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       # taz.de -- Berlin-Marathon 2025: Amüsierfolter für die schnelle Nummer
       
       > Vor dem Marathon kommt die Startnummernvergabe, in diesem Jahr auf dem
       > Messegelände. Unser Autor fragt sich, was das soll – er will doch nur
       > laufen.
       
   IMG Bild: Ein bisschen Zirkus ist auch der Lauf selbst – hier im vergangenen Jahr
       
       Berlin taz | Donnerstagnachmittag, Rushhour. Auf der A100 ist Stau. Aber
       egal. Denn ich fahr S-Bahn. Tschüs, Schlamassel! Neben mir sitzt meine
       sechsjährige Tochter. Wir wollen zu den Messehallen, die Startnummer
       abholen für [1][den ersten Marathon meines Lebens]. Man muss da persönlich
       erscheinen.
       
       Schon kurz nach der S-Bahn-Haltestelle bildet sich ein kleiner
       Menschenstrom. Alle schieben sich Richtung Messe. Immer wieder stoppen die
       Leute, machen Selfies vor dem riesigen Eingang und setzen nebenbei noch
       einen großen deutschen Autohersteller ins Bild, der das Event sponsert.
       
       Auch ich bin geflasht und kämpfe kurz mit den Tränen. Das Training lief
       holprig, ich war in den letzten Monaten immer wieder krank. Jedes Mal hatte
       ich das Gefühl, dass ich wieder bei Null anfangen muss. Aber nun stehe ich
       wirklich hier, und die Stimmung ist wirklich super. Es geht ein bisschen zu
       wie bei der UNO: Jede Person um mich herum spricht eine andere Sprache.
       Beautiful!
       
       Dann wird es langatmig. Wir müssen gleich durch mehrere Einlasskontrollen.
       Und immer wieder heißt es: Schlange stehen wie am Flughafen. Aber wie
       geht’s dann weiter? Mich verwirrt die Beschilderung in der Messehalle, und
       so landen wir tatsächlich in der falschen Schlange. Einer Helferin fällt es
       zum Glück auf, sie findet die Beschilderung ebenfalls doof und leitet uns
       zurück zum richtigen Stand. Dann, endlich, halte ich meine Startnummer in
       der Hand. Ein dünnes Blättchen Papier, auf der Rückseite ein Tracker für
       die Zeiterfassung.
       
       ## Was soll dieser Zirkus?
       
       200 Euro habe ich dafür bezahlt, dass ich mitlaufen darf beim
       Berlin-Marathon. Doch wie das Mitglied eines exklusiven Clubs fühle ich
       mich weniger. Tatsächlich kommt es mir mehr und mehr so vor, als sei ich
       hier am falschen Ort. Was soll dieser Zirkus? Wozu die ganze Amüsierfolter?
       Ich will einfach nur raus. Das Rennen am Sonntag wird hart genug,
       Durchkommen ist alles! Aber nicht hier.
       
       Wir folgen den Schildern zum Ausgang. Jedes Mal, wenn ich denke, wir haben
       es geschafft, kommt eine neue Halle. Alles ist vollgestellt mit Ständen.
       [2][„Marathon Expo“ nennen sie das.] Glitzernder Lauf-Kommerz, 120 Euro für
       ein Marathon-Jäckchen, 40 Euro für das T-Shirt. Ich glaub’, es hackt. Aber
       vielen anderen scheint es zu gefallen, sie tummeln sich vor den Ständen.
       Manche lassen sich vollquatschen, andere lassen sich volllaufen oder suchen
       was zum Einschmieren. Viele nesteln an ihren werbeverzierten Beuteln.
       
       Kurz vor dem Ausgang muss meine Tochter aufs Klo. Nach zwei Minuten kommt
       sie wieder raus und sagt, dass die Toiletten hier sehr chic seien. Dann hat
       sich der Ausflug ja doch noch gelohnt. Auf der Rückfahrt mit der S-Bahn
       sehen wir immer wieder die Marathon-Strecke aus dem Fenster. Dann sind wir
       zu Hause. Ich verzichte auf das Abendessen. Ich muss raus zur letzten
       Laufeinheit. Passt schon.
       
       19 Sep 2025
       
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