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       # taz.de -- Seenotrettung im Mittelmeer: Streit um Unterstützung für libysche Küstenwache
       
       > Das AA nehme die jüngsten Angriffe der libyschen Küstenwache auf
       > Seenotretter „sehr ernst“. Die EU will die Kooperation mit der
       > Küstenwache fortsetzen.
       
   IMG Bild: Gerettete Migrant*innen auf der Sea Watch 5 im August auf dem Weg nach Salerno
       
       Berlin taz | Ende September gab die libysche Küstenwache (LCG) bei einer
       Rettungsaktion der europäischen NGO [1][Sea-Watch in internationalen
       Gewässern vor der libyschen Küste einen Schuss ab]. Nach Zählung der NGO
       war es mindestens der 32. Vorfall, bei dem die LCG Gewalt gegen zivile
       Rettungsschiffe einsetzte.
       
       Ein Dokument der NGO, welches der taz vorliegt, schildert direkte Schüsse,
       Warnschüsse, Drohungen und Behinderung bei Rettungsaktionen. Auch komme es
       immer wieder zu Angriffen auf Menschen in Seenot oder unterlassener
       Hilfeleistung. Mehrfach sahen Seenotretter:innen Leichen an Bord von
       LCG-Schiffen.
       
       Die LCG wird seit 2017 von der EU mit Schiffen, Ausrüstung, Training, Geld
       und Luftraumüberwachung aufgebaut. Seit 2020 findet dies auch im Rahmen der
       sogenannten Irini-Mission statt. Die Militäroperation hat zum Ziel, das
       UN-Waffenembargo gegen Libyen durchzusetzen und Menschenhandel einzudämmen,
       in diesem Rahmen werden auch Einheiten der LCG ausgebildet.
       
       Die Bundesregierung hat nun bekräftigt, Deutschland werde weiterhin nicht
       direkt mit der LCG zusammenarbeiten. „Wir nehmen Berichte über [2][Angriffe
       auf die Sea-Watch 5] und zu möglicherweise rechtswidrigem Verhalten der
       libyschen Küstenwache sehr ernst“, hieß es aus dem Auswärtigen Amt (AA) auf
       taz-Anfrage.
       
       ## Keine deutsche bilaterale Unterstützung
       
       Zur Identität mutmaßlich beteiligter LCG-Einheiten lägen keine eigenen
       Erkenntnisse vor. Grundsätzlich gelte: „Es gibt keine deutsche bilaterale
       Unterstützung für die libysche Küstenwache.“
       
       Diese Position stammt aus der Zeit der Ampelregierung. Die hatte zwar einer
       Beteiligung der Bundeswehr an der Irini-Mission zugestimmt, sie darf sich
       jedoch nicht an der Ausbildung der LCG beteiligen.
       
       Baerbocks Nachfolger Johann Wadephul (CDU) hält nun daran fest. Ein
       Sprecher des AA sagte, man setze sich „gegenüber den
       Projektverantwortlichen in Brüssel und vor Ort mit Nachdruck für die
       Einhaltung von Menschenrechtsstandards sowie die Umsetzung
       völkerrechtlicher Bestimmungen ein“.
       
       Erst am 25. August hatte das Rettungsschiff „Ocean Viking“ der NGO SOS
       Mediterannee gemeldet, [3][20 Minuten lang „mit Dauerfeuer“ von der LCG
       beschossen worden zu sein]. Die „Ocean Viking“ befand sich mit 87
       geretteten Menschen auf dem Weg nach Italien. Das Schiff wurde schwer
       beschädigt, inzwischen ermittelt die italienische Staatsanwaltschaft.
       
       ## „Inakzeptable Aggressionen“
       
       Die EU-Kommission hatte eine Untersuchung angekündigt. Nun antwortete
       EU-Mittelmeer-Kommissarin Dubravka Šuica auf eine Anfrage von
       EU-Parlamentariern. Ändern will die EU demnach offenbar nichts – sie hält
       an der Kooperation fest.
       
       Die Attacke habe die EU-Delegation in Tripolis „unverzüglich bei den
       libyschen Behörden zur Sprache gebracht und sie aufgefordert, alle
       erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Einhaltung sowohl nationaler
       als auch internationaler Verpflichtungen sicherzustellen,“ sagte Šuica. Die
       Zusammenarbeit werde „kontinuierlich überprüft“, ob es Ergebnisse gebe,
       sagte sie nicht.
       
       Unterdessen hat auch das International Press Institute (IPI) in Wien den
       jüngsten Übergriff auf die „Sea-Watch 5“, bei dem sich auch [4][ein
       taz-Journalist an Bord befand], kritisiert. „Das IPI verurteilt die
       rücksichtslose Missachtung der Sicherheit der Menschen an Bord der
       Sea-Watch 5, darunter auch Journalisten, durch die libysche Küstenwache“,
       sagte Jamie Wiseman, Europa-Beauftragter des IPI.
       
       „Wir fordern die LCG auf, im Einklang mit ihren internationalen
       Verpflichtungen zur Medienfreiheit Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, um die
       körperliche Unversehrtheit aller Journalisten zu gewährleisten, die aus dem
       Mittelmeerraum und dem libyschen Hoheitsgebiet berichten“, sagte Wiseman.
       Journalisten müssten über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse wie
       Seenotrettung berichten können, ohne um ihr Leben fürchten zu müssen.
       
       Auch Marcel Emmerich, Sprecher für Innenpolitik der
       Grünen-Bundestagsfraktion, verurteilte die Aggressionen als „inakzeptabel“.
       Kriminalisierung von Seenotrettung gipfele derzeit in „lebensgefährlichen
       Attacken auf deutsche Schiffe und Staatsbürger“. Emmerich forderte
       gegenüber der taz Konsequenzen von der Bundesregierung, die
       EU-Unterstützung der LCG könne so nicht weitergehen. Für Mittwoch sei eine
       mündliche Frage an die Bundesregierung geplant.
       
       5 Oct 2025
       
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