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       # taz.de -- Kinder- und Jugendbuch: Wo die heilende Safran-Lilie wächst
       
       > Jakob Martin Strid ist mit „Der fantastische Bus“ eine berauschende
       > Bild-Erzählung gelungen. Gemeinschaft und Erfindungsreichtum in
       > herausfordernden Zeiten.
       
   IMG Bild: Unten am Hafen in Ahnstarr City ist viel zu sehen. Szene aus „Der fantastische Bus“ von Jakob Martin Strid
       
       Am letzten Septemberwochenende war es in Berlin noch einmal [1][richtig
       heiß geworden]. Während sich zum Saisonende ein letztes Mal lange Schlangen
       vor dem [2][Kreuzberger Freibad] bildeten, drängte nicht weit davon
       entfernt das Publikum trotz sommerlicher Temperaturen in die
       Kinderbuchhandlung am Südstern. Diese hatte Interessierte ab fünf Jahren
       zur Buchpräsentation von „Der fantastische Bus“ eingeladen.
       
       Die Neuerscheinung des dänischen Autors und Illustrators Jakob Martin Strid
       sorgte bei den Anwesenden für große Neugier, denn schon sein 2012
       veröffentlichtes Bilderbuch „Die unglaubliche Geschichte von der
       Riesenbirne“ hatte viele von ihnen nachhaltig begeistert.
       
       Fast 15 Jahre hat der 1972 geborene Zeichner und Cartoonist an „Der
       fantastische Bus“, seiner großformatigen, 204 Seiten starken Bild-Erzählung
       gearbeitet. In der szenischen Lesung am Berliner Südstern werden
       Ausschnitte der detailreich und farbintensiv gestalteten Illustrationen
       auf die Leinwand projiziert und ziehen Kinder wie Erwachsene schnell in
       ihren Bann.
       
       Als der Autor und sein deutscher Verleger erst mit einiger Verspätung in
       die bereits lebhafte Veranstaltung stolpern, fällt das besonders den jungen
       Gästen gar nicht mehr auf.
       
       ## Ihre Häuser werden zerstört
       
       Strids Geschichte beginnt in Ahnstarr City, einer Megametropole mit viel
       Verkehr und moderner Skyline. Unten am Hafen leben Taku, Tolstoi, Masha und
       die anderen in unkonventionell gestalteten Hütten. Doch nun ist ihre
       Existenz bedroht, denn die einst illegal errichtete Siedlung soll
       abgerissen werden. Die Häuser von Lucas und Silja haben die großen Bagger
       schon zerstört.
       
       Außerdem sind alle Nachbarn in Sorge, weil es dem kleinen kranken Timo von
       Tag zu Tag schlechter geht, obwohl Doktor Dion jeden Tag nach ihm schaut.
       Seine Adoptivmutter, Frau Friby, glaubt, dass nur die seltene Safran-Lilie
       ihn noch retten kann.
       
       Mit Bleistift, Pinsel und Filzstift skizziert Strid in allen Einzelheiten
       das unkonventionelle Viertel mit seiner antropomorph dargestellten
       Bewohnerschaft. Chronist der Ereignisse ist Taku, ein junger Hund in blauem
       Anorak. Weil sein Vater in einem fernen Land in einer Fabrik arbeiten muss,
       wohnt er so lange bei Charlie. Der ist mit dem älteren Tolstoi befreundet,
       einem Löwen in Latzhosen. Und der ungläubige André werkelt am liebsten in
       der Werkstatt an seinem Tigerauto.
       
       ## Keine beschauliche Welt
       
       Das weckt Assoziationen an die Bilderbuchklassiker des US-amerikanischen
       [3][Illustrators Richard Scarry,] wo Hasenfamilien im Sportwagen oder
       Füchse auf Rollschuhen durch ihre beschauliche Stadt kurven. Auch in „Der
       fantastische Bus“ sind die Tierfiguren zupackend und einander aufmerksam
       zugewandt, doch ist ihre Welt keine beschauliche.
       
       Nachrichten von Kriegen, Umweltzerstörung und Diktaturen gehören zu ihrem
       Alltag. Spirs Fell, erfahren wir, wurde vor Jahren grün, nachdem der kleine
       Kater in radioaktiven Schleim gefallen war. Aber dafür besiegt er nun
       Tolstoi im Schach. Hartnäckig treibt er die Freunde an, in der schwierigen
       Situation nach einem Ausweg und einem besseren Ort für sie alle zu suchen.
       
       Da erinnert Lucas, der ehemalige Pilot mit einem Alkoholproblem, Tolstoi an
       ihre damals unvollendet gebliebene Expedition nach Balanka – jenem
       märchenhaften Land, wo auch die heilende Safran-Lilie wächst. Und
       tatsächlich entdecken sie in der verlassenen Halle 9 im Hafen unter einer
       verstaubten Persenning (wie Sigrid C. Engler hier sehr schön übersetzt) die
       zwei alten Phantom-8-Kristall-Jetmotoren des ehemaligen Luftschiffs. Das
       könnte für sie die große Chance sein.
       
       Kurbelwelle, Ratschenschlüssel oder Plasma-Generator. Klingende
       Technikbegriffe, Tüftlertum und Erfindungsreichtum machen einen großen Teil
       dieser faszinierenden Abenteuergeschichte aus, in der düster dystopischen
       Momenten mit ungebändigter Fantasie hoffnungsvoll begegnet wird. Im Zentrum
       aber steht eine vielfältige Gemeinschaft, in der sich für alle ein Platz
       findet und in der alle Pfoten mithelfen.
       
       ## Der Bus ins Paradies
       
       Zebra, Gorilla, Dachs oder Krokodil. Nächtelang bauen die Tiere an dem
       einzigartigen Bus, in dem auf mehreren Stockwerken alles Erdenkliche
       vorhanden sein wird und der sie mit 18.500 PS in das 100.000 Kilometer
       entfernte paradiesische Balanka bringen soll.
       
       Mit Bedacht erweitert Jakob Martin Strid die temporeiche Handlung um einige
       biografische Einschübe. Figuren wie Tolstoi, Frau Friby, Timo oder Taku
       werden dadurch zu lebendigen und komplexen Charakteren einer
       vielschichtigen Erzählung, die einen lange begleiten wird.
       
       Als erster dänischer Autor erhielt Jakob Martin Strid für „Der fantastische
       Bus“ 2024 den Kinder- und Jugendliteraturpreis des Nordischen Rats.
       100.000-mal wurde der Titel bereits international verkauft.
       
       „Passt in keine Schublade“, kündigte der Münchner Antje Kunstmann Verlag
       risikofreudig in seinem Herbstprogramm die deutsche Übersetzung des
       ungewöhnlichen Bilderbuchs aus Dänemark an, auch mit dem Wissen, dass der
       zweieinhalb Kilo schwere und entsprechend hochpreisig kalkulierte Titel
       gängige Vorstellungen vom Kinder- und Jugendbuch vielleicht sprengen
       könnte.
       
       4 Oct 2025
       
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