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       # taz.de -- NS-Dokumentationszentrum Hamburg: Investor will NS-Gedenken steuerlich absetzen
       
       > Das NS-Dokuzentrum am Hannoverschen Bahnhof in Hamburg sollte 2026 fertig
       > werden. Nun kommt raus: Die Planungen sind wegen des Investors gestoppt.
       
   IMG Bild: Verschlepptes Gedenken: Bau des Dokuzentrums am Denkmal Hannoverscher Bahnhof verzögert sich weiter
       
       Hamburg taz | Der Bau des NS-Dokumentationszentrums Hannoverscher Bahnhof
       in Hamburg verzögert sich weiter und ist auf unbestimmte Zeit verschoben.
       Das hat eine kleine Anfrage der Linksfraktion Hamburg ergeben, die der taz
       vorliegt. Aus der Antwort des Senats und der Kulturbehörde geht hervor,
       dass die Planungen für das Dokuzentrum schon seit mehr als einem Jahr
       gestoppt sind – weil der private Investor Harm Müller-Spreer, der den Bau
       finanziert, seine Kosten schon jetzt steuerlich absetzen will und die Stadt
       das prüfen möchte.
       
       Das Dokumentationszentrum sollte 2026 eröffnen. Auf der Webseite der Stadt
       Hamburg steht das noch so. Es hat sich aber schon länger abgezeichnet, dass
       das nichts wird. Bisher wurde nicht mal ein Bauantrag gestellt. Dabei steht
       schon seit mehr als zehn Jahren fest, dass der Dokumentationsort
       eingerichtet werden soll, für den Historiker*innen, Aktivist*innen und
       [1][Betroffenenverbände jahrelang gekämpft] hatten.
       
       Das geplante Dokumentationszentrum soll den 2017 eingeweihten Gedenkort
       „denk.mal Hannoverscher Bahnhof“ in der heutigen Hafencity ergänzen und
       über die Geschichte des Ortes informieren. Von dort aus wurden während des
       Nationalsozialismus mehr als 8.000 Jüdinnen*Juden sowie Rom*nja und
       Sinti*ze aus Hamburg und Norddeutschland in Ghettos, Konzentrations- und
       Vernichtungslager in Mittel- und Osteuropa deportiert.
       
       ## Überfälliges Erinnern am Hannoverschen Bahnhof
       
       Dass daran endlich umfassend erinnert wird, hält Oliver von Wrochem, Leiter
       der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, die die Dauerausstellung im Dokuzentrum mit
       erarbeitet, für überfällig. „Es gibt bisher keinen Ort in Hamburg, der
       explizit an diejenigen erinnert, die selbst Teil der Stadtgesellschaft
       waren, die hier als Nachbar*innen gelebt haben und während des
       Nationalsozialismus aus rassistischen Gründen sukzessive verfolgt,
       deportiert und ermordet worden sind.“ Dafür sei das Dokumentationszentrum
       am ehemaligen Hannoverschen Bahnhof ein geeigneter Ort, und die erneute
       Verzögerung „nicht erfreulich“, sagt von Wrochem.
       
       Dass die Eröffnung des Dokuzentrums verschoben wurde, passiert nicht zum
       ersten Mal. Die Verzögerungen hängen unter anderem mit dem privaten
       Immobilieninvestor zusammen: der ehemalige Segel-Weltmeister und Hamburger
       Harm Müller-Spreer. Der hat 2022 einen Schenkungsvertrag mit der Stadt
       Hamburg geschlossen, in dem er sich bereit erklärt, das Gebäude für das
       Dokuzentrum zu bezahlen. Das kam allerdings nicht von ungefähr, sondern war
       das [2][Ergebnis eines Mediationsprozesses zwischen Müller-Spreer, der
       Stadt Hamburg und Betroffenenverbänden].
       
       Zuvor war der Investor in die Kritik geraten, weil er den Großteil eines
       seiner Gebäude am Lohsepark, in dessen Erdgeschoss das Dokuzentrum ziehen
       sollte, an die NS-belastete Firma Wintershall DEA vermietet hatte. Erst
       Betroffenenverbände und die Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte
       wiesen darauf hin, dass das Unternehmen, das als Profiteur des NS-Regimes
       ab 1936 selbst Verantwortung für die Verbrechen trägt, an deren Opfer an
       dem Ort erinnert wird, [3][wohl kaum als Mit-Mieter eines
       Dokumentationszentrums in Betracht kommen konnte].
       
       ## Seit einem Jahr steht der Planungsprozess still
       
       Der Entwurf für das neue Dokumentationszentrum beinhaltet ein
       zweigeschossiges Gebäude mit rund 1.000 Quadratmetern Fläche. Die Stadt
       Hamburg will den Innenausbau und den Einbau einer Dauerausstellung
       bezahlen. Den Rest übernimmt Müller-Spreer. So steht es [4][im 2022
       geschlossenen Schenkungsvertrag].
       
       Seit einem Jahr steht der Planungsprozess aber still. Auf taz-Anfrage
       schreibt die Kulturbehörde: „Die baulichen Planungen sind im September 2024
       vom Schenker ausgesetzt worden, um steuerrechtliche Fragen zur
       Absetzbarkeit seiner Aufwendungen klären zu lassen.“ Die Stadt hat daher
       „eine externe rechtliche Prüfung“ veranlasst, deren Ergebnis noch nicht
       vorläge, so ein Sprecher der zuständigen Kulturbehörde.
       
       Der Bau des Dokumentationszentrums verzögert sich jetzt schon so lange,
       dass sich in der Zwischenzeit der Grund für das extra Gebäude quasi
       erledigt hat: Das Unternehmen Wintershall DEA wurde Ende 2023 (mitsamt
       seiner NS-Vergangenheit) [5][vom britischen Ölkonzern Harbour Energy
       aufgekauft] und wird seine Firmensitze in Deutschland aufgeben.
       
       Welche Auswirkungen das auf die Eröffnung des Dokuzentrums hat, ist unklar.
       Fest steht: Je mehr sich der Baubeginn verzögert, desto näher rückt eine
       Frist, ab der sowohl der Investor Müller-Spreer als auch die Stadt, den
       Schenkungsvertrag wieder aufheben könnten. Das ist der Fall, wenn bis zum
       28.02.2028 kein bewilligter Bauantrag vorliegt.
       
       Für Marco Hosemann, erinnerungspolitischer Sprecher der Linken liegt das
       Problem darin, dass Hamburg die Aufgabe der Erinnerung an NS-Verbrechen
       überhaupt erst in die Hände eines privaten Investors gelegt habe. Er zieht
       Parallelen zum [6][Vertrag der Stadt mit dem Milliardär Klaus-Michael Kühne
       über die Schenkung einer neuen Oper]. „Wenn Leute wie Müller-Spreer oder
       Kühne nicht mehr weitermachen wollen, finden sie Mittel und Wege dafür und
       am Ende steht die Stadt vor dem Scherbenhaufen.“
       
       Wie die Linke fordert auch das Auschwitz-Komitee von der Stadt, sich vom
       privaten Investor zu trennen und das Dokumentationszentrum unter eigener
       Regie zu verwirklichen.
       
       Ob es dazu kommen wird, ist derzeit ebenso offen wie die Frage, wann das
       Dokuzentrum gebaut wird. „Ein verbindlicher Zeitplan liegt derzeit nicht
       vor“ schreibt der Hamburger Senat.
       
       7 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Sinti-Vertreter-ueber-Gedenkort-Plaene/!5746866
   DIR [2] /Wintershall-Mediation-droht-zu-scheitern/!5777601
   DIR [3] /Streit-ueber-Vermietung-an-NS-Profiteur/!5745068
   DIR [4] https://daten.transparenz.hamburg.de/Dataport.HmbTG.ZS.Webservice.GetRessource100/GetRessource100.svc/5043e35d-ab70-4a07-b375-3fc6aa0e6fdc/Akte__30-050.90.pdf
   DIR [5] https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Britischer-Oelkonzern-Harbour-Energy-uebernimmt-Wintershall-Dea,wintershall144.html
   DIR [6] /Diskussion-um-Kuehne-Oper-in-Hamburg/!6106794
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Amira Klute
       
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