URI: 
       # taz.de -- An der russisch-finnischen Grenze: Zwischen Helsinki und Petersburg
       
       > 1.340 Kilometer lang ist die Grenze zwischen Russland und Finnland. Vor
       > dem Ukraine-Krieg herrschte an vielen Orten viel Betrieb, jetzt ist es
       > menschenleer.
       
   IMG Bild: Geschlossener Checkpoint an der Grenze zwischen Finnland und Russland
       
       Vaalimaa taz | Vaalimaa ist Endstation. In dem kleinen südostfinnischen
       Dorf an der E 18, das zu der Gemeinde Virolahti gehört, war
       zugegebenermaßen auch früher nicht viel los. Der größte Grenzübergang
       zwischen Finnland und Russland brachte auch in der Vergangenheit nur
       schrittweise Bewegung, er war für seine schier endlosen Staus berüchtigt.
       Von hier aus sind es 183 Kilometer in die finnische Hauptstadt Helsinki,
       ins russische St. Petersburg 203 Kilometer.
       
       Seit Dezember 2023 gibt es gar keinen Betrieb mehr an der Grenze. Damals
       machten Finnlands Behörden nicht nur diesen Übergang dicht, bis auf
       Weiteres, wie es hieß. Einige Monate zuvor waren mehr als 1.300
       Drittstaatsangehörige registriert worden, die ohne Visum von Russland
       eingereist waren – für Helsinki ein klarer Beweis für den Einsatz von
       Migration als politischer Waffe. Wie das generalstabsmäßig geht, hatte der
       belarussische Autokrat Alexander Lukaschenko ab 2021 vorgemacht und
       [1][gezielt tausende Migrant*innen an die polnische Grenze bringen
       lassen.]
       
       Der Weg hin zur Grenzanlage mutet wie eine Zeitreise an. Der Bau einer
       bekannten deutschen Supermarktkette nebst riesigem Parkplatz – verwaist. An
       einem lagerhallenartigen Gebäude steht: „Zu vermieten, zum Verkauf.“ Ein
       Schild wirbt, teils in kyrillischer Schrift, für weltbekannte Marken,
       Restaurants und Cafés in einem Outlet-Center namens „Zsar“.
       
       ## Keine Aussicht auf Öffnung
       
       Die Grenzschützerin, die hier mit einigen Kollegen patrouilliert, wirkt
       nicht gerade überbeschäftigt. Sie kontrollierten einen 40 Kilometer langen
       Abschnitt, größtenteils Wald, erzählt die 48-Jährige. Hin und wieder
       begegneten ihnen Bären mit Nachwuchs, Wildschweine und Elche. Menschen
       hingegen würden nur noch selten aufgegriffen. „Die russischen Kollegen
       machen einen guten Job“, sagt sie.
       
       Das würde Antti Virta wohl so nicht stehen lassen. Befragt nach der
       Zusammenarbeit mit der anderen Seite, gibt sich der stellvertretende
       Kommandeur des Grenzschutzbezirks Südostfinnland schmallippig: „Die Lage an
       der Grenze ist derzeit stabil. Aber es gibt keinen Grund, sie probeweise
       wieder zu öffnen. Dann würde es wieder anfangen.“ Virta meint damit
       illegale Übertritte. Er führt durch die Grenzzone, die nur mit einer
       Sondererlaubnis betreten werden darf.
       
       An diesem Abschnitt hat Helsinki massiv hochgerüstet. Virta weist auf einen
       3,50 hohen Stahlzaun mit Stacheldraht, alle 50 Meter steht dort eine mit
       Sensoren ausgerüstete Kamera – KI-gestützte Hochtechnologie, die eine
       lückenlose Überwachung ermöglichen soll. Von der insgesamt 1.340 Kilometer
       langen finnisch-russischen Grenze sollen 200 Kilometer auf diese Art und
       Weise geschützt werden. Die Bauarbeiten sollen 2026 abgeschlossen sein. Das
       lässt sich die finnische Regierung knapp 400 Millionen Euro aus dem
       Staatshaushalt kosten.
       
       Veronika Honkasalo, die für die oppositionelle Linksallianz seit 2019 im
       finnischen Parlament sitzt, kritisiert die Grenzschließung. Es sei zwar
       unstrittig, dass Russland versuche, hybriden Einfluss auf Finnland
       auszuüben. Doch die Tatsache, dass Moskau schutzbedürftige Asylsuchende für
       seine eigenen Zwecke ausnutze, könne nicht bedeuten, diesen Personen ihre
       Menschenrechte vorzuenthalten.
       
       ## Mehr Insolvenzen registriert
       
       Es wäre klüger gewesen, die Asylanträge auf mindestens einen offenen
       Grenzübergang zu konzentrieren, wo sie kontrolliert bearbeitet werden
       könnten, anstatt die Antragsteller versuchen zu lassen, illegal die Grenzen
       zu überqueren. Honkasalo habe bislang kaum eine Begründung dafür gehört,
       warum eine Grenzschließung weiterhin notwendig sei.
       
       Doch nicht nur Menschen, die vor politischer Verfolgung Schutz suchen,
       zahlen einen hohen Preis. Auch Petra Kortelainen, Managerin für Entwicklung
       im Regionalrat Kymenlaakso, bekommt die Auswirkungen der Grenzschließung zu
       spüren. Das erzählt sie in der Brauerei Takatalo & Tompurin in Ravijärvi.
       
       Die Situation nach dem „Grenzschock“ sei schwierig, sagt Kortelainen. Seit
       der Grenzschließung steige die Zahl der Insolvenzen ortsansässiger Betriebe
       beständig an. Der Tourismus sei eingebrochen, die Verluste beliefen sich
       alles in allem auf 180 Millionen Euro pro Jahr. Die Region wäre, sagt
       Kortelainen, gut für den Ausbau erneuerbarer Energien geeignet. Doch
       Windräder störten die Radarsysteme in Grenznähe.
       
       ## Nicht nur reden, tun
       
       Dennoch hat Kortelainen Hoffnung, dass die Transformation gelingen kann.
       Konkret ist die Rede von Investitionen der finnischen Streitkräfte in der
       Region, aber auch der Nato, der Finnland seit 2023 angehört. „Hier ist ein
       idealer Ort, um verschiedene Drohnentypen zu testen, nicht nur zu
       militärischen Zwecken“, sagt Kortelainen und nennt [2][den Drohnenwall,]
       für den EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen trommelt.
       
       Apropos EU-Kommission: Vor einigen Monaten sei man in Brüssel vorstellig
       geworden, sagt Kortelainen, um für den Erhalt von Mitteln aus dem
       langfristigen Haushalt der EU zu lobbyieren. „Unsere Botschaft ist
       angekommen“, sagt Kortelainen. „Doch jetzt braucht es weitere konkrete
       Schritte.“
       
       Der Inhaber der Takatalo-&-Tompurin-Brauerei, Mikko Suur-Uski, verbreitet
       gute Laune. Der 47-Jährige und seine Frau haben an diesem Abend volles Haus
       – was nicht der Normalfall ist – und bieten vier traditionell hergestellte
       Biersorten und lokalen Spezialitäten im hauseigenen Restaurant zur
       Verkostung an.
       
       Die Grenzschließung hält Mikko Suur-Uski für unsinnig. Den Krieg in der
       Ukraine müsse man stoppen. Nicht nur reden, sondern es konkret tun. Er
       bezahle schließlich Steuern, aber die Dörfer stürben langsam vor sich hin.
       In den Häusern solle wieder das Licht angehen. „Aber egal, was kommt, ich
       bleibe hier“, sagt Suur-Uski.
       
       Und wenn es in Finnland zum Ernstfall käme? „Ich bin Sergeant, natürlich
       würde ich mein Land verteidigen, keine Frage“, sagt er. Diese Bereitschaft
       teilt er, zumindest einer Umfrage zufolge, mit über 80 Prozent der
       Finn*innen.
       
       Dieser Text entstand im Rahmen einer Pressereise der deutschen Vertretung
       der Europäischen Kommission.
       
       5 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Deutsch-polnische-Grenze/!6083325
   DIR [2] /Gipfel-der-Europaeischen-Union/!6112930
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Oertel
       
       ## TAGS
       
   DIR Finnland
   DIR wochentaz
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Verteidigung
   DIR Kritische Infrastruktur
   DIR GNS
   DIR Reden wir darüber
   DIR Sicherheitskonferenz
   DIR Estland
   DIR Russland
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Sicherheitskonferenz in Warschau: Zauberformel gegen Moskau
       
       Der US-Gesandte für die Ukraine, Keith Kellogg, wirbt in Warschau um
       Verständnis für Washingtons Russlandpolitik. Man müsse mit allen Seiten
       sprechen.
       
   DIR Nach Eindringen russischer Kampfjets: Estland beantragt Nato-Konsultationen
       
       Italien und Finnland fangen russische Kampfjets im estnischen Luftraum ab.
       12 Minuten waren sie mit abgeschalteter elektronischer Kennung unterwegs.
       
   DIR Militärexperte über Zapad-Manöver: „Für Belarus besteht ein Risiko“
       
       Mitte September beginnt die größte russisch-belarussische Militärübung seit
       2021. Moskau kann sich's leisten, sei die Botschaft, sagt Experte Joel
       Linnainmäki.