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       # taz.de -- Sucht nach Sport: Es ist keine Liebe
       
       > Unser Autor fragt sich, was ihn wohl antreibt, wenn er direkt nach einer
       > Operation den Drang verspürt, Sport zu treiben. Eine Selbstreflexion.
       
   IMG Bild: Alles dran? Röntgenbild zweier Hände
       
       Beim Zumirkommen [1][im Aufwachraum] habe ich wohl wieder irgendetwas
       Dummes gesagt. Offensichtlich habe ich eine Weile gesungen, denn nun steht
       eine Gruppe Pflegekräfte um mich herum, schaut auf mein dämliches
       Rückentattoo und lacht. Sicherlich haben sie schon Schlimmeres gesehen. Der
       Raum fühlt sich nicht mehr so metallisch und kalt an wie vor der Narkose,
       sondern alles ist flauschig und beschwingt. In einem Moment flüchtiger
       Klarheit sehe ich meine rechte Hand an und überlege, ob mein Finger jetzt
       endgültig repariert ist. Vor der OP hatte die Chirurgin gesagt, es gebe
       keine Garantien, sie verkaufe schließlich keine Waschmaschinen.
       
       Ich bin hier, weil ich mir vor etwa einem Jahr eine Verletzung zugezogen
       habe, als ich einer Freundin beim Umzug geholfen habe. Hätte ich es danach
       ruhig angehen lassen, anstatt meine Hand mit Klebeband an einen
       Tennisschläger zu schnallen, um ein Turnier zu spielen, wäre ich nicht
       hier. Selbst schuld, klar.
       
       Betrachte ich die ständigen Verletzungen, wird klar, dass mein Sportdrang
       längst nichts mehr mit Fitness oder Gesundheit zu tun hat. Das ist keine
       Liebe zum Sport. Vielmehr ist es eine Obsession. Wie soll man sonst diesen
       Chat über das kommende Spiel des [2][taz Panter FC] in der Woche vor der
       geplanten Operation erklären?
       
       – Wie geht’s dir? Montag spielen?
       
       – Leider geht es meinem Knie nicht gut. Außerdem wird mein Finger am
       Dienstagmorgen operiert, weshalb Montag schwierig wird.
       
       – Na, dir bleibt ja nichts erspart. Geht es also vielleicht oder sicher
       nicht?
       
       – Sicher nicht.
       
       An diesem Tag wurde meine Fingeroperation auf Freitag verschoben und so
       spielte ich am Ende doch Fußball – mit kaputtem Knie und allem. Wir haben
       verloren. Es war die zehnte Niederlage im zehnten Spiel dieser Saison. Der
       Grund, warum ich trotz Verletzung gefragt werde, ob ich komme, ist, dass
       ich in der Vergangenheit oft gespielt habe, obwohl ich nicht sollte.
       
       Ich frage mich, warum ich so handle. Eitelkeit? Angst, dick zu werden?
       Fühle ich mich lebendig, wenn ich mich verletze? Es gibt Sportabhängigkeit.
       Vielleicht ist es Selbstsabotage, Selbstzerstörung, [3][wie bei einer
       pathologischen Spielsucht]. Oder ignoriere ich Verletzungen mit Absicht,
       weil ich irgendwo gelernt habe, dass „ein Mann“ so etwas eben macht: sich
       verletzt, weitermacht, kein großes Drama veranstaltet und schon gar nicht –
       Gott bewahre – seine Gewohnheiten ändert?
       
       Zurück zur Heilung: Ich mache Ergotherapie.
       
       – Und was ist mit Radfahren?
       
       – Sie haben nur eine Hand.
       
       – Ich würde den Finger nicht benutzen.
       
       – Das ist keine gute Idee. Vor allem nicht in Berlin.
       
       – Ganz leichte Übungen zu Hause? Ohne Gewichte oder so.
       
       – Sie sollten dem Körper wirklich keinerlei Belastung zumuten, keine
       Temperaturerhöhung, die Wunde ist weit davon entfernt, verheilt zu sein.
       
       – Ganz leichtes Joggen?
       
       – In drei Wochen. Okay?
       
       Drei Wochen! Was für ein Albtraum! Das Gespräch mit der Handtherapeutin
       bringt mich in eine Art Selbstverhandlungsmodus, wie ich vielleicht doch zu
       ein bisschen Bewegung kommen könnte. Es ist ein Taktieren, als würde ich
       wie der Protagonist in Charles R. Jacksons Roman „Das verlorene Wochenende“
       nach einem Glas Whiskey dürsten. Etwas Sport wird schon gehen. Es ist ja
       nur ein Finger. Und ich sehe ja, wie er heilt.
       
       Meine Geschichte endet genau wie das Buch: „Die Sache war vorbei. Wieder
       lag er zu Hause im Bett, in Sicherheit. Gott weiß, warum oder wie, aber er
       war noch einmal davongekommen. Was beim nächsten Mal sein würde – wer
       konnte das sagen? Doch wozu sich jetzt sorgen? Diesmal war es vorüber, und
       nichts war geschehen. Warum all die Aufregung?“
       
       6 Oct 2025
       
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