
   DIR Schadstoffe in Gewässern: Europa will weniger Chemie in Flüssen
       
       Die EU hat sich auf bessere Kontrollen von langlebigen Schadstoffen in
       Gewässern geeinigt. Umweltschützer:innen geht die Richtlinie nicht
       weit genug.
       
   DIR Agrarministerkonferenz zu Pestiziden: Unionsminister wollen weniger Macht fürs Umweltbundesamt
       
       Die Agrarressorts etwa von Bayern und Sachsen möchten das Vetorecht des
       Amts bei der Pestizidzulassung abschaffen. Eine grüne Ministerin hält
       dagegen.
       
   DIR Wasserkrise in Berlin: Die Hitze und das Wasser
       
       An Hitzetagen steigt der Wasserverbrauch. Was aber, wenn nicht erst mit dem
       Kohleausstieg das Wasser knapp wird, sondern schon jetzt? Eine Erkundung.
       
   DIR Düngemittelkonzern K+S: Salzwasser soll in Süßwasser
       
       K+S plant, Millionen Liter Haldenwasser in einen Fluss zu leiten.
       Umweltschützer und Angler warnen vor einem Artensterben.
       
   DIR Bericht der Europäischen Umweltagentur: Zustand des Wassers in Europa ist alarmierend
       
       Die Europäische Umweltagentur warnt vor Wasserknappheit, denn der Zustand
       des Wassers ist schlecht. In Deutschland ist die Situation teilweise
       besser.